Film- und Fernsehanalyse. Lothar Mikos

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Film- und Fernsehanalyse - Lothar Mikos

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könnte. Wenn sie jedoch in einer diffusen Stimmung freudiger Erwartung ist, wird sie wahrscheinlich auch noch dem langweiligsten Gespräch in einer Talkshow etwas abgewinnen können und eben nicht entnervt den Fernseher ausschalten.

      Um Filme und Fernsehsendungen in ihrem kommunikativen Verhältnis zu den Zuschauern zu analysieren, muss nicht im obigen Sinn zwischen Affekt, Emotion und Mood unterschieden werden. Stattdessen reicht es meines Erachtens aus, zwei grundlegende Arten von Emotionen zu unterscheiden (vgl. Mikos 2001a, S. 110 ff.): sogenannte Erwartungsaffekte, die in einem engen Zusammenhang mit Kognitionen stehen, und Emotionen als situative Erlebnisqualität und sinnliche Erfahrung, die auf früheren, lebensgeschichtlich bedeutsamen Erfahrungen der Zuschauer beruhen. Dies geht weiter als die rein psychologischen Bestimmungen, da Emotionen hier nicht als isolierte, intraindividuelle Erregungsstufen, sondern in Beziehung zur sozialen Realität der Rezipienten gesehen werden. Denn Emotionen können nur im situativen Rahmen sozialer Interaktionen auftauchen. Sie sind ebenso wie die Kognitionen notwendiger Bestandteil der Interpretation von Situationen; ohne sie kann das Subjekt nicht handeln. Die »je aktuellen Gefühle sind ein relevanter und unverzichtbarer Teil dafür, daß der Mensch aktiv handelt und erlebt, wie er es tut, also ein inhärenter Bestandteil seiner Interpretation« (Krotz 1993, S. 112). Das wird auch in Bezug zur Film- und Fernsehrezeption deutlich. So hat Ed S. Tan (1996, S. 195 ff.) ein Modell des Emotionsprozesses in Bezug auf die Spielfilmrezeption vorgelegt. Er geht davon aus, dass die narrative Struktur eines Filmtextes ein Situationsmodell aufbaut, in dem eine emotionale Bedeutungsstruktur aufgehoben ist, und erst dadurch kommt es zu einer emotionalen Reaktion bzw. Antwort. Das ist nur möglich, weil Handlungssituationen – ob im Film oder im Alltag – grundsätzlich eine emotionale Bedeutungsstruktur aufweisen. Deutlich wird so, dass die Emotionen nicht nur von Figuren und Charakteren im Film oder der Fernsehsendung angeregt werden (vgl. Smith 1995), sondern auch von dramatischen Konflikten, die z.B. zu einer emotionalen Anspannung der Zuschauer führen können (vgl. Wuss 1999, S. 318 f.), sowie von den Interaktionsbeziehungen, die sich im »sozialen Kleinsystem« (Wulff) der Handlung eines Films ergeben. In diesem Sinn geht Hans J. Wulff (2002, S. 110) davon aus, dass sich z.B. Empathie nicht einfach auf einzelne Figuren richtet, sondern dass Spielfilme ein »empathisches Feld« aufbauen. Darunter versteht er imaginierte Szenarien, die als ein symbolischer Kontext »des sozialen Lebens, des Genres, der besonderen Handlung und des besonderen dramatischen Konflikts« (ebd.) gesehen werden, der sowohl in Geschichten als auch in Personenkonstellationen integriert ist. Figuren und Charaktere werden dann im Rahmen dieses symbolischen Kontextes wahrgenommen Die Filmwissenschaftlerin Margrethe Bruun Vaage unterscheidet daher zwischen dem »automatischen Nachvollzug des Gefühlszustands des Anderen anhand seiner Körperhaltung (körperbezogene Empathie)« und der imaginativen, bei der sich der Zuschauer »in seiner Vorstellung partiell in die Situation des Anderen versetzen und diese verstehen« kann (Bruun Vaage 2007, S. 101). Nur so kann sich Empathie entwickeln.

      Man kann zwischen positiven und negativen Erwartungsaffekten unterscheiden (vgl. Bloch 1985, S. 121 ff.). Angst, Schrecken und Verzweiflung zählen nach Bloch zu den negativen, Hoffnung und Zuversicht zu den positiven Erwartungsaffekten. Sie sind in der Regel unbestimmt, denn sie verweisen auf die Zukunft. In der Film- und Fernsehrezeption werden im Rahmen von filmischen und fernsehspezifischen Konventionen, Genremustern und narrativen Strukturen Situationen aufgebaut, die den Zuschauer in die Erwartung von Angst und Schrecken versetzen. Die Situation wird mithilfe der kognitiven Wissensbestände als eine interpretiert, die im Rahmen der künftigen Handlung Bedrohliches erwarten lässt. Erst wenn dies gelingt, werden die Zuschauer affektiv vereinnahmt. Die positiven Erwartungsaffekte Hoffnung und Zuversicht gehen nach Bloch auch mit der Erwartung von sogenannten »gefüllten« Affekten einher, die an Erinnerungsvorstellungen gebunden sind (ebd., S. 122). Die aufgebaute Erwartung zielt darauf ab, einen Möglichkeitsraum zu schaffen, in dem die Zuschauer aufgrund ihrer Erinnerungsvorstellung mit der Wiederbelebung vergangener Gefühle wie Freude, Liebe, Glück, Neid, Eifersucht usw. rechnen können. Da diese Gefühle generell an Situationen sozialer Interaktion gebunden sind, können sie anhand entsprechender Situationen in den Film- und Fernsehtexten wieder belebt und aus der Erinnerung heraus erneut empfunden werden. Emotionen stellen so eine situative Erlebnisqualität dar. Deutlich wird, dass Erwartungsaffekte und Emotionen durch die in den Film- und Fernsehtexten dargestellten Handlungssituationen im Kontext von Konventionen der Darstellung, Genremustern sowie narrativen und dramaturgischen Strukturen vorstrukturiert und angeregt werden. Die textuellen Strategien zielen damit auf die emotionalen Aktivitäten der Zuschauer ab. Filme und Fernsehsendungen sind in diesem Sinn zu den Affekten und Emotionen der Zuschauer hin geöffnet. In der Analyse können diese Strukturen in ihrer Funktionalität für die Zuschauer herausgearbeitet werden.

      Daneben sind Film- und Fernsehtexte aber auch zum praktischen Sinn der Rezipienten hin geöffnet. Der praktische Sinn regelt die routinisierten und rituellen Handlungen des Alltags, er ist an soziale Praktiken gebunden. Pierre Bourdieu (1976, S. 228 ff.) hat diese Praxisform durch die Analyse der kabylischen Gesellschaft entdeckt und später zu einer Kritik der theoretischen Vernunft weiterentwickelt, indem er dem praktischen Sinn eine eigene »Logik der Praxis« zuweist (vgl. Bourdieu 1987, S. 147 ff.), die völlig »in der Gegenwart und in den praktischen Funktionen« aufgeht (ebd., S. 167). Der praktische Sinn eines Objekts ist durch den Zusammenhang, den es in einer Handlung hat, bestimmt (vgl. auch Weiß 2001, S. 41 ff.). Auf diese Weise kann z.B. das Kino im Rahmen des praktischen Sinns dadurch bestimmt sein, dass man immer nur am Wochenende mit Freunden in ein Multiplex geht. Das wird zu einer routinisierten und rituellen Handlung, die vollzogen wird, ohne unbedingt ein Bewusstsein von ihr erlangen zu müssen. Genauso kann z.B. das Fernsehen als rituelles Objekt der Entspannung und Zerstreuung Bestandteil des praktischen Sinns sein. Da die Objekte aber an konkrete Praxisformen gebunden sind, können sie »in verschiedenen Praxiswelten Verschiedenes zum Komplement haben und daher je nach Art der Welt verschiedene, sogar entgegengesetzte Eigenschaften annehmen« (Bourdieu 1987, S. 158) und Bedeutungen haben. Im praktischen Sinn des alltäglichen Handelns in unterschiedlichen Situationen zeigt sich die Transformation der gesellschaftlichen Strukturen in subjektives Handeln nach den Prinzipien des Lebenssinns (vgl. Weiß 2000, S. 45). Der lebenspraktische Sinn von Film und Fernsehen ergibt sich aus den routinisierten und rituellen Handlungen der Menschen mit ihnen (vgl. Hartmann 2013; Meyen 2e in Huber/Meyen 2006; Pfaff-Rüdiger/Meyen 2007; Prommer 2012; Röser 2007; Röser u.a. 2010; zum Fernsehen im Alltag Mikos 2004, Mikos 2005; Röser/Großmann 2008 ). Der praktische Sinn des sozialen Handelns umfasst dabei »eine Art ›implizites Wissen‹ von der Relevanz, Bedeutung und Geeignetheit bestimmter Handlungsweisen, das sich im Akteur durch soziale Einübung und Erfahrung im fortlaufenden Handlungsvollzug eingelebt hat« (Hörning 2001, S. 162). Da Filme schauen und fernsehen als eingeübte Handlungen gelten können, die im Verlauf der Mediensozialisation routinisiert und ritualisiert wurden, offenbart sich der praktische Sinn gerade in den Gewohnheiten, die damit verbunden sind. Die Rezeption von Filmen und Fernsehsendungen wird zu einer gewohnheitsmäßigen performativen Praxis, die aber unterschiedliche Formen annehmen kann (vgl. Naab 2013; zu den Medienritualen von Paaren vgl. Linke 2010). Dabei spielt besonders der lebensweltliche Wissenshorizont als kulturelles Hintergrundwissen eine Rolle, allerdings nur in der Form, in der er sich in der sozialen Praxis zeigt.

      »Den regelmäßigen Handlungspraktiken unterliegen damit indirekt kulturelle Schemata, die in routinisierten Interpretationen und Sinnzuschreibungen der Akteure Eingang ins Handlungsgeschehen finden und dort als implizite Unterscheidungsraster wirken, die bestimmte Gebrauchsformen nahelegen und andere als unpassend ausschließen« (ebd., S. 165).

      Eine Form, in der sich der lebensweltliche Wissenshorizont in der Praxis zeigt, sind die handlungsleitenden Themen der Menschen. In ihnen zeigt sich »die spezifische soziale Prägung der Lebensphase« (Weiß 2000, S. 57; H.i.O.). Sie beziehen sich auf die gesamte Lebenssituation einer Person (vgl. Charlton/Neumann 1986, S. 31; Mikos 2001a, S. 89). Film- und Fernsehtexte sind sowohl zum praktischen Sinn der Menschen allgemein als auch zu ihren kulturell geprägten handlungsleitenden Themen hin geöffnet. Ihre textuelle Struktur bietet Raum für routinisierte und rituelle Aktivitäten in den lebensweltlichen Zusammenhängen und kulturellen Kontexten der Zuschauer. In der Analyse muss diese Struktur ebenso herausgearbeitet werden wie jene, die die kognitiven, emotionalen und sozial-kommunikativen Aktivitäten

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