Die weise Schlange. Petra Wagner
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die weise Schlange - Petra Wagner страница 5
Viviane hätte sich krümmen können vor Lachen, wollte aber ihre gemütliche Stellung ‚Kinn auf Hand auf Speer‘ nicht aufgeben.
Merdin geriet nun doch in Eile. Hastig zerrte er zwei Speere aus der Wiese und huschte im Zickzack zu ihr zurück.
„Ein Hase mit Flatterzöpfchen, wie niedlich“, gähnte sie und legte das Kinn wieder auf Ruheposition. „Bin mal gespannt, was als Nächstes passiert.“
„Vivian, gib acht!“ Merdin raste an ihre Seite und schlug seine Speere gegeneinander.
„Die wollen uns in die Zange nehmen! Gerade eben hattest du es noch eilig!“
Viviane gähnte noch ausgiebiger und schaute ihn aus trüben Augen an. „Gib Ruhe, ich amüsiere mich gerade.“
Weil Merdin prompt tat, wie ihm geheißen, musste sie lachen.
„Wollte dich bloß ein bisschen foppen“, gluckste sie und deutete beschwingt gen Wiese.
„So viele gegen uns zwei? Diese Irren werden sich gegenseitig in die Zange nehmen, weil jeder der Erste sein will!“ Demonstrativ machte sie es sich wieder auf ihrem Speer gemütlich. „Weck mich, falls noch ein paar für mich übrig bleiben.“
„Oh.“ Merdin starrte ein wenig traurig auf die wilde Horde. „Dabei hab ich so schöne Spicker parat.“ Schmollend stellte er seine Speere ebenfalls auf Schlafposition.
„Kinder, nehmt Haltung an. Was sollen eure Brüder und Schwestern denken, wenn sie für euch Spalier stehen?“
„Spalier?!“ Viviane und Merdin standen sofort gerade und rissen die Köpfe herum. Sie hatten Akanthus vergessen.
Ihr Meister stand hinter ihnen und schien sich köstlich zu amüsieren.
„Ja, sie bilden zwei Reihen. Eine rechts und eine links von euch. Sofern ihr endlich aufhört, auf der Stelle zu schwanken, denn sonst kann ich für eure niedlichen Flatterzöpfchen nicht garantieren.“ Die Lachfalten um seine blauen Augen wurden tiefer. Mit einem Handwedeln wies er sie an, wieder nach vorne zu blicken.
Viviane und Merdin reagierten prompt und japsten vor Schreck. In Pfeilformation rasten ihnen diese Irren nun entgegen und sprengten rechts, links, rechts, links an ihnen vorbei, als hätten sie das tagelang geprobt. Trotz ihres Schwungs wendeten sie fast auf dem Fuß. In Windeseile standen zwei Reihen Krieger parat: Männer und Frauen, alte, junge; nackt, blau und bis an die Zähne bewaffnet. Sie atmeten heftig und grinsten zufrieden beim Anblick der beiden völlig verblüfften Initianten und Akanthus, der hinter deren Rücken feixte und beide Daumen hochhielt.
Nachdem sich ihr Atemrhythmus sehr rasch beruhigt hatte, zogen beide Seiten wie ein Mann die Langschwerter aus den Scheiden und streckten sie auf Brusthöhe von sich, bis sich die Spitzen fast berührten. Abrupt wurden ihre Mienen ernst.
Ein paar Schritte trennten die beiden Seiten voneinander, überbrückt mit dem besten Metall, was es überhaupt gab: Eisen, nicht von dieser Welt. Meteoreisen. Völlig synchron rissen die Krieger ihre Langschwerter nun hoch und zogen noch einmal blank. Diesmal streckten sie mit dem anderen Arm die Kurzschwerter auf Brusthöhe. Der Raum zwischen beiden Seiten schien wie eine ewig lange Kluft, erfüllt von einem fernen Singen, das von Liedern vieler Schlachten kündete – alten und neuen, die erst noch kommen würden. Doch dieser Eindruck währte nur einen Atemzug lang.
Mit einem lauten Aufstampfen rückten die Krieger vor und hoben die Kurzschwerter den Langschwertern entgegen, bis sie knapp unter diesen lagen wie ein Balken unter dem Dach. Und obwohl die Trommeln weiter schlugen, kehrte nun eine Ruhe ein, die nach dem schrillen Kriegsgeheul fast in den Ohren dröhnte.
Viviane war mit einem Schlag hellwach.
Die Stille lastete auf ihren Augen, ihren Ohren, ihren Händen, ja auf ihrem gesamten Körper, als würden alle Krieger auf ihren Schultern stehen; samt Schwertern wogen sie so viel wie ein ganzes Haus bedeckt mit Meteoreisen.
Strahlend fasste sie Merdins Hand und drehte sich nach Akanthus um. Er nickte und Vivianes Füße setzten sich wie von selbst in Bewegung.
Als Viviane dem ersten Paar im Spalier entgegentrat, stiegen ihr vor Rührung Tränen in die Augen; sie verharrte unwillkürlich.
Uathach lächelte ihr aufmunternd zu. Die ersten richtigen Sonnenstrahlen trafen ihre Schwerter, spiegelten sich auf den nächsten Klingen und sprangen weiter, immer weiter, bis die gesamte Strecke reflektierte. Es war, als höben Uathach und ihr Gegenüber ein gleißendes Prisma gen Himmel, ein Symbol aus Licht.
Viviane blinzelte die Tränen weg und strahlte ihre Freundin an. Dann richtete sie den Blick gerade aus und machte den ersten Schritt, Seite an Seite mit Merdin. Beide hielten sie die Häupter stolz erhoben, genau wie Akanthus dicht hinter ihnen. Ja, auch er hatte allen Grund dazu.
Seine Schlangentorques glänzten an seinem Hals, sein weißes Gewand umschmeichelte seine bloßen Füße und der Südwind erzählte jedem, der es hören wollte: Akanthus war der Sohn eines Königs, der oberste Lehrmeister beim Studium der Medizin und Anführer der Drachenkrieger. Es war eine Ehre für Viviane und Merdin, vor ihm zu gehen, über ihnen alles zerschlagende Schwerter und neben ihnen weiß-blaue Mauern aus Körper und Geist.
Wie von selbst richtete sich Viviane zu ihrer vollen Größe auf und vergewisserte sich, ob über ihr genug Platz war. Sie schaute nur kurz zu den Schwertern hinauf, sie wollte nicht zaghaft erscheinen oder gar misstrauisch.
Die Krieger rechts wie links standen vollkommen reglos und reckten die Klingen empor. Doch wenn auch nur einer ihnen feindlich gesinnt wäre, bliebe ihnen keine Chance. Obwohl, wozu trug sie einen Speer in der Hand? Und Merdin, als ihre linke Flanke, hatte gleich zwei.
Das war es.
Genau das sollte dieser Gang ihnen verdeutlichen: Sie mussten sich gegenseitig über den Weg trauen, mussten sich aufeinander einlassen, sich aufeinander verlassen können. Sie waren Elitekrieger der besonderen Art. Sie waren Druiden und Krieger in einem – gleichzeitig Bewahrer des Wissens und Verteidiger des Wissens. Eine Kombination, die so eigentlich gar nicht existieren dürfte, geboren aus purer Existenzangst und der Not, ihr Wissen mit aller Macht hüten zu müssen.
Und tatsächlich: Ob Astronomen, Philosophen, Richter, Seher, Barden oder Ärzte wie Viviane, Merdin und Akanthus – sie waren eine Gemeinschaft Gleichgesinnter, waren Brüder und Schwestern, waren bereit zu kämpfen.
Es war ein erhabenes Gefühl, in ihrer Mitte zu gehen oder besser, in ihrer Mitte zu bleiben. Denn während sie immer weiter dem Waldrand entgegenstrebten, rannten die hinteren Krieger nach vorne und stellten sich wieder an. Vollkommen lautlos ging das vonstatten. Ohne Keuchen, ohne Klirren, nicht einmal sehen konnte es Viviane von ihrer Position aus. Es war eine ausgeklügelte Zurschaustellung von Kampfkraft, die aus der Luft betrachtet noch interessanter aussehen dürfte. Vielleicht wie eine dahinkriechende Raupe oder – passend für Drachenkrieger – eine Schlange in Bewegung. Nachdem Viviane das zehnte Mal an Uathach vorbeigekommen war, hörte sie auf zu zählen, schaute aber weiterhin in die Gesichter rechts und links. So viele der Frauen und Männer kannte sie noch gar nicht, doch es freute sie, wie viel ehrliches Interesse aus ihren Augen sprach.
Merdins Initiation dürfte sogar eine gewisse Erwartungshaltung auslösen. Als Sohn des obersten Druiden hierzulande wurde er bereits jetzt als dessen Nachfolger betrachtet und einen besseren,