Politische Ideengeschichte. Ralph Weber

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Politische Ideengeschichte - Ralph Weber

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Ansätze: „ein Text ist von jemandem geschrieben“

      Man kann einen Text aber auch als etwas verstehen, das von jemandem geschrieben wurde; der Autor rückt ins Zentrum. Die damit einhergehende Prämisse ist, dass man etwas über den Autor des Texts in Erfahrung bringen muss, möchte man das interpretationsbedürftige Textmaterial verstehen. Explizit finden autorzentrierte Ansätze in der ideengeschichtlichen Praxis Anwendung, wenn biografische Informationen über den Autor argumentativ in eine Textinterpretation eingewoben werden. Häufig wird beispielsweise behauptet, der Leviathan von Thomas Hobbes lasse sich nicht ohne dessen Erfahrung des englischen Bürgerkriegs verstehen. Nur impliziter, aber nicht weniger prämissenbehaftet, wird von einem solchen Zusammenhang des Lebens eines Autors und der Bedeutung eines seiner Texte ausgegangen, insofern der inhaltlichen Diskussion eine biografische Notiz vorangestellt wird. Warum sonst sollte das intime Verhältnis von Simone de Beauvoir mit Jean-Paul Sartre erwähnenswert sein in einer Abhandlung, die sich mit de Beauvoirs Text Das andere Geschlecht zu befassen behauptet? Misst man dem Zusammenhang von der Person des Autors einerseits und der Bedeutung des Texts andererseits die Hauptrolle zu, so kann man von einem biografischen Ansatz sprechen. Genau genommen wird dann ein Text als Ausdruck des Lebens eines Autors verstanden: Der Text hätte, angesichts der Biografie des Autors, gar nicht anders lauten können als er lautet.

      Im Unterschied dazu unterstellt ein werkimmanenter Ansatz, dass man einen Text eines Autors am besten dann versteht, wenn man ihn im Zusammenhang mit den anderen Texten des Autors sieht. Dieser Ansatz kommt etwa zum Tragen, wenn man bei der Interpretation eines Texts die Qualifizierung hinzufügt, dass es sich um einen frühen Text des Autors handelt, da die späteren Texte doch alle durch das Hinzutreten eines bestimmten Motivs gekennzeichnet sind. (Hinsichtlich des Werks von Platon wird beispielsweise häufig gesagt, dass Sokrates nur anfangs eine zentrale Rolle einnimmt und in späteren Schriften immer mehr in den Hintergrund rückt.) Im Extremfall wird ein Text unter Anwendung des werkimmanenten Ansatzes in seiner Stellung innerhalb des Gesamtwerks der einem Autor zugeschriebenen Texte verstanden. Das Leben des Autors ist nicht primär für die inhaltliche Interpretation ausschlaggebend. Aber nur mittels der Identifikation des Autors können die verschiedenen Texte überhaupt als Texte des Gesamtwerks eines Autors verstanden werden.

      Adressatenzentrierte Ansätze: „ein Text ist für jemanden geschrieben“

      Ein Text kann aber auch so verstanden werden, dass er in der Hauptsache „für jemanden geschrieben“ ist; ein bestimmter Adressatenkreis nimmt also den Platz des Autors im Zentrum des Textverständnisses ein. Es wird daher nach der Botschaft gesucht, die der Autor mit seinem Text an seine Zeitgenossen vermitteln wollte oder tatsächlich sendete.

      Der esoterische Ansatz von Leo Strauss bezieht die Möglichkeit in Betracht, dass Autoren nicht beabsichtigt haben mochten, ihre Erkenntnisse offen und explizit zu kommunizieren. Vielleicht drohten Freigeistern Repressionen; oder sie glaubten, die Gesellschaft vor unbequemen Wahrheiten schützen zu müssen; oder aber sie meinten, dass sich Leser philosophische Einsichten nicht in der gleichen Weise wie Sachinformationen aneignen können. Autoren könnten dementsprechend der adressierten Leserschaft ihre eigentliche Lehre zwischen den Zeilen zu vermitteln gesucht haben. Das, was auf den Zeilen geschrieben steht, wäre dann nur Zensoren, der politisch korrekten Öffentlichkeit oder Philosophieunempfänglichen zugedacht.

      Der kontextuelle Ansatz geht hingegen davon aus, dass Autoren nicht in ein überzeitliches Gespräch mit vergangenen und zukünftigen Generationen (und zuletzt uns) eintraten, sondern ihren politischen Zeitgenossen eine Mitteilung machten. Sie taten dies nicht so sehr, weil sie es wollten, sondern weil sie gar nicht anders konnten. Die Autoren ideengeschichtlicher Texte werden als Kinder ihrer Zeit begriffen, die in historisch und kulturell kontingenten sprachlichen Konventionen, intellektuellen Traditionen und politischen Kontroversen gefangen waren. Laut dem bekanntesten Vertreter eines kontextuellen Ansatzes, Quentin Skinner, stellen ideengeschichtliche Texte ideologische Interventionen in das politische Tagesgeschäft dar. Dementsprechend richten sich die von ihm empfohlenen Analysestrategien auf die in einem Text angelegten Anspielungen auf parteiische Positionen, Bewertungen und Akzentverschiebungen. Wer die politische Rhetorik des Entstehungskontexts von Daniel Defoes Schrift Der kürzeste Weg mit den Dissentern in die Interpretation miteinbezieht, so Skinner zum Beispiel, erkenne, dass Defoe seinen Zeitgenossen keineswegs empfahl, mit Andersgläubigen kurzen Prozess zu machen, sondern sie mithilfe der ironischen Überspitzung zu größerer Toleranz bewegen wollte.12

      Leserzentrierte Ansätze: „ein Text ist von jemandem gelesen“

      Ein weiterer Typ von Interpretationsansätzen versteht Texte als etwas, das vor allem von jemandem gelesen wird; die Leseerfahrung wird in den Vordergrund gerückt. Dabei kann auf die Leseerfahrung eines Einzelnen oder die Gesamtheit aller Leser fokussiert werden.

      Beim hermeneutischen Ansatz dreht sich alles um die Fremdheit, mit der ein Interpret als Leser eines ideengeschichtlichen Texts konfrontiert ist. Problematisiert wird dabei die zeitliche, kulturelle, sprachliche, milieubezogene und politisch-soziale Differenz, die dem Bemühen nach Verständnis entgegensteht. Der Leser tritt notwendig mit Vorannahmen und Vorurteilen an einen Text heran. Ziel ist, sich dieser bewusst zu werden und sie produktiv zu wenden. Dabei wird nicht davon ausgegangen, dass es ein letztes Wort über einen historisch in den Text hineingelegten Sinn zu sprechen gälte. Vielmehr nimmt, wie Hans-Georg Gadamer es ausdrückte, die „Ausschöpfung des wahren Sinns“ kein Ende. Durch das Bemühen des Lesers ergeben sich neue Verständnisse und Sinnbezüge. Die Differenz zwischen Interpret und Text schließt sich letztlich nicht, sie ist in „ständiger Bewegung und Ausweitung“ begriffen.13

      Der rezeptionstheoretische Ansatz sucht hingegen der unterschiedlichen Deutungen von Lesern gewahr zu werden, die von einem Text über die Zeit entstanden sind. Der Interpret setzt also an den Deutungen der Sekundärliteratur an und schlägt im Extremfall den interpretationsbedürftigen Text selbst gar nicht auf. Diese Vorgehensweise rechtfertigt sich entweder, weil die Bedeutung von Texten als uneindeutig und durch die Leserschaft mitkonstituiert gilt; oder weil die Auswertung der kaleidoskopischen Vielfalt von Rezeptionsdispositiven indirekt eine Interpretation des Texts ermöglicht, die weniger von den persönlichen Voreinstellungen des Interpreten belastet ist; oder einfach weil das Maßgebliche von Texten nicht in der Bedeutung erkannt wird, die sie vermitteln wollten, sondern in der Bedeutung, die sie faktisch vermittelten.

      Ansätze, die über die Interpretation eines Einzeltexts hinausgehen

      In der politischen Ideengeschichte gibt es über die bereits erwähnten Ansätze hinaus eine Reihe von Interpretationsansätzen, die nicht in erster Linie einen Einzeltext in den Blick nehmen, sondern sich von vornherein auf ein Kollektiv von Texten konzentrieren, dem das eigentliche Interesse gilt. So auch in der Begriffsgeschichte, die wir von diesem Typ von Ansätzen in diesem Band detailliert betrachten werden. Bei der Begriffsgeschichte spielen Texte gegenüber den Begriffen, die sie verhandeln, eine untergeordnete Rolle. Texte werden allenfalls als Sammelsurium von Bestimmungen und Deutungen bestimmter politischer und anderer Begriffe verstanden. Begriffsgeschichtler, wie ihr prominentester Vertreter Reinhart Koselleck, versuchen Entwicklungen von Begriffen über viele Texte hinweg nachzuzeichnen, um so letztlich sozialen und politischen Wandel historisch greifbar zu machen. Gerade bei der Begriffsgeschichte hat sich der Fokus über die letzten Jahrzehnte merklich weg von Höhenkammliteratur zu institutionellen Texten und Texten der Populärkultur geweitet.

      In diesem Band nicht behandelt, aber gleichermaßen erwähnenswert sind eine Reihe anderer Ansätze, die in ähnlicher Weise über die Interpretation eines Einzeltexts hinausgehen und die ebenfalls in der Disziplin verfolgt werden. Wie die Begriffsgeschichte beziehen sie die Interpretation des einen Texts auf ein Kollektiv von Texten, dem das eigentliche Interesse gilt. Stichwortartig seien hier die Problemgeschichte, die Mentalitätengeschichte sowie diskurs- und systemtheoretische Ansätze erwähnt. Diese Ansätze sind nicht zuletzt durch ihr, über einen Einzeltext weit hinausreichendes Interesse überaus komplex konzipiert;

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