Film- und Fernsehanalyse. Lothar Mikos

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Film- und Fernsehanalyse - Lothar Mikos

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Zugleich kann der Text darauf vertrauen, dass die Zuschauer ihr Wissen aktivieren und so ihren Teil zur Geschichte beitragen. Das gilt auch für die Hollywood-Blockbuster zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die verschiedene Genreelemente mischen, um ein möglichst großes Publikum zu erreichen (vgl. Mikos u.a. 2007, S. 19 ff.; Schweinitz 2006, S. 90 ff.; Thompson 2003). Wer nicht um die Genrekonventionen eines Films weiß, wird keine entsprechenden Erwartungen an den Film haben und demzufolge eine andere Geschichte im Kopf entwickeln als ein Zuschauer mit Genrekenntnissen.

      Intertextualität spielt als Kontext eine wichtige Rolle. Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass mit Intertextualität die Beziehung eines Film- oder Fernsehtextes zu anderen Texten gemeint ist (vgl. Mikos 1999; Pearson 2014). Das können andere Film- und Fernsehtexte sein, aber auch andere mediale Texte wie ein Roman oder ein Gemälde. Intertextualität ist für die Film- und Fernsehanalyse vor allem dann wichtig, wenn die Bedeutung eines Film- oder Fernsehtextes über und durch die Referenzen zu anderen Texten produziert wird.

      Jeder neue Film und jede neue Fernsehsendung tritt in ein bereits vorhandenes Universum von Texten ein, das alle bisher produzierten Filme und Fernsehsendungen umfasst. Das ist die produktionsästhetische Perspektive der Intertextualität. Jeder neue Film von Quentin Tarantino steht nicht nur im Kontext aller früheren Filme dieses Regisseurs, sondern auch im Kontext aller anderen amerikanischen Filme, aller europäischen Filme, aller Western usw. Jede neue Quizshow im Fernsehen steht im Kontext aller anderen Quizshows, aber auch im Kontext aller anderen Shows mit dem jeweiligen Moderator. Jeder Film- und Fernsehtext steht also in einer Vielzahl von kontextuellen Bezügen zu anderen Texten. Andererseits wird kein Text unabhängig von den Erfahrungen und Erlebnissen mit anderen Texten rezipiert (vgl. Eco 1987, S. 101), d.h., dass Filme und Fernsehsendungen immer in dem Kontext der Rezeption anderer Filme, Fernsehsendungen und weiterer Medien der Populärkultur gesehen werden. Das ist die rezeptionsästhetische Seite der Intertextualität. Jede neue Episode einer Krimireihe wie »Navy CIS«, »Criminal Minds« oder »Mord mit Aussicht« wird vor dem Hintergrund aller anderen Folgen dieser Reihe sowie vor dem Hintergrund aller anderen Kriminalserien betrachtet, die der jeweilige Zuschauer in seinem bisherigen Leben rezipiert hat. Jede romantische Komödie mit Sandra Bullock in der Hauptrolle wird vor dem Hintergrund aller Filme mit dieser Schauspielerin, aller romantischen Komödien, aber z.B. auch aller Melodramen, die der jeweilige Zuschauer bisher gesehen hat, angeschaut.

      Die im Verlauf der sogenannten Mediensozialisation gesammelten Erfahrungen und Erlebnisse mit Medientexten gehen in die intertextuelle Enzyklopädie ein, die den kontextuellen Rahmen für die Produktion von Bedeutungen bildet. Intertextualität ist kein statischer Zustand, sondern ein dynamischer Prozess, der sich erst in der Interaktion der Zuschauer mit Film- und Fernsehtexten realisiert. Jede neue Rezeptionserfahrung erweitert die Enzyklopädie. Jeder neue Film und jede neue Fernsehsendung erweitert das Universum der Texte. Dadurch ist auch die Position eines einzelnen Films oder einer einzelnen Fernsehsendung nicht statisch, sondern verschiebt sich im Verlauf der Produktions- und Rezeptionsgeschichte. Jeder neue Thriller bedeutet z.B. eine Verschiebung der Bedeutung von »alten« Thrillern des Regisseurs Alfred Hitchcock, jede neue Show mit dem Moderator Jörg Pilawa lässt seine alten Shows in einem neuen Licht erscheinen, ebenso wie die alten Hitchcock-Filme und die alten Pilawa-Shows die Bedeutungsproduktion des neuen Thrillers und der neuen Show beeinflussen.

      Da das Universum der Texte, in dem sich alle Film- und Fernsehtexte verorten, nicht nur aus Filmen und Fernsehsendungen besteht, spielt Intermedialität als ein Typus von Intertextualität (vgl. Hess-Lüttich 1997, S. 131) eine nicht unwichtige Rolle. Intermedialität bezeichnet »Mediengrenzen überschreitende Phänomene, die mindestens zwei konventionell als distinkt wahrgenommene Medien involvieren« (Rajewsky 2002, S. 13). Darunter kann die Reproduktion eines Textes aus einem Medium in einem anderen Medium verstanden werden. So kann z.B. jede Literaturverfilmung unter dem Gesichtspunkt der Intermedialität analysiert werden, indem untersucht wird, wie sich die spezifischen ästhetischen Codes des jeweiligen Mediums auf die Narration oder die Repräsentation auswirken und wie dadurch unterschiedliche Lesarten möglich werden.

      In den konvergierenden Medienumgebungen des 21. Jahrhunderts spielen crossmediale Vermarktungen und Transmedia Storytelling eine wichtige Rolle. In der Medienwissenschaft gibt es einige Konfusion bezüglich der Begriffe, die oft synonym für die Beschreibung der gleichen Phänomene verwendet werden. Grundsätzlich geht es bei einer crossmedialen Vermarktung darum, eine Geschichte oder ein Produkt über verschiedene Medien zu bewerben. Transmedia Storytelling geht dagegen davon aus, dass eine Geschichte gezielt über verschiedene Medien erzählt wird, sodass jederTeil auf jedem Medium zu einem tieferen Verständnis der Geschichte führt (vgl. Evans 2011, S. 19 ff.; Ryan 2013; Weaver 2013, S. 8 ff.). Die Nutzer haben dabei die Freiheit zu entscheiden, wie tief sie in eine Geschichte einsteigen wollen. Karin Fast (2012) spricht in dem Zusammenhang von transmedialer Unterhaltung, indem narrative Markenwelten geschaffen werden – solche transmedialen Markenwelten sind Franchise-Filme wie »Der Herr der Ringe«, »Der Hobbit«, »Matrix«, »Transformers« oder »X-Men« und Fernsehserien wie »Dexter«, »Fringe«, »Heroes«, »Lost« oder »True Blood«.

      Die Bedeutungen, die Zuschauer mit Film- und Fernsehtexten produzieren, sind eng mit den in einer Gesellschaft zirkulierenden Diskursen verknüpft. Daher spielt die Kategorie »Diskurs« als Kontext eine wichtige Rolle. Als Diskurs wird eine Praxis verstanden, in der Zeichensysteme benutzt werden, um eine soziale Praxis aus einem bestimmten Blickwinkel darzustellen (vgl. Fairclough 1995, S. 1 ff.). Daher ist es angebracht, von diskursiven Praktiken zu sprechen, die auf Formationen von Aussagen und Sets von textuellen Arrangements beruhen. Die enge Verbindung der diskursiven Praxis zu Repräsentationen wird an dieser Stelle bereits deutlich. Diskurse vermitteln einen bestimmten Blick auf die soziale Wirklichkeit und auf soziale Praktiken. Sie sind an Medien gebunden. Dabei ist zu bedenken, dass mediale Repräsentationen selbst Diskursereignisse sind, die Realität erst verfügbar machen (vgl. Fiske 1994, S. 4; Winter 1997, S. 56). Diskurse sind zentral, weil sie den Subjekten helfen, Sinn in die Konstruktion der sozialen Realität zu bringen (vgl. Casey u.a. 2002, S. 64), denn sie entfalten strukturierende Kraft. Zugleich sind sie von Macht und Herrschaft durchdrungen, wie Michel Foucault (2002; 2012) in seinen Analysen gezeigt hat. Die ausdifferenzierten Gesellschaften der westlichen Welt sind von einer Multidiskursivität gekennzeichnet (vgl. Fiske 1994, S. 4). Verschiedene Diskurse konkurrieren miteinander um die Vorherrschaft in der gesellschaftlichen Diskursordnung.

      Film- und Fernsehtexte als diskursive Praktiken fügen sich in die in der Gesellschaft zirkulierenden Diskurse ein. Damit werden sie selbst zu einem umkämpften Feld. Romantische Komödien können im Rahmen diskursiver Praktiken gesehen werden, die romantische Liebe zum Gegenstand haben, stehen damit aber zugleich in Konkurrenz zum Diskurs, der eine Beziehung rein ökonomisch-materiell sieht. Ein Film wie »Jurassic Park« greift den Diskurs um Gentechnologie auf. Ein erfolgreicher Film wie »Titanic« greift nicht nur den Diskurs um Liebe auf, sondern auch Diskurse um Klassengesellschaft, Fortschritt durch Technik und Naturgewalten. Ein Film wie »I, Robot« greift die Diskurse über künstliche Intelligenz auf. Ein Film wie »Django Unchained« greift Diskurse über Rassentrennung und Sklaverei auf. Ein Film wie »Das erstaunliche Leben des Walter Mitty« führt den Diskurs über Tagträume und ein abenteuerliches Leben jenseits des bürgerlichen Alltags fort und verhandelt auch Geschlechterdiskurse. Fernsehshows wie »Deutschland sucht den Superstar« oder »Germany’s Next Topmodel« greifen Diskurse um die Leistungsgesellschaft, beruflichen Erfolg, um Musikstile, um die Rolle von Prominenten in der Öffentlichkeit und um die Bedeutung von Schönheitsidealen auf. In Ärzte-Dramen wie »Grey’s Anatomy« oder »In aller Freundschaft« spielen Diskurse über Liebe am Arbeitsplatz, Ausbildung, Sterbehilfe, ethisches Handeln, Karriere, Altenpflege usw. eine wichtige Rolle. In Filmen und Fernsehsendungen überlagern sich mehrere Diskurse. Sie werden damit selbst zum Feld der Auseinandersetzung um die Durchsetzung von Bedeutungen. Dadurch sind auch verschiedene Lesarten möglich.

      In der Film- und Fernsehanalyse kann herausgearbeitet werden, welche Diskurse in einem Film- oder Fernsehtext eine Rolle spielen und wie die Texte sich dadurch im diskursiven Feld der Gesellschaft verorten. Damit wird u.a. möglich, verschiedene Lesarten zu bestimmen,

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