Politische Ideengeschichte. Ralph Weber
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Damit sind abschließend zwei wichtige Punkte angesprochen. Erstens ist es durchaus ein Aspekt der Diskussion um Ansätze in der politischen Ideengeschichte, was denn nun als eigenständiger Ansatz gelten kann. Es scheint zumindest so zu sein, dass die eben erwähnten Ansätze, die auf ein Kollektiv von Texten abheben, je schon ein Textverständnis bei der Lektüre des Einzeltexts ansetzen. Wenn man zum Beispiel Problemgeschichte betreibt und sich dem Problem der sich durch Macht einstellenden Korrumpierbarkeit widmet, dann kann man die Texte und den darin enthaltenen Beitrag zur Problembehandlung noch immer als von jemandem geschrieben oder als für jemanden geschrieben oder einfach auch nur als vorliegenden Text lesen. Damit ist letztlich auch verständlich, warum es strittig ist, ob etwa der Feminismus einen eigenständigen Ansatz bereitstellt. Er könnte sich durchaus mit manchen der in diesem Lehrbuch versammelten Ansätze kombinieren oder aber als unabhängiges Set von Analysestrategien ausdifferenzieren lassen.
Zweitens sind natürlich im Grunde auch die von uns ausgewählten, grundlegenden Interpretationsansätze in ihrer Ausgestaltung durch eine anhaltende Fortschreibung auf theoretischer Ebene sowie durch konkurrierende Anwendungen in der Praxis gekennzeichnet. Im Rahmen dieses Bands kann auf diese vielfältigen Entwicklungen nur punktuell eingegangen werden. Größeres Gewicht wird dagegen darauf gelegt, die ausgewählten, grundlegenden Interpretationsansätze in Modellform zu präsentieren. Denn durch die modellhafte Darstellung und Illustration werden Vorzüge und Nachteile der einzelnen Ansätze deutlicher sichtbar, so dass gehofft werden darf, das Bewusstsein für die jeweiligen Möglichkeiten und Grenzen zu fördern und zu einem (selbst-)kritischen Umgang mit dem methodischen Handwerkszeug der politischen Ideengeschichte zu motivieren.
Im vorliegenden Lehrbuch werden die Analysestrategien der ausgewählten Interpretationsansätze erläutert und durch Anwendung auf je einen Text illustriert. Die Auswahl der Texte berücksichtigt die Kriterien unterschiedlicher Textformate sowie soziokultureller Herkunft. Dabei beschreiten wir einen Mittelweg zwischen „Klassikern“ (Platons Staatsmann, Machiavellis Der Fürst, Strauss’ Verfolgung und die Kunst des Schreibens und Madisons Federalist Paper Nr. 10) und eher vernachlässigten Texten (De Gouges’ Drei Urnen, Riveras Die Geschichte Mexikos, Huangs Mingyi daifang lu und dem hethitischen Text Die Würdenträgereide des Arnuwanda). Was die Autorschaft der Texte anbelangt, so wird ebenso einerseits auf Familiarität gesetzt, und andererseits auf noch nicht oder nur namentlich bekannte Autoren zurückgegriffen. Schließlich, auch wenn die Auswahl nur exemplarisch und ohne Anspruch auf Repräsentativität erfolgen konnte, wurden nicht nur Texte von männlichen, weißen Europäern miteinbezogen.
Männliche, weiße Europäer? Reden wir damit nicht einer politischen Korrektheit das Wort, die wir in unserer eigenen Schreibpraxis gar nicht einlösen? Haben wir nicht durchgängig von Autoren in der männlichen Form gesprochen? Darüber wollen wir in Form einer Reflexionsbox kurz nachdenken.
Reflexionsbox 1: Sexistische Sprache
Wäre es nicht gerade in einem Lehrbuch nötig, auf geschlechtsneutrale Sprache zu achten? Nicht alle Autoren der politischen Ideengeschichte waren Männer und auch nicht deren Adressaten oder Leser. Die standardmäßige Verwendung der männlichen Form suggeriert eine falsche Normalität. Umgekehrt kann eine geschlechtsneutrale Sprache über die faktisch vorherrschenden patriarchalen Verhältnisse hinwegtäuschen. Das Dilemma lässt sich nicht leicht umgehen. Im einen Fall laufen wir Gefahr, Studierende an eine sexistische Konvention zu gewöhnen. Im andern Fall würden wir einem idealisierenden Anachronismus erliegen, indem wir unser heutiges Selbstverständnis in die Vergangenheit projizieren.
Für uns ausschlaggebend war die Befürchtung, mit einer konsequent geschlechtsneutralen Sprache oder mit im Deutschen ungebräuchlichen Alternativen die Reflexion über Ansätze in der politischen Ideengeschichte zu erschweren. Wir haben uns daher in einigen Fällen des Schlüsselvokabulars für die Verwendung des generischen Maskulinums entschieden, ohne zu meinen, damit die richtige Lösung, oder auch nur die beste aller schlechten, gefunden zu haben.
1 Siehe z. B.: Ball, Terence. 1995. Reappraising Political Theory. Revisionist Studies in the History of Political Thought. Oxford: Clarendon, S. 5; Sontag, Susan. 2009. „Against Interpretation“. In: dieselbe, Against Interpretation and Other Essays. London: Penguin, S. 3–14.
2 Busen, Andreas und Weiß, Alexander. 2013. „Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen Denkens: The State-of-the-Art?“. In: dieselben (Hg.), Ansätze und Methoden zur Erforschung des politischen Denkens. Baden-Baden: Nomos, S. 15–39.
3 Siehe z. B.: Kersting, Wolfgang. 2009. Die Politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft; Riklin, Alois. 2006. Machtteilung. Geschichte der Mischverfassung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
4 Gunnell, John. 2011. „History of Political Philosophy as a Discipline“. In: Klosko, George (Hg.), The Oxford Handbook of the History of Political Philosophy. Oxford: Oxford University Press, S. 60–72; hier S. 60.
5 Ottmann, Henning. 1996. „In eigener Sache: Politisches Denken“, Politisches Denken, Jahrbuch 1995/96: S. 1–9; Ottmann, Henning. 2001a. Geschichte des Politischen Denkens. Band 1/1: Die Griechen. Von Homer bis Sokrates. Stuttgart: Metzler, S. 1–6.
6 Für einen Klassiker, siehe: Collingwood, Robin George. 1994. The Idea of History. Oxford/New York: Oxford University Press.
7 Zum Unterschied zwischen Politik und dem Politischen, siehe: Röttgers, Kurt und Bedorf, Thomas (Hg.). 2010. Das Politische und die Politik. Berlin: Suhrkamp Verlag.
8 Löwith, Karl. 2004. Weltgeschichte und Heilsgeschehen: Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie. Stuttgart: Metzler.
9 Lefort, Claude. 1988. Democracy and Political Theory. Cambridge: Polity Press.
10 Ottmann, 2001a, S. 2.
11 Siehe: von Rotterdam, Desiderius Erasmus. 1978. „Copia: Foundations of the Abundant Style (de duplici copia verborum ac rerum commentarii duo)“, übersetzt von Betty I. Knott, in: Collected Works of Erasmus: Literary and Educational Writings 2, hg. von Craig R. Thompson, Toronto: University of Toronto Press, S. 348–354.
12 Skinner, Quentin. 2009. Visionen des Politischen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, S. 74–75.
13 Gadamer, Hans-Georg. 1990. Wahrheit und Methode: Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen: Mohr, S. 303.
Kapitel 1 Der analytische Ansatz: Am Beispiel des Federalist Paper Nr. 10
Der analytische Ansatz zur Interpretation von Texten der politischen Ideengeschichte – zuweilen auch Oxford Ansatz genannt – bedarf im Grunde nicht langatmiger Erläuterung. Er bezeichnet das, was wir ohnehin intuitiv tun zu müssen glauben, wenn wir uns einen Text nicht nur ansehen, sondern ihn wirklich studieren wollen. Anstatt das Geschriebene nur zu überfliegen und ein wenig in die Einleitung und den Schluss hineinzulesen, nehmen wir uns vor, genau zu betrachten, was die einzelnen Sätze des Texts besagen. Wir versuchen uns in die Lage zu bringen, den Text in eigenen Worten wiederzugeben, um dessen Inhalt uns selbst und anderen erklären zu können. Weil der analytische Ansatz vergleichsweise ebenso naheliegend wie theoretisch schlicht und praktisch einfach zu handhaben ist, findet er in Lehrbüchern wie Vorlesungen zur politischen Ideengeschichte (und Philosophie) nur selten Erwähnung.
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