Warum tut er das?. Lundy Bancroft

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Warum tut er das? - Lundy Bancroft

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stehen. Tatsächlich beschweren sich die Partnerinnen meiner Klienten ständig bei mir: „Wie kommt es, dass er zu allen anderen so nett ist, mich aber wie Dreck behandelt?“ Wenn es das Problem eines Mannes wäre, eine „aggressive Persönlichkeit“ zu haben, wäre er nicht in der Lage, diese Seite seiner selbst nur für Sie zu reservieren. Viele Therapeuten haben im Laufe der Jahre versucht, missbrauchende Männer auf ihre sensiblere, verletzlichere Seite zu lenken. Aber die traurige Realität ist, dass viele sanfte, sensible Männer ihre Partnerinnen bösartig – und manchmal auch gewalttätig – misshandeln. Die zwei Seiten des Täters bilden einen zentralen Aspekt des Rätselhaften.

      Die gesellschaftliche stereotype Vorstellung vom Täter als einem relativ ungebildeten Arbeiter trägt zur Verwirrung bei. Die fehlerhafte Gleichung lautet: „Misshandlung ist gleich muskelbepackter Höhlenmensch, was wiederum der Unterschicht entspricht.“ Zusätzlich zu der Tatsache, dass dieses Bild ein unfaires Stereotyp von Männern aus der Arbeiterklasse ist, übersieht es auch den Fakt, dass ein Mann mit Berufs- oder Hochschulbildung etwa der gleichen Wahrscheinlichkeit unterliegt, Frauen zu misshandeln wie jeder andere. Ein erfolgreicher Geschäftsmann, ein Hochschulprofessor oder ein Segellehrer wird vielleicht weniger wahrscheinlich das Image eines harten Kerls mit Tätowierungen am ganzen Körper annehmen, kann aber dennoch ein Albtraum-Partner sein.

      Stereotypen im Hinblick auf Klasse und Ethnie erlauben es den privilegierteren Mitgliedern der Gesellschaft, dem Problem des Missbrauchs auszuweichen, indem sie so tun, als sei es das Problem von anderen. Ihr Denken geht etwa so: „Es sind diese Bauarbeiter, die nie aufs College gegangen sind, es sind diese Latinos, es sind diese Straßengangster – sie sind die Missbrauchstäter. Unsere Stadt, unsere Nachbarschaft, ist nicht so. Wir haben hier keine Macho-Männer.“

      Aber Frauen, die mit Misshandlungen leben, wissen, dass es die Täter in jeglicher Gestalt und in allen gesellschaftlichen Schichten gibt. Je gebildeter ein Täter ist und je mehr Knoten er im Gehirn einer Frau zu knüpfen weiß, desto besser kann er sie dazu bringen, sich selbst die Schuld zu geben, und desto geschickter kann er andere Menschen davon überzeugen, dass sie verrückt ist. Je gesellschaftlich einflussreicher ein Täter ist, desto wirksamer kann sein Missbrauch sein – und desto schwieriger kann es sein, ihm zu entkommen. Zwei meiner ersten Klienten waren Harvard-Professoren.

      Manche Frauen fühlen sich von dem Image des harten Kerls angezogen, und manche können es nicht ausstehen. Wählen Sie selbst. Wie wir in Kapitel 5 sehen werden, gibt es Möglichkeiten festzustellen, 000ob ein Mann die Tendenz hat, missbräuchlich zu werden, aber die Kriterien einer sanften oder machohaften Persönlichkeit gehören nicht dazu. (Doch Vorsicht: Wenn ein Mann andere grundsätzlich einschüchtert, passen Sie auf. Früher oder später wird er seine Einschüchterungen gegen Sie richten. Anfangs mag es Ihnen vielleicht ein sicheres Gefühl geben, mit einem Mann zusammen zu sein, der Menschen Angst macht, aber nicht, wenn Sie an der Reihe sind.)

       Mythos Nr. 6:

       Er verliert die Kontrolle über sich selbst. Er wird einfach wild.

      Vor vielen Jahren habe ich eine Frau namens Sheila telefonisch befragt. Sie beschrieb die Wutausbrüche, die mein Klient Michael ihr zufolge regelmäßig hatte: „Er dreht einfach völlig durch, und man weiß nie, wann er so ausrasten wird. Er fängt einfach an, nach allem zu greifen, was da ist, und damit rumzuwerfen. Er schleudert das Zeug überall hin, an die Wände, auf den Boden – es ist einfach ein Chaos. Und er zerschlägt Sachen, manchmal wichtige Dinge. Dann ist es, als ob der Sturm einfach vorbeizieht; er beruhigt sich und geht für eine Weile weg. Später scheint er sich irgendwie vor sich selbst zu schämen.“

      Ich habe Sheila zwei Fragen gestellt. Die erste war, wenn Dinge kaputtgingen, gehörten sie dann Michael oder ihr, oder waren es Dinge, die beiden gehörten? Es entstand eine beträchtliche Stille, während sie nachdachte. Dann sagte sie: „Wissen Sie was? Ich bin erstaunt, dass ich nie darüber nachgedacht habe, aber er macht nur meine Sachen kaputt. Ich kann mich nicht erinnern, dass er etwas zerbrochen hat, das ihm gehört hat.“ Als Nächstes fragte ich sie, wer das Chaos aufräumt. Sie antwortete, dass sie das tut.

      Ich erklärte ihr: „Sehen Sie, Michaels Verhalten ist nicht annähernd so berserkerhaft, wie es aussieht. Und wenn er wirklich so reumütig wäre, würde er beim Aufräumen helfen.“

      Frage 2: Macht er das mit Absicht?

      Wenn mir ein Klient erzählt, dass er missbräuchlich wurde, weil er die Kontrolle über sich verloren hat, frage ich ihn, warum er nicht etwas noch Schlimmeres getan hat. Ich sage zum Beispiel: „Sie haben Ihre Partnerin eine verdammte Hure genannt, Sie haben ihr das Telefon aus der Hand gerissen und es durch den Raum geschleudert, und dann haben Sie ihr einen Schubs gegeben, und sie ist hingefallen. Da lag sie vor Ihren Füßen; es wäre ein Leichtes gewesen, ihr einen Tritt an den Kopf zu verpassen. Jetzt haben Sie mir gerade gesagt, dass Sie zu diesem Zeitpunkt ‚völlig außer Kontrolle‘ waren, aber Sie haben sie nicht getreten. Was hielt Sie davon ab?“ Und der Klient kann mir immer einen Grund nennen. Hier sind einige übliche Erklärungen:

       „Ich möchte ihr keine ernsthafte Verletzung zufügen.“

       „Ich merkte, dass eines der Kinder zusah.“

       „Ich hatte Angst, jemand würde die Polizei rufen.“

       „Ich könnte sie umbringen, wenn ich das täte.“

       „Der Streit wurde laut, und ich hatte Angst, dass die Nachbarn es hören würden.“

      Und die häufigste Antwort von allen:

       „Mein Gott, das würde ich nicht tun. Ich würde ihr so etwas nie antun.“

      Die Antwort, die ich fast nie hörte – ich erinnere mich, dass es in all den Jahren nur zweimal vorkam – war: „Ich weiß es nicht.“

      Diese unmittelbaren Antworten nehmen den Ausreden meiner Klienten, sie würden die Kontrolle verlieren, die Glaubwürdigkeit. Während sich ein Mann verbal oder körperlich missbräuchlich austobt, behält sein Geist das Bewusstsein für eine Reihe von Fragen: „Tue ich etwas, was andere Leute herausfinden könnten, sodass ich schlecht dastehe? Tue ich etwas, das mich in rechtliche Schwierigkeiten bringen könnte? Könnte ich selbst verletzt werden? Tue ich etwas, das ich selbst als zu grausam, grob oder gewalttätig erachte?“

      Aus der Arbeit mit meinen ersten paar Dutzend Klienten habe ich eine wichtige Erkenntnis gewonnen: Ein Täter tut fast nie etwas, das er selbst als moralisch inakzeptabel betrachtet. Er mag das, was er tut, verbergen, weil er glaubt, andere Menschen würden dem nicht zustimmen, aber er fühlt sich innerlich gerechtfertigt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Klient jemals zu mir gesagt hätte: „Ich kann das, was ich getan habe, auf keinen Fall rechtfertigen. Es war einfach völlig falsch.“ Er hat immer einen Grund, den er für gut genug hält. Kurz gesagt, das Kernproblem eines Täters ist, dass er eine verzerrte Vorstellung von Richtig und Falsch hat.

      Manchmal stelle ich meinen Klienten folgende Frage: „Wie viele von Ihnen haben sich jemals wütend genug auf Ihre Mutter gefühlt, um den Drang zu verspüren, sie eine Schlampe zu nennen?“ Normalerweise hebt die Hälfte oder mehr der Gruppenmitglieder die Hand. Dann frage ich: „Wie viele von Ihnen haben schon einmal diesem Drang nachgegeben?“ Alle Hände fallen nach unten, und die Männer werfen mir entsetzte Blicke zu, als hätte ich gerade gefragt, ob sie vor Grundschulen Drogen verkaufen. Dann frage ich: „Nun, warum haben Sie es nicht getan?“ Jedes Mal, wenn ich diese Übung mache, schießt die gleiche

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