Geschichte der deutschen Literatur. Band 3. Gottfried Willems
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Zu dieser Gruppe gehören die meisten der namhaften deutschen Autoren, allen voran die Weimarer Größen: Wieland, Goethe, Herder, Schiller. Sie wollen in der Französischen Revolution nicht so sehr die logische Folge und Vollendung der Aufklärung sehen denn vielmehr einen überstürzten Versuch zur Umsetzung ihrer Ziele, einen Versuch, der wegen der Ungeduld und Radikalität der Revolutionäre drauf und dran sei, alles zu verderben, was die Aufklärung auf den Weg gebracht hatte. Die Französische Revolution gilt hier nicht als Vollendung, sondern als Desavouierung der Aufklärung, als eine Blamage, die man um so heftiger empfindet, je mehr man sich mit den Zielen der Aufklärung identifiziert.
Hier heißt Aufklärung mithin Reform und nicht Revolution; hier glaubt man, daß der aufgeklärte Kopf, gerade weil er sich am Vorbild
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der Natur orientiere, nicht auf den radikalen Bruch mit dem Alten setzen könne, sondern das Neue, Bessere immer nur im Zuge einer „organischen Entwicklung“ anstreben werde; daß er nicht in spektakulären geschichtlichen Aktionen die Erlösung der Menschheit von allem Übel suche, sondern in der geduldigen Arbeit an vielen kleinen Entwicklungsschritten auf pragmatische Lösungen ausgehe. Der Aufklärer, so denkt man hier, sucht immer den Mittelweg und meidet Extremismus und Radikalismus; er wirft das Alte nicht einfach über Bord, sondern weiß es differenziert zu würdigen, verwirft nur, was er als unfruchtbar erkennt, und sucht die produktiven Momente der Tradition weiterhin zu nutzen. Und in der Tat: mit dieser Sicht der Dinge ist diese dritte Gruppe von Intellektuellen näher bei der Aufklärung des 18. Jahrhunderts als die Radikalen unter den Revolutionären in Frankreich.
So bereitet es den Angehörigen dieser dritten Gruppe auch größtes Unbehagen, mit ansehen zu müssen, welche tiefen Gräben die Jakobiner und die Gegenaufklärer mit ihrem Nationalismus zwischen den Völkern aufreißen. Der aufklärerische Glaube an die natürliche Gleichheit aller Menschen verbietet es ihnen ebensowohl, eine Überzeugung wie die der Jakobiner zu teilen, daß die französische Nation mit ihrem revolutionären Modernismus allen anderen Nationen überlegen sei, wie sich auf den Gedanken der deutschen Romantiker einzulassen, daß die Franzosen von Natur aus zu einer oberflächlichen Vernünftelei geneigt seien, die Deutschen hingegen zu einem Tiefsinn, der tiefer reiche als alle französische Vernunft.
In diesem Sinne haben sich Männer wie Goethe in den Jahren nach 1789 darum bemüht, mit ihren aufklärerischen Überzeugungen Kurs zu halten, haben sie alles versucht, um die Fahne der Aufklärung weiterhin hochzuhalten. Für sie galt es, all das, was sie an der Französischen Revolution als Blamage des aufklärerischen Denkens empfanden, zu verwinden, ohne in das Fahrwasser der romantischen Gegenaufklärung zu geraten.24
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Napoleon
Das revolutionäre Frankreich hat sich bekanntlich bald wieder aus dem Chaos der Terreur herausgearbeitet und zu neuen Ordnungsstrukturen gefunden, vor allem dank des Revolutionsgenerals Napoleon Bonaparte, der 1799 Erster Konsul der Republik wurde und diese Republik 1804 in ein Kaiserreich verwandelte, um sich selbst zu dessen Kaiser zu krönen. Das politische System Napoleons war eine außerordentlich effiziente Mischung zwischen Errungenschaften der Revolution und dem alten Prinzip der Monarchie. So ist es Napoleon zeitweise gelungen, den größten Teil Europas zu unterwerfen; einzig bei England und Rußland blieb ihm der Erfolg verwehrt. Was Deutschland anbelangt, hat Napoleon nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt (1806) die beiden wichtigsten Mächte, Österreich und Preußen, niederwerfen und das „Heilige Römische Reich deutscher Nation“ zerschlagen können. Der Wiener Kaiser legte die deutsche Kaiserkrone nieder und nannte sich nur noch Kaiser von Österreich, weite Teile Deutschlands wurden in einem sogenannten Rheinbund an Frankreich angeschlossen, erhielten eine französische Besatzung und mußten Kontributionen und die Aushebung von Soldaten für die Kriege Napoleons über sich ergehen lassen.
Nationalromantik
Das sind nun eben die Jahre, in denen ein Großteil der Deutschen und ihrer Literatur zugleich romantisch und nationalistisch wurden, in denen sich romantische und nationalistische Vorstellungen zur „Nationalromantik“ verbanden und in den Mittelpunkt der kulturellen Bestrebungen traten. Da die politisch Interessierten unter der französischen Fremdherrschaft zur Untätigkeit verdammt waren, konzentrierten sie sich darauf, den Haß gegen die Franzosen zu schüren, und in einem Atemzug damit einen Haß auf die Revolution und die Kultur der Aufklärung, aus der sie hervorgegangen war; und sie scheuten keine theoretischen Mühen, um dem allem einen tiefen weltgeschichtlichen Sinn zu unterlegen. Zugleich widmete man sich der Besinnung auf die wahre „Deutschheit“, auf die deutsche Eigenart und die große deutsche Vergangenheit. Ein nationales Wir-Gefühl machte sich breit, wie man es bis dahin in Deutschland noch nicht gekannt hatte. Die Zerschlagung des deutschen Reichs führte dazu, daß man sich auf des alten Reiches Herrlichkeit besann, auf das Mittelalter mit seinen römisch-deutschen Kaisern und seiner Ritterherrlichkeit, seiner tiefen Frömmigkeit, seinen Kreuzzügen und
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vielem anderem mehr, in dem man die reine „Deutschheit“ am Werk sehen wollte. Die romantische Bewegung richtete ihren Blick nun immer fester auf die Vergangenheit, wurde immer nationaler, frömmer und konservativer.
„Befreiungskriege“ und Restauration
Dieser Geist der Nationalromantik entlud sich dann in den sogenannten „Befreiungskriegen“ von 1813/15. Napoleon wurde nach dem gescheiterten Versuch zur Eroberung Rußlands und dem Verlust der „Völkerschlacht“ bei Leipzig aus Deutschland herausgeworfen, bis nach Paris verfolgt und abgesetzt. Auf dem Wiener Kongreß (1814/15) wurde dann die europäische Staatenwelt neu geordnet. In Deutschland machte sich das „System Metternich“ breit, benannt nach dem leitenden Minister Österreichs Clemens von Metternich (1773–1858) und basierend auf der „Restauration von Thron und Altar“, der Erneuerung der alten Monarchien und Kirchen.25
Aber diese gegen die Revolution gerichtete Restauration der alten Mächte hatte denn doch einige Schönheitsfehler. Das Deutsche Reich wurde nicht wirklich wiederhergestellt, es gab keinen deutschen Kaiser mehr, nur noch einen Bund deutscher Fürsten, den „Deutschen Bund“. Die Herren der größeren deutschen Fürstenstaaten wie Bayern und Württemberg rückten die kleineren Fürstentümer und das Kirchengut nicht wieder heraus, die sie ihren Ländereien als Satrapen Napoleons hatten einverleiben können. Und die Ideen der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Volkssouveränität, Verfassungsstaat mit gewähltem Parlament, Gleichheit vor dem Gesetz – ließen sich in den Köpfen der Menschen nicht einfach wieder ausknipsen; es blieb eine Grundunruhe in der Gesellschaft, ganz besonders aber unter den Intellektuellen und Literaten.
Viele Fürstenstaaten gaben sich nun immerhin eine Verfassung und wurden zu konstitutionellen Monarchien, als erster in Deutschland das Herzogtum Sachsen-Weimar, übrigens auf Betreiben des Herzogs Carl August selbst und gegen den Willen seines Rats Goethe. Erst später
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hat Goethe dafür ein Verständnis entwickelt und die Entscheidung gut geheißen, nachzulesen etwa in den „Noten und Abhandlungen zum West-östlichen Divan“ (1819). Und das „System Metternich“ überdauerte am Ende weniger durch die heilige Allianz von „Thron und Altar“ als vielmehr durch die Zensur und das Spitzelwesen, mit dem es die aufmüpfigen Intellektuellen in Schach hielt, durch die