Geschichte der deutschen Literatur. Band 3. Gottfried Willems

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Geschichte der deutschen Literatur. Band 3 - Gottfried Willems

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ihren „Gesetzen“, so auch ihrer Kunst und Literatur.

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      Fragen der Kunst und Literatur zur Geltung gebracht. Das literarische Kunstwerk ist für ihn wie jedes Artefakt zugleich ein Zeugnis der „allgemeinen Menschennatur“, ein Ausdruck des besonderen, individuellen „Genies“ seines Autors und die Manifestation eines bestimmten „Volksgeists“. Der „Volksgeist“ soll als Quelle des „Charakteristischen“ die Ebene bezeichnen, die zwischen der allgemeinen Menschennatur in ihrer unspezifischen Abstraktheit und der je besonderen Individualität des Autors vermittelt.

      In diesem Zusammenhang hat eine Sammlung „fliegender Blätter“ Berühmtheit erlangt, die Herder 1773 herausgab und an der auch der junge ­Goethe mitwirkte, eines der wichtigsten Dokumente des Sturm und Drang, das den Titel trägt „Von deutscher Art und Kunst“. Der Titel spricht für sich: was die Deutschen an Kunst hervorbringen, soll nun wesentlich als Ausdruck deutscher Wesensart begriffen werden. Übrigens kann man schon dieser Schrift ansehen, daß der Begriff des deutschen Wesens eine Konstruktion war, die nicht ohne Gewaltsamkeiten und Schiefheiten zustande zu bringen war. Die wichtigsten Beiträge des Sammelbands stammen vom jungen ­Goethe und sind Shakespeare und dem Straßburger Münster gewidmet. Shakespeare ist aber durchaus kein Beispiel für deutsche, sondern allenfalls für englische Art und Kunst, und die Gotik, die ­Goethe am Straßburger Münster bewundert, stammt aus Frankreich und nicht aus Deutschland; sie war zunächst die Kirchenbaukunst der französischen Könige. Beides, Shakespeare und die Gotik, wird hier aber für eine spezifisch deutsche Kultur reklamiert – was da als „deutsche Art und Kunst“ behauptet wird, ist offensichtlich von Anfang an krumm und schief.

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      nennen, wie sie ihre Arbeit wesentlich als eine deutsche Antwort auf die Franzö­sische Revolution verstanden. Bei ihnen wird die Ebene des „Volksgeists“ nach und nach wichtiger als alles andere, wichtiger als die Ebenen der „allgemeinen Menschennatur“ und des individuellen „Genies“ eines Autors.

      Weltliteratur vs. Nationalliteratur

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      Nationalismus und Germanistik

      Aber was ­Goethe auch immer in diesem Sinne unternahm – der Gedanke der Nationalliteratur war nicht mehr aufzuhalten, er setzte sich durch, und ­Goethe wurde als Zentralfigur der deutschen Literatur für ihn vereinnahmt, wurde zum „klassischen deutschen Nationalautor“ ausgerufen, und sein Werk zum Höhepunkt und Inbegriff einer deutschen Nationalliteratur. Man kann diese Vereinnahmung auch eine Fälschung nennen. Zur wichtigsten Werkstatt solcher Falschmünzerei wurde aber bald schon die neue Wissenschaft der Germanistik. Mit

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      einer Lüge hat sie das Licht der Welt erblickt, der schiefe Blick war ihr Geburtsfehler, und manchmal möchte man meinen, daß er bis heute ihr Markenzeichen geblieben sei, wenn sie sich seither natürlich auch in manch anderen Formen des Schielens geübt hat.

      Schon jetzt dürfte deutlich sein, wie wichtig es ist, sich bereits bei der ersten Annäherung an die Literatur der ­Goethezeit Rechenschaft vom Klassik-Mythos zu geben. Solche Rechenschaft ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, etwas von dem in den Blick zu bekommen, was diese Literatur ursprünglich war und sein wollte. Dabei handelt es sich offensichtlich nicht nur um das Abtragen eines historischen Firnis, sondern um sehr viel mehr, nämlich um die Neutralisierung dessen, was die Fälscherwerkstatt des Nationalismus aus dieser Literatur gemacht hat. Die eifrigsten Arbeiter in dieser Fälscherwerkstatt waren aber nun einmal die Germanisten; sie mußten es sein, denn die raison d’être ihrer Disziplin war zunächst eben nichts anderes, als die Literatur der ­Goethezeit als Blütezeit der deutschen Nationalliteratur zu erweisen, sie als Raum der Epiphanie des deutschen Wesens darzustellen und in Erinnerung zu halten.

      Die Ausarbeitung des Klassik-Mythos zur Klassik-Doktrin

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