Die weise Schlange. Petra Wagner

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Die weise Schlange - Petra Wagner

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Glück streifte der Pinsel nur dort über ihr Gesicht, wo er hingehörte, als hätte er diesen Weg schon hundertmal von allein genommen.

      „Fertig.“ Die Kriegerin und ihre Drachenschwestern musterten Viviane von allen Seiten und nickten zufrieden. „Wunderbar. Du, Viviane, bist ein Kunstwerk, bist eine eigene Welt, geschaffen von Mutter Erde und Vater Himmel. Sei willkommen, Schwester, in unserem Bund.“

      Strahlend neigte Viviane den Kopf zum Dank und versteifte sich prompt. Sie hatte Angst, die Triskele würde ihr aus dem Gesicht fallen, ja, die ganzen schönen Muster könnten verwischen, wenn sie sich noch ein winziges Stück weiter beugte.

      Natürlich war das Unsinn. Die Farbe bestand aus kräftig blauem Färberwaid und Kiefernharz, so schnell ging das nicht ab. Da musste sie schon mit ordentlich Butter nachhelfen. Großmutter Mara machte die beste Butter weit und breit, und ihre eingelegten Gurken schmeckten einfach köstlich, und …

      Mit einem Ruck stellte sich Viviane gerade. Sie war jetzt eine Drachenkriegerin. Sie war hier in Britannien noch lange nicht fertig. Hier lauerte die Bedrohung direkt vor der Haustür, weshalb die einen den Hinterausgang dieses Hauses benutzten, die anderen aus dem Fenster kletterten und ihresgleichen mit zwei schlagkräftigen Schwertern auf dem Dach lag. Daheim war das nicht nötig.

      Daheim musste man nicht auf der Lauer liegen. Daheim waren die Stämme einig und die Römer hielten Abstand, gute Nachbarschaft sozusagen. Daheim sprach keiner das Latinische besser als sie selbst, wohl oder übel. Nein, das war nicht richtig: Die latinische Sprache gefiel ihr richtig gut, genauso wie die griechische. Daheim konnten nicht viele Griechisch wie sie, schon gar nicht lesen. Daheim … jetzt war es aber genug. Sie hatte kein Heimweh. Und wenn doch: Auch mit drei großen blauen Spiralen im Gesicht durfte man in weite Ferne schauen. Die Kriegerinnen nickten ihr zu und öffneten in einer fließenden Bewegung den Kreis aus Leibern, Tüchern und Tontöpfchen.

      Unvermittelt stand sie allein vor Merdin, der sie anstarrte, als hätte sie ein Geweih auf dem Kopf. Dabei war er ein Hirsch aus blauem Marmor mit azurblauen Augen, strahlend wie der Himmel.

      „Vivian, du bist … du bist wunderbar, ich muss …“, stammelte Merdin, doch ein Tosen brandete nun um sie herum auf, das jedes weitere Wort unmöglich machte. Scheppernd schlugen die Drachenkrieger ihre Speere gegen die Schilde und diejenigen hinter den Trommeln wirbelten mit ihren Schlägeln über die Bälge, als wollten sie jedes Herz zum Rasen bringen. Alle johlten, jauchzten, jubelten und es dröhnte, klopfte und schepperte dazu wie in einem ewig währenden Widerhall.

      Das war er also, der erste Augenblick als Drachenkrieger. Sie hatten es geschafft.

      Viviane schaute zu Merdin und er lächelte zurück. Ja, er strahlte sie an, und schon lag ihre Hand in seiner. Gemeinsam streckten sie sich gen Himmel, jubelten, lachten und grüßten ihre Brüder und Schwestern mit einem Überschwang, der immer größer wurde.

      Schließlich verklangen die Beifallsbekundungen, sogar die Trommler legten ihre Schlägel nieder. Ruhe kehrte ein.

      Aller Augen wandten sich gen Osten, wo gerade die kahlen Baumwipfel von gleißendem Licht durchflutet wurden, und im nächsten Moment ergoss sich das wohlig-warme Gold in die Lichtung, machte sie zum Abbild der Sonne und das Sehen schier unmöglich. Das Dröhnen eines mächtigen Rufhorns ließ die Luft erzittern.

      Viele Male erschallte das Horn, lang, tief und kraftvoll. Als der letzte Ton verklungen war, betrat Akanthus den Sonnenkreis, das Rufhorn in Lederriemen über den Rücken gehängt. Ihm folgten zwölf Krieger, die vorderen drei hielten in Ledertücher eingeschlagene Objekte in den ausgestreckten Händen.

      Viviane und Merdin strahlten sich an. Gleich wurden ihnen die Schwerter überreicht. Bald hielten sie die Symbole ihres Bundes in Händen. Unwillkürlich betasteten sie ihre Torques, richteten sich zur vollen Größe auf und der letzte Teil der Zeremonie nahm seinen Lauf.

      Wie auf Kommando scherten die zwölf Krieger aus und schritten um Akanthus herum, als wäre er ihr Mittelpunkt, den es galt, auf unsichtbaren Bahnen zu umrunden. Es waren viele Bahnen, die sich kreuzten und umkreisten wie bei einem langsamen, verwirrenden Tanz, bis die Krieger schließlich einen Kreis um Viviane und Merdin bildeten und auf der Stelle verharrten. Akanthus jedoch blieb außen vor. Er wartete. Wartete auf die Trommeln.

      Leise begann im Osten die erste zu schlagen. Die im Süden setzte als nächste ein, darauf die dritte im Westen, zuletzt die vierte im Norden.

      Aufrecht, fast schwebend umrundete Akanthus den Kreis seiner zwölf Krieger einmal.

      Im Norden bezog er Position. Ruhig schaute er in die Runde.

      Er betrachtete den äußeren Kreis der vielen Krieger am Rand der Lichtung.

      Er betrachtete den Kreis der zwölf darin.

      Schließlich verharrte sein Blick auf Viviane und Merdin im Zentrum.

      Seine Züge wurden weich und er breitete die Arme aus wie ein stolzer Vater. Auf sein Nicken bewegten sich die drei Krieger mit den verhüllten Gegenständen drei Schritte vorwärts und zwei zur Seite, sodass Akanthus durch den Kreis und neben sie treten konnte. Feierlich zog er das erste Ledertuch zurück.

      Mit großer Geste legte er die Schwertgürtel, die darunter zum Vorschein kamen, um Vivianes und Merdins Taillen und prüfte ihren festen Sitz mit einem kräftigen Ruck.

      Vor ein paar Jahren hätte er Viviane damit noch aus dem Gleichgewicht gerissen, jetzt aber blieb sie sicher auf den Beinen und schwankte kein bisschen. Allerdings fiel ihr auf, wie steif und klobig sich das Leder auf ihrer nackten Haut anfühlte. Sie würde noch lange brauchen, um sich daran zu gewöhnen, doch – so ließ die stabile Machart vermuten – würde ihrer beider Verbindung für ein ganzes Leben halten.

      Akanthus nickte ihr wissend zu. Bedeutsam schlug er das zweite Ledertuch zurück und zum Vorschein kamen vier Schwertscheiden, außen auf dem Leder mit kompliziert punzierten Flechtmustern und innen mit Fell versehen.

      Nacheinander schob Akanthus die Kunstwerke in die vorgesehenen Schlaufen der Schwertgürtel, band sie an und prüfte auch hier wieder den festen Sitz. Abrupt spürte Viviane eine Schwere, die nichts mit dem Ruck an ihrem Körper zu tun hatte. Die Schwertscheiden zogen sie nach unten, obwohl sich das Wichtigste noch gar nicht darin befand. Mit einem Mal bekam sie Angst, ob sie überhaupt würdig war, ob ihre Kraft reichen würde, ob sie vorausschauend genug handeln würde, oder ob sie nicht vielmehr versagen würde als Ärztin, als Kriegerin.

      Die Trommeln verhallten in einem letzten, leisen Schlag und ihr Herz begann wild zu pochen.

      Akanthus zog das dritte Leder zurück und ihr verschlug es den Atem.

      „Dieses Kurzschwert ist deines nun, meine Tochter“, rief Akanthus in die dröhnende Stille hinein und nahm das Schwert behutsam aus den Händen des Kriegers, um es Viviane zu übergeben. „Halte es in Ehren und nutze es weise.“

      Prompt begannen Vivianes Finger zu zittern, doch mittlerweile hatte sie gelernt, wie man derartige Schwächen bekämpfte. Ruhig nahm sie ihr Kurzschwert entgegen, streckte es gen Himmel und schaute Akanthus in die Augen, während sie mit lauter Stimme rief:

      „Dank dir für dein Vertrauen, mein Vater. Wissen, Weisheit und Gedenken sollen mich leiten und würdig werde ich mich erweisen. Dies schwöre ich bei Hall, Göttin über Leben und Tod.“

      Langsam ließ sie ihr Kurzschwert in die vorgesehene Scheide rechts am Gürtel gleiten und strahlte Akanthus an, der zurücklächelte,

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