Der Pontifex. Karla Weigand
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Aber auch der angeblich sozial fortschrittliche, demokratische Westen lässt in dieser Hinsicht mehr als zu wünschen übrig. Überall sind soziale Kälte und rücksichtsloses Gewinnstreben vorherrschend oder auf dem Vormarsch.
So ist es nur verständlich, dass sich nicht nur die Augen katholischer Gläubiger voll Erwartung und Hoffnung auf den neuen Papst richten. Er hat zwar „keine Armeen zur Verfügung“, wie mal jemand treffend festgestellt hat, aber ein mahnendes Wort von ihm als einer moralischen Instanz gilt immer noch etwas – hofft man zumindest.
„Und er wird jede Träne abwischen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch wird Trauer noch Geschrei noch Schmerz mehr sein. Die früheren Dinge sind vergangen.“
(Johannes, Offenbarung 21, 4)
„Immerhin fünf der mir vorausgegangenen Päpste mit dem Namen Leo zählen zum Kreise der Heiligen, die ich ganz besonders verehre“, betont der Heilige Vater in seiner allerersten Stellungnahme vor laufenden Fernsehkameras.
Die katholische Welt, sofern sie noch existiert, ist begeistert! Der Neue schaut nicht nur fantastisch und für seine immerhin zweiundfünfzig Lebensjahre noch sehr jugendlich aus, er wirkt auffallend athletisch und es steht zu erwarten, dass dieser schwarze Diener Gottes über Jahrzehnte hinweg den irritierten Gläubigen den rechten Weg weisen wird in eine Zukunft voll Frieden und Gerechtigkeit. Auf ihm ruhen im Augenblick die Hoffnungen vieler, in die Jahre gekommener Kardinäle ebenso wie die junger Laienkatholiken. Hoffnungen auf eine Erneuerung, die diesen Namen auch verdient, und auf eine Wiederbelebung einer über zweitausend Jahre alten Institution, die mittlerweile längst bedenklich an Strahlkraft und vor allem massiv an Autorität eingebüßt hat.
Einige seiner letzten Vorgänger auf dem Stuhle Petri, allesamt glühende Marienverehrer, sind zwar darauf bedacht gewesen, besonders die Jugend für die Kirche und ihre Ideale zu gewinnen und zu begeistern. Letzten Endes sind sie gescheitert, die Kirche erneut zu jenem Erfolgsmodell werden zu lassen, welches sie einst (jeglicher berechtigten Kritik zum Trotz) über Jahrhunderte gewesen ist.
Papst Leo XIV., bisher als Kardinal Maurice Obembe, zumindest in Europa nach außen hin sehr unauffällig, gilt offiziell als gemäßigt, auf ehrlichen Ausgleich mit anderen christlichen Glaubensbrüdern bedacht und vor allem als absolut tolerant gegenüber Anhängern anderer Religionen. Ob und wieweit dieser Ruf der Wahrheit entspricht, wird die Zukunft zeigen.
DEMÜTIGE KNIEBEUGE
„Wenn der Gerechte ruft, so hört ihn der Herr.“
(Psalm 34, 18)
Seine Heiligkeit, seit seiner Jugend unter Schlaflosigkeit leidend, vermag auch in den ersten Tagen nach seiner Wahl zum Pontifex in den Nächten keine Ruhe zu finden. Ruhelos und innerlich aufgewühlt wandert er in seinem Schlafzimmer umher, einem Raum, der ihm keineswegs zusagt. Die Größe mag ja noch angehen, aber das Mobiliar? Da wird er schleunigst für eine ihm genehme Ausstattung sorgen.
„Warum nicht mein afrikanisches Erbe betonen?“, fragt er sich laut, während er schon zum zehnten Mal die Strecke von der Tür bis zu den bodenlangen Fenstern durchmisst. Er hat es schon immer gemocht, laut mit sich selbst zu sprechen und gedenkt nicht, dies noch zu ändern. Außerdem ist er allein; abgesehen von Paddy, seinem Leibdiener. Aber der gehört ja gewissermaßen zum Inventar.
„Das ist das Angenehme daran: Vor ihm brauche ich mich nicht zu verstellen und muss mir keinerlei Hemmungen auferlegen.“
Leo XIV. klatscht in die Hände vor Vergnügen, als er überlegt, dass es nun an ihm liegt, das über Generationen gepflegte Gelübde, das alle jeweils ältesten Söhne der Obembe-Familie seit den „Tagen des Elends“ abgelegt haben, zu erfüllen: Vergeltung zu üben für die Schmach, die die Kolonialmacht Deutschland ihnen zugefügt hatte.
Wie hatte es Elisa, die Frau seines Ururgroßvaters, Mkwa Obembe, und Mutter des kleinen Maurice, seines Urgroßvaters, kurz vor ihrem Entweichen aus dem Sklavenquartier ihres weißen Bwanas ausgedrückt? Der Heilige Vater fühlt sich zeitlich zurückversetzt, ganz so, als wäre er selbst jener Knabe. Er kann das so oft Gelesene frei aus dem Gedächtnis heraus zitieren:
„Die Weißen haben uns alles genommen: unsere Freiheit, unser fruchtbares Land, unser Vieh, unsere Leute, sogar unsere Religion – und letztlich auch unseren Stolz!
Und was haben sie uns stattdessen „großzügig“ gebracht? Karge Wüstenlandschaften, in denen nichts wächst, demütigende Almosen, ihre Gier nach dem Fleisch junger schwarzer Frauen und das Gefühl tiefster Erniedrigung – sowie ihren angeblichen „Sohn Gottes“, diesen Jesus, der sich selbst nicht retten konnte und elendiglich, an ein Kreuz genagelt, krepieren musste. Fluch und Schande über sie! Vergiss das niemals, mein Sohn, und traue unter keinen Umständen einem Weißen!“
Eindringlich hatte Elisa dabei ihren Ältesten, der damals erst sechs Jahre alt war, angesehen und fest umarmt, ehe sie weitersprach.
„Irgendwann wird der Tag der Abrechnung kommen. Versäume ihn nicht! Falls du dennoch aus irgendeinem Grund nicht in der Lage sein solltest, ihn wahrzunehmen, schwöre mir bei deiner Seele, dass du mein Vermächtnis genauso an deinen Erstgeborenen weitergeben wirst, damit er an deiner statt Rache üben kann.“
Dem kleinen Jungen war seine Mutter wie eine große Prophetin erschienen, noch viel mächtiger als Setuba, die uralte Seherin ihres Volkes, die dem Dolchstoß eines deutschen Offiziers beim Angriff auf ihr Dorf zum Opfer gefallen war. Weil sie ihn lauthals verflucht hatte, hatte der Eindringling die weise alte Frau niedergestochen …
„Irgendwann in der Zukunft wird die Unterdrückung unseres Volkes ein Ende haben und einer aus dem Volk der Wahehe und unserer Familie der Obembes wird die unsägliche Erniedrigung tilgen, die die weißen Teufel über uns gebracht haben!“
Zwar hatte der sechsjährige Maurice nicht alles verstanden; aber den feierlichen Ernst, mit dem Elisa ihn ermahnt hatte, sowie das brennende Feuer in ihren schwarzen Augen vermochte er niemals zu vergessen.
Zeitlebens hatte Elisa es den deutschen Okkupanten nicht verziehen, ihr den Mann und ihren Kindern den Vater genommen zu haben. Sie hatten Mkwa nach der letzten von drei kriegerischen Auseinandersetzungen, nachdem es ihnen endlich aufgrund ihrer hundertfach überlegenen Bewaffnung gelungen war, ihn zu besiegen, wie einen tollwütigen Hund erschlagen. Er hatte es nämlich geschafft, sich der unwürdigen Bestrafung durch Hängen im allerletzten Augenblick durch Flucht zu entziehen …
Der Heilige Vater weiß, wie es weitergeht im Tagebuch seines Vorfahren Maurice, jenes Jungen, der als Erwachsener seine Erlebnisse schriftlich festgehalten hatte:
„Drei Tage lang hatten sie meinen Vater durch den Busch verfolgt und wie ein Tier gehetzt, ehe sie den verletzten und halb verhungerten Häuptling unter Zuhilfenahme von schwarzen Askaris, die Bluthunde mit sich führten, stellten und auf der Stelle erschlugen, aus Angst, der noch erstaunlich kräftige Krieger könnte ihnen erneut entwischen.“
„Um seine Leiche für immer verschwinden zu lassen, mein Sohn“, hatte ihm Elisa noch eindringlich vor Augen geführt, „und seinen Anhängern damit die Möglichkeit zu rauben, ihn ehrenvoll zu bestatten und sein Grab zu einer Gedenkstätte werden zu lassen,