Warum tut er das?. Lundy Bancroft
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Warum tut er das? - Lundy Bancroft страница 14
Als ich neu in der Beratung von misshandelnden Männer war, kollidierte mein eigener Mythos vom Kontrollverlust immer wieder mit den Realitäten, die in den Geschichten meiner ersten Klienten auftauchten. Kenneth gab zu, dass er immer das Licht dimmte und dann gegenüber Jennifer behauptete, dass sich an der Helligkeit nichts geändert hätte. Er versuchte, ihr so das Gefühl zu geben, verrückt zu sein (ich erinnere mich auch, dass er mir mit seiner offenen Kritik an den anderen Gruppenteilnehmern wegen ihrer mangelnden Sensibilität gegenüber ihren Partnerinnen aufgefallen war, denn er tat dies trotz seines eigenen missbräuchlichen Verhaltens). James erzählte mir, dass er manchmal etwas versteckte, das seine Partnerin dann suchte, wie z. B. ihre Handtasche oder ihre Autoschlüssel, und er darauf wartete, dass sie auf der Suche danach verzweifelte und frustriert wurde, um es dann wieder irgendwo sichtbar hinzulegen und darauf zu bestehen, dass es die ganze Zeit dort gelegen hätte. Mario berechnete die Entfernung von seinem Haus bis zum Supermarkt, und wenn seine Frau berichtete, dass sie tagsüber einkaufen war, überprüfte er den Kilometerzähler ihres Autos, um sicherzustellen, dass sie nirgendwo anders hingefahren war.
Als meine Kollegen David und Carole einmal für eine Konferenz einen Sketch über Missbrauch vorbereiteten, beschlossen sie, ihn zur Probe ihrer Klienten-Gruppe vorzuspielen. Danach überhäuften die Gruppenmitglieder meine Kollegen mit ihren Vorschlägen zur Verbesserung des Sketches, vor allem, was Davids Rolle anging: „Nein, nein, du entschuldigst dich nicht dafür, dass du zu spät nach Hause kommst, das bringt dich in die Defensive, du musst es umdrehen und ihr sagen, dass du weißt, dass sie dich betrügt … Du stehst zu weit von ihr weg, David. Machen Sie ein paar Schritte auf sie zu, damit sie weiß, dass Sie es ernst meinen … Sie lassen sie zu viel reden. Sie müssen ihr das Wort abschneiden und bei Ihren Punkten bleiben.“ Die Kollegen waren verblüfft, wie sehr die Klienten sich der Art ihrer Taktiken bewusst sind und warum sie sie anwenden: In der Aufregung, Feedback zu dem Sketch zu geben, ließen die Männer ihre Fassade als „außer Kontrolle geratene Täter, die nicht merken, was sie tun“ fallen.
Wenn wir uns in diesem Buch die Geschichten meiner Klienten näher ansehen, werden Sie immer wieder beobachten, wie viel Bewusstsein in ihre grausamen und kontrollierenden Handlungen einfließt. Gleichzeitig möchte ich aber auch nicht, dass der Eindruck entsteht, dass misshandelnde Männer bösartig sind. Sie kalkulieren und planen nicht jeden ihrer Schritte – obwohl sie öfter vorausschauend handeln, als man erwarten würde. Es ist nicht so, dass jedes Mal, wenn ein Täter einen Stapel Zeitungen auf den Boden fegt oder einen Becher an die Wand wirft, er sich im Voraus entschlossen hat, diesen Weg einzuschlagen. Um ein passenderes Bild zu erhalten, stellen Sie sich den Täter wie einen Akrobaten in einer Zirkusmanege vor, der zwar bis zu einem gewissen Grad „außer Rand und Band“ gerät, aber nie vergisst, wo die Grenzen sind.
Wenn einer meiner Klienten zu mir sagt: „Ich bin explodiert“ oder „Ich bin einfach durchgedreht“, bitte ich ihn, in Gedanken Schritt für Schritt durch die Momente zu gehen, die zu seinem missbräuchlichen Verhalten geführt haben. Ich frage: „Sind Sie wirklich ‚einfach explodiert‘, oder haben Sie sich an einem bestimmten Punkt entschieden, sich selbst grünes Licht zu geben? Gab es nicht einen Moment, in dem Sie entschieden, dass Sie ‚genug hatten‘ oder ‚es nicht mehr hinnehmen wollten‘, und Sie sich selbst die Erlaubnis gaben, das zu tun, worauf Sie Lust hatten?“ Dann sehe ich ein Flackern des Erkennens in den Augen meines Klienten, und er gibt in der Regel zu, dass es tatsächlich einen Moment gab, in dem er alle Vorbehalte über Bord geworfen hat, um mit der Horror-Show zu beginnen.
Selbst der körperlich gewalttätige Täter zeigt Selbstbeherrschung. In dem Augenblick, in dem zum Beispiel die Polizei vor dem Haus vorfährt, beruhigt er sich meist sofort, und wenn die Beamten eintreten, spricht er in einem freundlichen und vernünftigen Ton mit ihnen. Wenn die Polizei eintrifft, findet sie fast nie einen laufenden Kampf vor. Ty, ein körperlich Gewalttätiger, der jetzt andere Männer berät, beschreibt in einem Trainingsvideo, wie er aus seiner Wut ausstieg, sobald die Polizei vor dem Haus vorfuhr, und Süßholz raspelte: „Ich erzählte ihnen, was sie getan hatte. Dann schauten sie zu ihr, und sie war diejenige, die völlig außer Kontrolle war, weil ich sie gerade erniedrigt und in Angst versetzt hatte. Ich sagte zur Polizei: ‚Sehen Sie, ich bin nicht derjenige‘“. Ty schaffte es mit seinem ruhigen Auftreten und seiner Behauptung, sich nur selbst verteidigt zu haben, wiederholt, der Verhaftung zu entkommen.
Mythos Nr. 7:
Er ist voller Wut. Er muss lernen, mit seiner Wut umzugehen.
Vor einigen Jahren durchlebte die Partnerin einer meiner Klienten ein Martyrium, weil ihr zwölfjähriger Sohn (aus einer früheren Ehe) für mehr als achtundvierzig Stunden verschwunden war. Zwei Tage lang war Mary Beths Herz kurz vor dem Zerspringen, während sie durch die Stadt fuhr, um ihren Sohn zu suchen. Voller Panik rief sie alle an, die sie kannte, und gab das Foto ihres Sohnes bei der Polizei, in Zeitungen und Radiosendern ab. Sie schlief kaum noch. Währenddessen begann ihr neuer Ehemann Ray, der in einer meiner Gruppen war, langsam innerlich zu kochen. Gegen Ende des zweiten Tages explodierte er schließlich und schrie sie an: „Ich habe es so satt, von dir ignoriert zu werden! Es ist, als würde ich gar nicht existieren! Fick dich ins Knie!“
Wenn Menschen zu dem Schluss kommen, dass Wut zu Misshandlungen führt, verwechseln sie Ursache und Wirkung. Ray hat sich nicht missbräuchlich verhalten, weil er wütend war; er wurde wütend, weil er missbräuchlich war. Missbrauchende Männer haben Einstellungen, die Wut erzeugen. Ein nicht-missbräuchlicher Mann würde nicht erwarten, dass seine Frau sich in einer so schweren Krise emotional um ihn kümmert. Vielmehr würde er sich darauf konzentrieren, wie er sie unterstützen kann, und versuchen, das Kind zu finden. Es wäre zwecklos, Ray beizubringen, eine Auszeit zu nehmen, in Kissen zu schlagen, einen zügigen Spaziergang zu machen oder sich auf tiefes Atmen zu konzentrieren, denn sein Denkprozess wird ihn bald wieder wütend machen. In Kapitel 3 werden Sie sehen, wie und warum die Haltung eines Täters ihn wütend macht.
Wenn ein neuer Klient zu mir sagt: „Ich bin wegen meiner Wut in Ihrem Programm“, erwidere ich: „Nein, sind Sie nicht, Sie sind wegen Ihres missbräuchlichen Verhaltens hier.“ Jeder wird wütend. Tatsächlich erleben die meisten Menschen zumindest gelegentlich Zeiten, in denen sie überaus wütend sind, was in keinem Verhältnis zum eigentlichen Ereignis steht oder über das hinausgeht, was gut für ihre Gesundheit ist. Manche bekommen dadurch Geschwüre, Herzattacken oder Bluthochdruck. Aber sie misshandeln ihre Partner deswegen nicht zwangsläufig. In Kapitel 3 werden wir einen Blick darauf werfen, warum misshandelnde Männer dazu neigen, so wütend zu sein – und warum ihre Wut zugleich nicht wirklich das Hauptproblem ist.
Der explosive Wutausbruch des Missbrauchstäters kann Ihre Aufmerksamkeit von all der Respektlosigkeit, Verantwortungslosigkeit, dem Gerede über Sie, der Lüge und anderen missbräuchlichen und kontrollierenden Verhaltensweisen ablenken, die er selbst dann zeigt, wenn er gerade nicht wütend ist. Ist es Wut, die so viele Missbrauchende dazu bringt, ihre Partner zu hintergehen? Führt die Wut eines Täters dazu, dass er jahrelang die Tatsache verschweigt, dass eine frühere Freundin untergetaucht ist, um von ihm wegzukommen? Ist es eine Form von Explosivität, wenn Ihr Partner Sie unter Druck setzt, Ihre Freundschaften aufzugeben und weniger Zeit mit Ihren Geschwistern zu verbringen? Nein. Vielleicht kommen seine lautesten, offensichtlichsten oder einschüchterndsten Formen des Missbrauchs zum Vorschein, wenn er wütend ist,