Politische Ideengeschichte. Ralph Weber

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Politische Ideengeschichte - Ralph Weber

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von theoretischen Werkzeugen enthalten; sie artikulieren Annahmen, entwickeln Konzepte, konstruieren Argumente und liefern Antworten. Wenn wir uns mit gegenwärtigen Problemen auseinandersetzen, können wir auf dieses Sammelsurium von theoretischen Werkzeugen zurückgreifen und sie uns zunutze zu machen versuchen. Einige dieser Werkzeuge erweisen sich vielleicht als geeignet, Antworten auf heute dringliche Fragen zu finden; andere mögen uns helfen, die entscheidenden Fragen überhaupt zu stellen oder an unsere Zwecke angepasste Werkzeuge nachzubauen; und selbst Werkzeuge, die sich als dysfunktional erweisen, können uns immerhin lehren, welche Fragen wir nicht zu stellen brauchen oder welche Antworten wir verwerfen müssen.

      Neben dem Zweck der Bergung von potenziell nützlichen politiktheoretischen Werkzeugen hilft die Beschäftigung mit der politischen Ideengeschichte uns zur Klärung, was politisch der Fall, möglich und wünschenswert ist, indem sie unser historisches Bewusstsein schärft. Indem wir untersuchen, wie frühere Denkerinnen und Denker gedacht haben, können wir besser verstehen, wie wir denken. Vielleicht finden wir heraus, dass wir einige ihrer Ansichten teilen und können uns durch das Studium ihrer Texte ein klareres Bild davon verschaffen, was diese Ansichten bedeuten und implizieren. Andere ihrer Ansichten werden uns fremd erscheinen, so dass uns die Eigenartigkeit und Fragwürdigkeit der von ihnen wie der von uns für selbstverständlich gehaltenen Ansichten vor Augen geführt wird.

      Was spricht nun aber für die Auseinandersetzung mit Interpretationsansätzen? Sind methodische Reflexionen wirklich nötig oder hilfreich für die Beschäftigung mit der politischen Ideengeschichte? Oder drohen wir uns dadurch in metatheoretischen Scheindebatten zu verlieren, die den potenziellen Nutzen des ideengeschichtlichen Studiums schmälern anstatt realisieren helfen. Es mangelt nicht an Stimmen, die den Nutzen von methodischer Reflexion über die Praxis der ideengeschichtlichen Forschung bestreiten.1 Zudem wird in Lehrbüchern und Überblickswerken, wie Busen und Weiß kürzlich festgestellt haben, in der Regel von nennenswerten Bemerkungen zur Methodik abgesehen.2 Dabei ist der Verzicht auf eine Methode gerade keine Option in der politischen Ideengeschichte. Die Frage ist nicht, ob man einen Interpretationsansatz praktiziert, sondern welchen; wie plausibel der verwendete Ansatz ist und wie konsistent man ihn anzuwenden versteht. Um theoretische Werkzeuge aus ideengeschichtlichen Texten zu bergen und über die Vergangenheit unsere eigene Situation zu reflektieren, können wir unterschiedliche Analysestrategien verfolgen. Jede Analysestrategie basiert auf unterschiedlichen Annahmen, eröffnet spezifische Möglichkeiten und impliziert spezifische Grenzen. Manche Analysestrategien eignen sich zum Beispiel zu ergründen, was Autoren gedacht haben oder was ihre Texte aussagen; andere erschließen, was ihre Texte mitteilen wollten, und wieder andere, welche Bedeutung die Texte vermittelt haben. Ein kritisches Bewusstsein über die Möglichkeiten und Grenzen unterschiedlicher Interpretationsansätze in der politischen Ideengeschichte zu erlangen ist nicht zuletzt deshalb nützlich, weil ein solches Bewusstsein vonnöten ist, um die Möglichkeiten des Machbaren auszureizen und um die Grenzen des Machbaren nicht zu ignorieren.

      Dieses Lehrbuch setzt sich zum Ziel, die Möglichkeiten und Grenzen grundlegender Interpretationsansätze in der politischen Ideengeschichte theoretisch zu bestimmen und praktisch zu illustrieren. Wir teilen nicht die Vermutung, dass ein Ansatz allgemein richtig ist und alle anderen inadäquat. Vielmehr gehen wir davon aus, dass Möglichkeiten auf Chancen zur Erkenntnisgewinnung hinweisen und Grenzen auf etwas, das mit wissenschaftlicher Redlichkeit nicht zu überschreiten gehofft werden darf. Insofern ein Ansatz derartige Möglichkeiten hat – und nur so weit – ist er notwendigerweise adäquat.

      Bevor wir zur theoretischen Darstellung und praktischen Anwendung der Interpretationsansätze übergehen, gilt es noch vorab zu klären, womit sich die Disziplin befasst und woran Interpreten überhaupt ansetzen, wenn sie Texte der politischen Ideengeschichte erforschen.

      Die Disziplin der politischen Ideengeschichte studiert die Geschichte der politischen Ideen. Was meint das genau? Fachvertreterinnen und Fachvertreter geben auf diese Frage sehr unterschiedliche Antworten. Grund dafür ist zunächst der Terminus der „Ideen“, der in seiner Bedeutung eine Bandbreite von einer mit metaphysischem Anspruch ausgestatteten Idee bis zu einem bloßen Gedanken aufweisen kann. Grob vereinfacht ausgedrückt hat sich die politische Ideengeschichte seit ihren Anfängen als selbstständige Disziplin immer weiter von einem starken Ideenbegriff verabschiedet. Ging man zunächst davon aus, dass über die Jahrhunderte hinweg dieselben Ideen gleichsam zeit- und ortsunabhängig verhandelt worden sind (in der deutschsprachigen Tradition paradigmatisch bei Meinecke, in der amerikanischen Tradition bei Strauss und bei Lovejoy), so werden diese – insoweit heute überhaupt noch von Ideen gesprochen wird – heuristisch oder im Sinn von „Motiven“ verstanden. Aller Unkenrufe zum Trotz ist es aber keineswegs so, dass stärkere Ideenbegriffe gar nicht mehr vertreten würden. Dies zeigt sich zum einen in systematischen Untersuchungen, die mehrere Schriften und Autoren versammeln und sie auf ein Problem hin analysieren oder die Entwicklung einer sich formierenden und ausdifferenzierenden Idee historisch nachzeichnen.3 Vielleicht wäre es aus dieser Perspektive betrachtet angemessener zu sagen, dass sich im Zuge einer disziplinären Weiterentwicklung eine Reihe weiterer Verständnisse neben dasjenige einer metaphysischen Idee gestellt haben, womit die Bezeichnung politische Ideengeschichte für viele zunehmend befremdender, in heutiger Zeit für einige gar schlicht anachronistisch geworden ist.

      Es erstaunt daher nicht, dass derzeit mehrere Bezeichnungen eine weitgehend deckungsgleiche Verwendung finden, so etwa „Geschichte des politischen Denkens“, „Geschichte der politischen Philosophie“, oder „Geschichte der politischen Theorie“. John Gunnell hat dementsprechend kürzlich festgestellt:

      Ob man von der Geschichte der politischen Philosophie, von der Geschichte der politischen Theorie oder von der Geschichte des politischen Denkens spricht, der Verweis zielt für gewöhnlich auf eine grundsätzlich gleiche fachliche Tätigkeit.4

      Die Bedeutungen dieser Bezeichnungen sind natürlich nicht vollends deckungsgleich. Jede Bezeichnung trägt eigene Konnotationen: „politisches Denken“ mag eine besondere Breite anzeigen, „politische Philosophie“ der Kanonisierung von „Klassikern“ Tribut zollen und „politische Theorie“ eine systematische Vorgehensweise mit besonderem Anspruch auf Gegenwartsrelevanz verbinden.5 Auch die Bezeichnung „politische Ideengeschichte“ trägt, wie wir gesehen haben, eine solche besondere Konnotation. Vereinfacht lässt sich sagen, dass die Bezeichnungen und Konnotationen den unterschiedlichen Gewichtungen, Fokussierungen, Interessen und Zielen geschuldet sind, mit denen die „grundsätzlich gleiche fachliche Tätigkeit“ im Rahmen der Fachdisziplinen der Politikwissenschaft, Philosophie und Geschichtswissenschaft betrieben werden.

      Wir sprechen in diesem Band durchgängig von „politischer Ideengeschichte“, ohne aber damit einer bestimmten Konnotation den Vorzug geben zu wollen. Vielmehr gebrauchen wir die Bezeichnung, die historisch der Disziplin ihren Namen gegeben hat, weil sie noch am Besten geeignet scheint, um das überlappende Feld der „grundsätzlich gleiche[n] fachlichen Tätigkeit“ abzustecken. Im Grunde rekurrieren wir auf eine geläufige Begebenheit. In Bibliotheken werden in der Regel Bücher in einem gemeinsamen Regal, z.B. unter der Rubrik „Einführungen in die politische Ideengeschichte“, versammelt, von denen manche einen systematischen Fokus auf Argumente, andere einen historischen Fokus auf klassische Autoren und Werke und noch andere den Fokus auf Diskurse legen. Aus der Perspektive, die diesem Band zugrunde gelegt ist, stehen diese drei Bücher mit Fug und Recht im selben Regal; sie könnten aber auch ohne Weiteres in drei verschiedenen Regalen auf Leserschaft warten, je eines z. B. im Fachbereich der Politikwissenschaft, der Geschichtswissenschaft und der Philosophie. Immerhin stützt man sich trotz der Kontroverse, ob es um „Ideen“, „Theorien“, „Denken“ oder „Denker“ geht, unisono auf die Termini „Geschichte“ und „Politik“.

      Das

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