Film- und Fernsehanalyse. Lothar Mikos

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Film- und Fernsehanalyse - Lothar Mikos

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sowie die Personen und die Umgebungen, in denen diese Personen handeln. Erzählungen bedienen sich bestimmter Erzählstrategien, um das Publikum in die Geschichte einzubeziehen. Erzählstrategien sind daher immer mit Aktivitäten der Zuschauer verknüpft, die im Verlauf ihrer Mediensozialisation auch ein narratives Wissen erworben haben. Dieses narrative Wissen umfasst typische Handlungsstrukturen und -episoden, typische Protagonistenrollen, typische Erzählkonventionen und typische Plots (vgl. Ohler 1994, S. 34 f.). Peter Wuss hat drei Formen filmischer Strukturen herausgearbeitet, die einerseits mit Wahrnehmungsformen (Wuss 1999, S. 52 ff.) und andererseits mit sogenannten Basisformen filmischen Erzählens (ebd., S. 97 ff.) korrespondieren. Bei diesem »PKS-Modell« handelt es sich um perzeptionsgeleitete Strukturen, die auf Topikreihen in offenen Erzählformen basieren, um konzeptgeleitete Strukturen, die auf Kausalketten in geschlossenen Erzählformen beruhen, und um stereotypengeleitete Strukturen, die auf Story-Schemata und Erzählkonventionen basieren. Erzählformen und -strategien machen deutlich, dass Erzählungen nicht einfach eine Ereignis- und Handlungsabfolge chronologisch darbieten, sondern dass sie dramaturgisch gestaltet sind: »Dramaturgie ist eine strukturelle Eigenschaft von Erzählungen« (Eder 1999, S. 10), sie liegt dem »Aufbau des Werkes« zugrunde (Eick 2006, S. 37).

      Film und Fernsehen haben eigene Strukturen des Erzählens und der Dramaturgie ausgebildet, die sich teilweise von literarischen und theatralen Strukturen des Erzählens unterscheiden. Grundsätzlich geht Dramaturgie auf die dramatische Gestaltung einer Erzählung zurück. Als grundlegendes Prinzip der Filmdramaturgie nennt Peter Rabenalt (1999, S. 17) die »sichtbare Erzählung in zeitlichem Verlauf, bildliche Narration«. Dramaturgie steht so zunächst offensichtlich in Beziehung zu dem, was ein Film auf der Leinwand oder eine Fernsehsendung auf dem Bildschirm zeigt. Doch tatsächlich steckt mehr dahinter. Sie ist nicht nur »das System des Handlungsaufbaus einer Erzählung«, dessen Elemente Ereignisse der erzählten Geschichte sind, wie Jens Eder (1999, S. 12) meint, sondern Dramaturgie hat eine grundlegende Aufgabe, »die Strukturierung der Ereignisabläufe, das heißt der Handlungen und Begebenheiten in der Fabel oder Story zu dem Zweck, beim Zuschauer ein Interesse auf den Ausgang und das Ergebnis der Handlungen zu erregen« (Rabenalt 1999, S. 25). Im Zentrum der Dramaturgie stehen Konflikte, die Figuren aktiv werden lassen und die Handlung vorantreiben.

      Dramaturgie hat also die Aufgabe, die Kette von Ereignissen, in denen Personen handeln, so zu gestalten, dass bestimmte kognitive und emotionale Aktivitäten bei den Zuschauern angeregt werden. Es wird Wissen aufgebaut, und es werden Gefühle hervorgerufen. Die dramaturgische Gestaltung einer Erzählung macht diese z.B. spannend, komisch oder bedrohlich. Die Film- und Fernsehanalyse muss daher herausarbeiten, wie die Ereignisabläufe der Erzählung strukturiert sind. Denn nur so kann gezeigt werden, wie die Film- und Fernsehtexte die Rezeptionsaktivitäten der Zuschauer vorstrukturieren und die Geschichten in deren Köpfen entstehen lassen. Die dramaturgische Strukturierung der Erzählung legt fest, auf welche Art und Weise Informationen das Publikum erreichen und wie diese Informationen kognitiv und emotional verarbeitet werden (vgl. Elsaesser/Buckland 2002, S. 37). In Kapitel 2 in Teil II wird näher auf die theoretischen Aspekte eingegangen, sofern sie für die Analyse von Bedeutung sind.

      Die Analyse von Narration und Dramaturgie ist wichtig, weil sie die Grundlage für die Geschichten in den Köpfen der Zuschauer bilden und deren kognitives und emotionales Verhältnis zur Leinwand oder dem Bildschirm regeln. Das Erkenntnisinteresse in der Analyse kann sich dann z.B. darauf richten, wie Spannung in einem Thriller erzeugt wird, wie das empathische Feld in einem Melodram aufgebaut wird, wie die Komik in einer Sitcom (situation comedy) entsteht oder wie der Konflikt zwischen Protagonisten und Antagonisten in einer Krankenhausserie aufgebaut und gelöst wird. Wenn Dramaturgie die Handlungs- und Ereignisabläufe einer Erzählung strukturiert und Erzählung als Verkettung von Situationen gesehen werden kann, in der Personen agieren, dann wird deutlich, wie eng Narration und Dramaturgie von Film- und Fernsehtexten mit Figuren und Akteuren verbunden sind.

      Personen spielen in Filmen und Fernsehsendungen eine im wahrsten Sinn des Wortes wichtige Rolle. Nur in Natur- und Tierfilmen werden sie zu Randerscheinungen, wenn sie denn überhaupt vorkommen. In Spielfilmen und Fernsehserien haben sie eine wesentliche Funktion als Handlungsträger. Game- und Rateshows sind ohne Showmaster und Kandidaten nicht denkbar. Nachrichten und Magazine werden von Moderatoren präsentiert, und in den Beiträgen geht es häufig um menschliche Schicksale. Vor allem Talkshows wären ohne die Moderatoren und die auftretenden Gäste nicht denkbar. Personen, die in Film und Fernsehen auftreten, stellen etwas dar. Ihrer Darstellung liegt eine Inszenierung zu Grunde (vgl. Eder 2008, S. 325 ff.). Sie werden von Schauspielern oder realen Personen verkörpert.

      Die Analyse der Personen, Charaktere und Figuren in den audiovisuellen Medienprodukten ist aus zwei Gründen besonders bedeutsam: Zum einen sind die auftretenden Personen als Handlungs- und Funktionsträger für die Dramaturgie und die narrative Struktur der Film- und Fernsehtexte wichtig, denn die zu erzählende Geschichte wird oft aus der Perspektive einer der Figuren dargestellt, und es sind gerade die Interaktionsstrukturen und Rollenzuweisungen, die im Zentrum von Game- und Talkshows stehen. Zum anderen hängt die Wahrnehmung der auftretenden Personen durch die Zuschauer von den in der Gesellschaft und der Lebenswelt der Zuschauer kursierenden Bedeutungen und Konzepten von Selbst, Person und Identität ab. Mit und durch die Film- und Fernsehfiguren verständigt sich die Gesellschaft u.a. über ihre Identitäts- und Rollenkonzepte. In diesem Sinn haben die Figuren und Akteure eine wesentliche Funktion im Rahmen der Repräsentation für die Subjektpositionierung und Identitätsbildung der Zuschauer.

      Grundsätzlich muss unterschieden werden zwischen Figuren und Charakteren, die in fiktionalen Film- und Fernsehtexten auftreten, und Akteuren, die vor allem im Fernsehen spezifische mediale Funktionsrollen wie Moderator oder Showmaster übernehmen oder in dokumentarischen Film- und Fernsehformen vorkommen. Die Inszenierung von Figuren und Akteuren ist grundsätzlich zu dem Wissen und den Emotionen, der kommunikativen Aneignung und dem praktischen Sinn der Zuschauer hin geöffnet. Die kulturellen, lebensweltlichen Konzepte, die in der Wahrnehmung von menschlichen Wesen als Personen eine Rolle spielen, sind auch für die Wahrnehmung von Figuren und Akteuren in Film- und Fernsehtexten bedeutsam. Anhand welcher Kriterien und Merkmale werden menschliche Lebewesen als Personen wahrgenommen? Bereits in dieser Formulierung ist ein Kriterium enthalten: Es handelt sich bei Personen offenbar um menschliche Lebewesen. Doch allein das genügt nicht, denn auch künstliche Menschen, Außerirdische, Cyborgs und Roboter, die in Filmen oder Fernsehsendungen auftreten, werden als Personen wahrgenommen und identifiziert.

      Um ein Wesen als Mensch wahrzunehmen, muss es einen individuellen, menschlichen Körper haben, der durch Zeit und Raum einheitlich bleibt – es sei denn, er verändert sich durch biologische, chemische oder technische Prozesse, die auch im Film erklärt werden. Es muss ferner ein wahrnehmendes Wesen sein, das Gefühle und intentionale Zustände wie Überzeugungen oder Wünsche hat und zur Selbstwahrnehmung fähig ist. Außerdem muss es eine natürliche Sprache benutzen und verstehen können und die Fähigkeit zu eigenen Handlungen und zur Selbstinterpretation haben. Schließlich muss es ein Potenzial an Charaktereigenschaften und unveränderbaren Merkmalen besitzen (vgl. Eder 2008, S. 61 ff.; Smith 1995, S. 21). Um diesen Menschen als eine Person wahrzunehmen, bedarf es weiterer Kriterien: Er oder sie muss einen Namen haben, ein Geschlecht und ein Alter, eine Herkunft und eine Nationalität. All dies macht ihn oder sie von anderen unterscheidbar und identifizierbar, eben in der Differenz zu anderen. Diese Differenz macht sich auch in einigen der allgemeinen Kriterien für menschliche Wesen bemerkbar, z.B. in unterschiedlichen Charaktereigenschaften, Gefühlen und Wünschen und nicht zuletzt in unterschiedlichen Körpern.

      Lebensweltliches Wissen über soziale Typen, Persönlichkeitsprofile, Lebensstile usw. stellt die Muster bereit, die zur Interpretation der Figuren und Akteure sowie ihrer Einordnung in lebensweltliche Verweisungszusammenhänge beitragen. Wenn beispielsweise davon die Rede ist, dass Fernsehzuschauer das ständige Personal von Familienserien und Daily

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