Film- und Fernsehanalyse. Lothar Mikos

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Film- und Fernsehanalyse - Lothar Mikos

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auftreten und die Tipps an Freunde, Nachbarn, Kollegen und Familienmitglieder weitergeben (vgl. zum Konzept des Meinungsführers exempl. Schenk 2002, S. 320 ff.). In diesem Sinn können Film- und Fernsehtexte ihre Zuschauer anregen, sozial-kommunikativ aktiv zu werden und sie in die soziale Zirkulation von Bedeutung einzuspeisen.

      In der Analyse können die Strukturen der Film- und Fernsehtexte herausgearbeitet werden, die sie zum Wissen und der sozialen Kommunikation der Zuschauer hin öffnen. Allerdings müssen dabei Differenzierungen vorgenommen werden. So gibt es verschiedene Wissensformen, zu denen die Texte hin geöffnet sind. Peter Ohler (1994, S. 32 ff.) hat zwischen generellem Weltwissen, narrativem Wissen und dem Wissen um filmische Darbietungsformen unterschieden. Der »Rezipient muß mit Hilfe seines generellen Weltwissens aus den gezeigten Szenen Schlußfolgerungen hinsichtlich des nicht gezeigten Geschehens ziehen« (ebd., S. 35). Weltwissen ist also nötig, um z.B. Leerstellen zu füllen. Das Wissen darum, dass man im Restaurant nach dem Essen bezahlen muss und der Bedienung ein Trinkgeld geben sollte, gehört diesem generellen Weltwissen an. Des Weiteren weist Ohler dem narrativen Wissen bei der Verarbeitung filmischer Geschichten eine zentrale Rolle zu. Dabei handelt es sich um Wissen über typische Plots, Rollen von Protagonisten, Handlungssequenzen und Handlungssettings im Rahmen typischer Genres. Zum narrativen Wissen gehört z.B., dass ein Überfall, der von Polizisten beobachtet wird, eine Verfolgungsjagd nach sich ziehen kann und dass hier Gut gegen Böse kämpft. Dazu gehört das Wissen um die Rolle des Moderators in einer Gameshow ebenso wie das Wissen um den typischen Handlungsverlauf eines Fußballspiels, bei dem zwei Mannschaften in einem Stadion gegeneinander antreten, oder das Wissen darum, dass in einem Korrespondentenbericht in einer Nachrichtensendung der Korrespondent selbst irgendwann im Bild zu sehen sein wird. Dieses Wissen ist abstrakt und unabhängig von einem konkreten Moderator oder einem konkreten Korrespondenten, einem konkreten Stadion und den beiden konkreten Mannschaften. Die dritte Form des Wissens nach Ohler ist das Wissen über filmische Darbietungsformen. Einstellungsgrößen, Schnitte, Kameraperspektiven, Toneffekte, Musik und Montage sind einige »dieser formalen Mittel, die dem Rezipienten als Cues (Hinweise, L.M.) dienen, die das Verständnis der filmischen Narration erleichtern und narrationsbezogene Erwartungen generieren helfen« (ebd., S. 36). Hierzu gehört z.B. das Wissen, dass zwei Personen, die im Schnitt-Gegenschnitt-Verfahren aneinandergeschnitten sind, sich offenbar in einem Dialog befinden oder dass dramatische Musik ein spannendes Ereignis ankündigt. Das narrative Wissen und das Wissen um die filmischen Darbietungsformen sind miteinander verknüpft.

      In diesem Zusammenhang spricht Dieter Wiedemann (1993, S. 49) auch von »mentalen Dramaturgien«. In der Analyse kann nun herausgearbeitet werden, welches narrative Wissen erforderlich ist, um die Geschichte eines Films oder einer Fernsehsendung im Kopf entstehen zu lassen, und welches Wissen um filmische Darbietungsformen dabei eine Rolle spielt. Beide Wissensbestände stehen in Bezug zum Weltwissen. Es geht also nicht nur darum, was erzählt wird, sondern wie es erzählt wird und welche Rolle das für die Geschichte im Kopf spielt. Die Wissensformen sind nicht naturgegeben vorhanden, sondern müssen erst erworben werden. Der Umgang mit audiovisuellen Medien ist für jeden Menschen ein Lernprozess. In der audiovisuellen Sozialisation werden die Konventionen und Regeln von Film und Fernsehen erlernt. Daraus folgt, dass die Geschichten im Kopf unterschiedlich ausfallen, weil jeder Mensch eine andere mediale Lerngeschichte erlebt und erfahren hat. So hat z.B. jede Generation ihre eigenen Medienerfahrungen. Die Fernsehgeneration, die mit diesem Medium aufgewachsen ist, entwickelt andere Geschichten im Kopf als die Mitglieder der Generation, die ohne Radio und Fernsehen und nur mit dem Film als Medium aufgewachsen sind. Ebenso hängt z.B. das Verständnis eines Horrorfilms auch vom Wissen um die typischen Gestaltungs- und Erzählmuster des Genres ab. Wer dieses Wissen hat, wird eine andere Geschichte sehen als jemand, der keine entsprechenden Seherfahrungen aufweisen kann.

      Gegenstand der Film- und Fernsehanalyse müssen die textuellen Strategien sein, mit denen die kognitiven Aktivitäten der Zuschauer den Film im Kopf entstehen lassen. Ebenfalls analysiert werden müssen die Textstrategien, die die sozial-kommunikative Aneignung der Filme und Fernsehsendungen vorstrukturieren. Man kann sagen, dass über die sozial-kommunikativen Aktivitäten der Zuschauer die Filme aus dem Kopf wieder heraustreten und zu einem Bestandteil des sozialen Lebens werden, indem sie sich in die soziale Zirkulation von Bedeutungen in den gesellschaftlichen Diskursen einklinken.

      Filme und Fernsehsendungen stellen für Zuschauer auch ein Erlebnispotenzial dar. Sie werden aus Vergnügen angeschaut, weil man lachen oder auch weinen kann. Möglicherweise werden sie aber auch angeschaut, weil ihre Inhalte sich gerade mit spezifischen Lebensthemen der Zuschauer verbinden. Erlebnisse sind für den einzelnen Zuschauer im Kino- oder Fernsehsessel nur möglich, wenn sich der Film oder die Fernsehsendung in seine subjektiven Sinnhorizonte einfügt. Norbert Neumann und Hans J. Wulff haben auf diese »Zwischenstellung des Erlebnisses« hingewiesen:

      »Nun ist gerade die Zwischenstellung des Erlebnisses zwischen den Strukturen des Textes und den aus ihm stimulierten Bedeutungsproduktionen des Subjekts eine methodisch außerordentlich widerspenstige Tatsache. Das Erlebnis ist erst in der Erinnerung abgeschlossen, ist selbst aber eine offene geistige Tätigkeit. Das Erleben ist ein Prozess, eine aktualgenetische Austausch- und Wechselbeziehung zwischen Subjekt und Text. Erleben ist Übersetzen, weil das Bedeutungsangebot des Textes vermittelt werden muss mit den Sinnhorizonten des Erlebenden« (Neumann/Wulff 1999, S. 4).

      Im Film- und Fernseherleben vermischt sich das Soziale mit dem Subjektiven, denn sowohl die Texte als auch die Zuschauer sind in soziale und kulturelle Kontexte eingebunden. Das zeigt sich u.a. schon an der Abhängigkeit des Erlebnisses von der Rezeptionssituation: Während man sich im dunklen Kinosaal selbstvergessen dem Geschehen auf der Leinwand widmen und gegebenenfalls den kommunikativen Kontakt zu den Begleitern suchen kann, findet das Fernsehen im häuslichen Ambiente statt, wo zahlreiche Varianten von Störfaktoren bestehen können, die nicht vom Fernsehenden beeinflussbar sind, aber die involvierte, konzentrierte Hinwendung zum Bildschirm behindern – einmal abgesehen davon, dass die Aktivität »Fernsehen« häufig von anderen Tätigkeiten begleitet werden kann. Allerdings hängt das Erlebnis nicht nur von der Intensität der Zuwendung und dem Involvement ab, sondern vor allem von der Verbindung mit den subjektiven Sinnhorizonten. Es findet seinen Ausdruck im Subjekt: »Manchmal aber erfasst der Prozess des Erlebens die ganze Person, vermag Tiefenschichten der Erfahrung, des Wünschens oder der Moral zu aktivieren« (ebd., S. 5). Der Zuschauer ist bewegt oder gerührt, und die Zuschauerin kann sich vor Lachen kaum noch halten (vgl. Mikos 2011). In diesem Sinn sind Film- und Fernsehtexte nicht nur zum Wissen und zur sozialen Kommunikation der Zuschauer hin geöffnet, sondern auch zu den Emotionen und Affekten sowie zum praktischen Sinn.

      Emotionen und Affekte spielen für das Film- und Fernseherleben eine entscheidende Rolle. »Das Kino ist seit jeher ein privilegierter Ort für Emotionen, und wer über Film und Filmerleben redet, schließt dabei im Grunde stets die emotiven Wirkungen ein, denn sie gehören essenziell dazu« (Wuss 2002, S. 123). Zuschauer gehen schließlich ins Kino, »um sich den Emotionen auszusetzen« (Wulff 2002, S. 109). Das stellte auch schon Hugo Münsterberg im Jahr 1916 in seiner psychologischen Studie »Das Lichtspiel« fest. Dort heißt es: »Die Darstellung von Emotionen muß das Hauptanliegen des Lichtspiels sein« (Münsterberg 1996, S. 65). Emotionen und Affekte treten jedoch in Verbindung mit kognitiven Aktivitäten der Zuschauer auf, denn eine Szene muss verstanden und mit Bedeutung gefüllt werden, bevor die Zuschauenden affektiv berührt sein und Emotionen entwickeln können. Genauso müssen sie die Gefühle der Figuren verstehen können, bevor sie möglicherweise in einem Akt der Empathie mitfühlen. Emotionen sind ohne Kognitionen nicht denkbar. In der Psychologie wird in der Regel zwischen Affekt, Emotion und Mood unterschieden (vgl. dazu Kaczmarek 2000, S. 260). Während Emotionen als innere mentale Zustände gesehen werden, sind Affekte auf ein Objekt gerichtet und »Aspekte der Ereignisbewertungen durch das Subjekt« (ebd., S. 261). Unter Mood (Stimmung) wird ein diffuser Zustand eines Subjekts verstanden, der bestimmte emotionale Bewertungen wahrscheinlicher erscheinen lässt als andere. Wenn ein Zuschauer in einer diffusen Stimmung der Unlust ist, wird es wahrscheinlicher, dass er verschiedene Fernsehsendungen, durch die

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