Die weise Schlange. Petra Wagner
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„Dieses Langschwert ist deines nun, meine Tochter. Halte es in Ehren und nutze es weise.“
Viviane holte Luft; das Blut rauschte ihr immer schneller durch die Adern, je länger sie auf das armlange Schwert starrte.
Wie magisch wurde ihr Blick angezogen von dem Muster auf der Klinge nahe dem Heft, genau auf dem Schwerpunkt. Wunderschön war es anzuschauen: Zwei Drachen, die sich um den Baum des Lebens wanden. Ja, es war derart kunstfertig in das Eisen geschmiedet, dass die Drachen sogar rot-goldene Flammen sprühten, als Akanthus das Schwert ein wenig bewegte und Sonnenstrahlen sie trafen.
Viviane riss die Augen auf. Sie hatte noch nie ein Drachenschwert aus der Nähe gesehen.
Uathach hatte das ihre stets in der Scheide gelassen und auf die ‚weise Nutzung‘ hingewiesen, was natürlich völlig richtig war. Aber sie hatte immer sehr geheimnisvoll getan, und jetzt wusste Viviane auch, warum: Das erste Staunen, die Erkenntnis – das war ihr ganz persönlicher Augenblick, der absolut besondere Moment in ihrer Initiation, einmalig in ihrem Leben.
Die Kunstfertigkeit der Schmiede, die solche Schwerter fertigten, war legendär. Manch einer von ihnen war auch Drachenkrieger, denn sie waren ebenfalls Druiden, Druiden der Metallurgie, und jeder drückte seinen Schwertern den eigenen Stempel auf. Derjenige, der diese Kostbarkeit erschaffen hatte, war für jetzt und alle Ewigkeit mit ihr verbunden.
Vivianes Blick richtete sich auf den Mann neben Akanthus und sie sah ihm tief in die Augen. Er hatte mit ihr jahrelang Faust- und Schwertkampf trainiert. Immer wieder hatte er sie Wachs kneten lassen, um den Griff ihrer Finger zu stärken und den Abdruck zu prüfen. Ständig hatte er ihre Arme und Beine vermessen … Jetzt wuchs er förmlich vor ihr in die Höhe und nickte erfreut, ob ihrer stummen Frage.
Viviane wurde es ganz warm ums Herz vor Dankbarkeit und Zuversicht. Sicher nahm sie das Langschwert auf, präsentierte es mit ruhiger Eleganz über ihrem Kopf und lächelte Akanthus an.
„Dank dir für dein Vertrauen, mein Vater“, sagte sie laut und deutlich. „Wissen, Weisheit und Gedenken sollen mich leiten und würdig werde ich mich erweisen. Dies schwöre ich bei Hall, Göttin über Leben und Tod.“
Viviane reckte ihr Drachenschwert noch ein Stück höher gen Himmel und konnte nicht anders: Sie musste strahlen, strahlen, strahlen. Als sie vor Kurzem ihre Initiation als Ärztin absolviert und ihre chirurgischen Werkzeuge erhalten hatte, war sie absolut zufrieden gewesen. Sie hatte so viel Glück und Freude empfunden. Beim Anblick ihrer silbernen Skalpelle hatte sie die Verantwortung bis in die Fingerspitzen gespürt. Nun aber, mit dieser Waffe in Händen, durchströmte sie eine schier unbändige Kraft, die ihr unendlichen Mut gab.
Sanft, ja anmutig führte sie ihr Langschwert abwärts, bis die Spitze auf der Scheide zum Liegen kam. Wie selbstverständlich glitt die Klinge in ihre Hülle aus Leder und Fell, und das Eisen aus einer fernen Welt sang ein leises Lied, nur für sie.
Wie im Traum beobachtete Viviane die Übergabe des zweiten, wesentlich längeren Drachenschwertes an Merdin und dachte darüber nach, warum sie das Gewicht des Eisens zu beiden Seiten ihrer Hüften kaum spürte. Am liebsten wäre sie losgerannt, auf den nächstbesten Baum geklettert oder mit ein paar Überschlägen durch die Luft gewirbelt, doch sie stand still. Nur die Krieger in ihrer Nähe bewegten sich.
Bedächtig traten sie auseinander, der Kreis der Zwölf wurde weit und weiter, und schließlich zerstreute er sich unter lauten Jubelrufen in alle Himmelsrichtungen.
Scheppernde Speere auf Schilde, trampelnde Füße, donnernde Trommeln und gebrüllte Glückwünsche vermischten sich zu einem ohrenbetäubenden Lärm, der regelrecht in Tumult ausartete, als Viviane und Merdin ihre Schwerter wieder aus den Scheiden zogen und über Kreuz der Sonne entgegenstreckten. Diesen Gruß hielten sie fünf, sieben, zwölf Herzschläge lang, dann schwenkten sie ihre Waffen im weiten Bogen, bis die Spitzen zur Erde zeigten, und warteten auch hier zwölf Herzschläge ab. Akanthus blies fortwährend in sein Horn, und kaum hatte er es wieder auf den Rücken geschoben, beugten sie fast synchron ihre drei Köpfe. Sofort trat Ruhe ein, nur ein vielfaches Schleifgeräusch sang von stiller Trauer.
Die anderen Drachenkrieger hatten blankgezogen, senkten nun ebenfalls Schwerter und Häupter.
Gemeinsam gedachten sie der Freunde, die sie in vergangenen Zeiten verloren hatten, und baten Hall um Beistand bei neuen Gefahren. Vielleicht stellte sich manch einer auch vor, wie er ruhmreich in die Anderswelt einzog und die toten Gefährten wiedersah; wie er mit ihnen feierte und durch die Lande ritt auf weißen Pferden. Wer wusste schon, was es in der wundersamen Welt nach dem Leben alles zu entdecken galt, und wer wusste schon, wann es einen dorthin verschlagen würde. Nur eines war sicher: Hall war gerecht.
Als das Schweigen drückend wurde, ließen Viviane und Merdin ihre neuen Schwerter wieder in die Scheiden gleiten, ihre Drachenbrüder und -schwestern taten es ihnen nach, und dieses vielfach leise Sirren schien wie ein Weckruf.
„Ein dreifaches Hoch auf unsere Initianten!“ Akanthus riss die Faust in Siegerpose nach oben und drehte sich einmal um die eigene Achse.
„Hoch! Hoch! Hoch!“, schallte es aus dem großen Kreis mit solcher Wucht zurück, dass es Viviane und Merdin fast schwindelig wurde. Fest packten sie sich an den Händen und wollten schon loslaufen, um sich bei jedem Einzelnen zu bedanken, doch das konnten sie getrost bleiben lassen.
Ehe sie sich versahen, waren sie von einer johlenden Meute umzingelt – sie sahen nur noch Weiß und Blau.
Rabiat wurden sie umhergezerrt, geschoben, gedrückt, geküsst, getätschelt, gekniffen … ganz zu schweigen von dem Jauchzen und Brüllen in ihre Ohren und den Haarmähnen rundum, die kitzelten und stachen und ihnen die Sicht nahmen. Doch sie lachten und schwankten und schwankten und lachten, als gelte es einen Wettstreit im ‚Freuen‘ zu gewinnen.
In Windeseile war ein Fest im Gange, das diesem Freudentaumel in nichts nachstand. Es gab massenweise Hirschbraten, Kräuterbutter, frisches Brot, deftige Zwiebeln, saures Kraut, dicke Bohnen, zarte Sprossen, Met, Korma …
Letzteres schmeckte Viviane zu ihrer eigenen Verwunderung besonders gut und sie überlegte, ob die Gerste hierzulande milder vergoren wurde. Bei ihr zu Hause wäre sie nie und nimmer in die Nähe eines Fasses Korma gegangen, so rauchig-bitter roch das Gebräu schon zehn Schritt gegen den Wind. Hier aber leckte sie sich den Schaum von den Lippen und setzte beschwingt zum dritten Horn an. Es wurde ihr vor der Nase weggeschnappt.
„Meins!“ Viviane klammerte sich an dem Horn fest und hätte wohl zu einem Fußtritt ausgeholt, wenn nicht ein breit grinsender Merdin an dem Horn gehangen hätte. Angriffslustig starrte sie ihm in die Augen. Er hatte mindestens drei davon.
„Du guckst schief, Vivian.“
„Schwachsinn! Ich sehe perfekt aus! Gib mein Horn frei oder ich drück dich, bis dir die Luft wegbleibt!“
„Ooooh, du willst mich quetschen? Welch ein Angebot! Ich werde dich dran erinnern, aber nun haben wir erst mal unseren Einstand.“
„Einstand?“ Viviane schwankte von einem Bein aufs andere und visierte Merdins mittleres Auge an. „Ach, dieser Einstand! Unser Kampfspektakel! Beim Geweih von Cernunnos, und ich bin betrunken!“ Beinahe hätte sie ihr Horn losgelassen, um sich den Kopf zu halten. Sie hatte doch tatsächlich vergessen, dass sie beide für die Unterhaltung zuständig waren. „Wo ist denn Uathach abgeblieben? Sie soll uns doch die Pferde zuführen?!“ Suchend