Die weise Schlange. Petra Wagner
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Читать онлайн книгу Die weise Schlange - Petra Wagner страница 3
„Mir recht.“ Schwer sackte Viviane in die Felle zurück und schaute mit verdrehtem Kopf zu, wie Merdin seine Muskeln bewegte. „Scheint alles heil geblieben, von meiner Warte aus“, rief sie ihm zu. „Ein paar Schwitzbäder und du fühlst dich bald wieder wohl. Prüfung bestanden. Deine Torques stehen dir gut zu Gesicht. Herzlichen Glückwunsch. Selbst deine Frisur sitzt immer noch perfekt. Weck mich, wenn die Hühnerbrühe fertig ist.“ Seufzend schloss Viviane die Augen und streckte alle Glieder von sich.
„Du hast übrigens recht“, murmelte sie nunmehr mit schwerer Zunge. „Diese Feuerstätte unter dem Boden ist dermaßen praktisch…“ Sie gähnte, bevor sie weitersprach: „Vom Prinzip her ist dieses mickrige Grubenhäuschen wie ein Backofen. Erst von außen anfeuern, dann die Ahnungslosen rein, Tür zu und warten, bis der Inhalt fertig ist. Eine Druiden-Krieger-Backwerkstatt sozusagen.“ Sie seufzte tief und ihre nächsten Worte wurden immer leiser: „Das Backwerk vorher natürlich gut durchkneten, damit … ein ordentlicher … Drachenkrieger draus …“
Merdin drehte sich zaghaft um. Sie war tatsächlich noch mal eingeschlafen.
Bestens.
Einen Moment kämpfte er mit dem Gedanken, sich wieder auf sie zu legen. Ihre Rückansicht war dermaßen verlockend … Noch ein rascher Blick auf das Fenster gen Osten, schon kniete er zu ihren Füßen. Ihre helle Haut schimmerte bläulich, so wie das Meer in seinem ständig wiederkehrenden Traum. Ihre sanften Rundungen waren wie die Wellen, anschmiegsam und warm, nur für ihn. Sie war sein, seine Vivian. Er würde es ihr sagen.
Und jetzt musste er sich beeilen, der Morgen war nah.
Das schmale Pergament im Fenster gen Osten wechselte von Nachtblau zu einem tiefen Dunkelblau.
Königsblau.
Kornblumenblau.
Trommeln begannen zu dröhnen wie Donner aus weiter Ferne.
Ein dumpfer Schlag, ein zweiter, dritter …
Schon krachten viele Schläge gegen die hüfthohe Tür. „Aufwachen, Initianten! Tagesanbruch! Frisch polierte Drachenschwerter harren eurer!“
„Meister Akanthus?!“ Merdin riss die Augen auf und starrte gegen die Dachbalken. Verwirrt drehte er den Kopf - er war tatsächlich eingeschlafen, auf Vivianes Hinterteil. Hastig sprang er hoch, warf einen Blick abwärts … Gerade hatte er sich wieder an die Wand geflüchtet, da stand sein Meister bereits neben ihm und feixte.
Akanthus‘ Lächeln wurde noch breiter, als er Viviane auf die Füße zog und ihr tief in die Augen schaute.
„Gut, schön stehen bleiben, Vivian, und lächeln. Heute ist schließlich dein großer Tag. Was sollen deine Drachenbrüder und -schwestern von dir denken, wenn du durchs Spalier torkelst wie eine Betrunkene?“
„Ich bin nicht betrunken, Akanthus, ich bin nur müde“, verbesserte Viviane und zog ihre fünf Zöpfe lang. „Ich kann prima gerade stehen, guck!“
Sie schaffte es tatsächlich – trotz wild schwankender Lehmhütte –, gerade zu stehen. Akanthus schien das sehr zu amüsieren. Viviane hob neckend den Finger und kam prompt wieder ins Wanken.
„Ja, lach nur, Akanthus! Sei froh, dass das Zeug aus der Öllampe verflogen ist, sonst würde ich mich bald über dich amüsieren. Obwohl, vielleicht ist noch ein winziges Tröpfchen …“ Den Blick hinauf zum obersten Deckenbalken hätte sie sich lieber sparen sollen, denn nun kippte sie vollends um.
Akanthus stand schon zum Auffangen parat.
„Immer mit der Ruhe, Töchterchen. Am besten konzentrierst du dich auf den Klang der Trommeln und deinen alten Meister, das hilft beim Austarieren von Körper und Geist. Ich hatte schließlich auch mal eine Initiation fürs Drachenschwert, wenn ich dich erinnern darf.“
Sorgsam prüfte er Vivianes Stehvermögen mittels Schulterklopfen, dann hob er lachend die Hände und fuhr sich – da sie artig stehen blieb – durch seine Löwenmähne. „Nun ja.“ Nachdenklich betrachtete er den Silberanteil im Kupferrot seiner langen Haare. „Das ist zwar schon eine ganze Weile her, aber ich kann mich noch bestens erinnern. Genauer gesagt, ich kann mich an meine Wanderung zwischen den Welten erinnern. Daran, was hier passierte …“
Er ließ seinen Blick von der Öllampe am Deckenbalken zu den Bärenfellen am Boden schweifen und klatschte in die Hände. „Gut, eure Zeit hier ist um und deshalb: Hurtig, hurtig, ab durch die Mitte, ihr beiden!“ Mit großer Geste deutet er auf die hüfthohe Tür.
„Ducken nicht vergessen.“
„Oh weh, ich sehe alles doppelt. Ich versuch es mal mittendurch“, seufzte Viviane und setzte sich schwankend in Bewegung. Merdin tappte stöhnend hinterher.
Wer von ihnen mehr Schräglage hatte, war schwer zu sagen, doch kaum hatte sich Viviane unter dem niedrigen Türstock hindurchgebückt, fühlte sie sich besser. Die Morgenluft war mild, viel wärmer als gestern, und sie roch einfach wunderbar nach sprießenden Knospen, Blüten, Gras, goldener Wärme, neuem Leben …
„Phänomenal.“ Genüsslich sog sie die Brise ein. „Jetzt habe ich schon zwanzig Lenze erlebt – zwanzig Mal Ostara, vier davon in Britannien, aber dieses fünfte hier … diese laue Luft, dieses üppige Grün und Blüten über Blüten auf weiter, weiter Flur!“ Bewundernd ließ Viviane ihren Blick schweifen.
Gestern hatte auf der gesamten Wiese bis hinter zum Waldrand noch eine dünne Schneedecke gelegen. Heute blühten massenweise Schneeglöckchen und Primeln zwischen zarten Gräsern, alles erstrahlte in Weiß, Gelb und Grün so weit das Auge reichte, darüber ein Himmel in prachtvollem Gold-Blau.
Dieser eine Tagesanbruch schien besonders und wie für sie gemacht. Er hatte nicht nur den Wandel in der Natur, sondern auch in ihrem Leben gebracht. Hier und heute hatte sie, Viviane, etwas erreicht, was sich nur wenige Menschen überhaupt zutrauten, und dieses Glücksgefühl durchströmte sie nun so stark, dass sie sich kaum bändigen konnte.
Jauchzend breitete sie die Arme aus, tänzelte auf Zehenspitzen einmal im Kreis und warf den Kopf zurück.
„Bei Ostara, wie herrlich! Schaut nur in diesen wunderbaren jungen Morgen! Azurblau mit Streifen aus Gold so zart …“
Unwillkürlich betastete sie ihren Hals, an dem seit gestern ihre beiden Torques in Form von goldenen Schlangen prangten, und lauschte in sich hinein. Ihr Herz klopfte ruhig, ihre Augen sahen wieder bestens, sie stand fest auf ihren Füßen.
„Ja, Vivian, dies alles hat der Südwind in einer Nacht geschafft.“ Merdin atmete tief ein, betastete ebenfalls seine Torques und ließ den Blick über Vivianes nackte Gestalt schweifen.
Am liebsten hätte er mit ihren fünf langen, rotbraunen Zöpfen gespielt, seine Wange an ihre geschmiegt … Stattdessen reckte er sich ausgiebig, schob sich ein wenig näher an sie heran und begnügte sich mit der guten Sicht über ihren Kopf hinweg.
So standen sie hintereinander, mit fast zwei Köpfen Höhenunterschied, die Hände an ihren goldenen Halsreifen, und schauten gen Osten in den klaren, beginnenden Morgen.
„Was der Südwind hierzulande alles vollbringen kann …“ Viviane nickte in stummer Ergriffenheit und tastete nach Merdins freier Hand.
Gemeinsam atmeten sie ein und aus, lauschten dem Säuseln