Politische Ideengeschichte. Ralph Weber

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Politische Ideengeschichte - Ralph Weber

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zurückweisen lassen (A’: Die Regierung ist zerrissen; A’’: Die Kanzlerin ist zerrissen; A’’’: Die Gesellschaft ist zerrissen).

      Sobald die Einzelaussagen des Texts identifiziert und so klar und knapp wie möglich aufgelistet sind, können die Hauptaussagen, die Leitfrage und das Untersuchungsergebnis des Texts bestimmt werden. Damit kann ein grober Überblick über die Argumentationsstruktur des Texts gewonnen werden.

      Im zweiten Anaylseschritt klärt man die Begriffe des Texts, wobei solche im Vordergrund stehen, die unklar oder in politikphilosophischen Diskussionen umstritten (wie z. B. Gesetz, Verpflichtung, Freiheit) sind. Wenn der Text Definitionen dieser Begriffe bereitstellt, hilft das natürlich sehr. Zusätzlich müssen aber sämtliche Stellen, an denen die jeweiligen Begriffe vorkommen, auf Kohärenz und zusätzliche Definitionskriterien untersucht werden. Diese Parallelstellenstrategie kann zudem auf sehr ähnliche Begriffe oder andere Begriffe, die womöglich als Synonyme fungieren, ausgeweitet werden. Unmittelbar im Anschluss an den oben zitierten Textausschnitt aus Platons Der Staat wird so die mit der Aphrodite assoziierte Lust als die Liebe gekennzeichnet. Die Aussage des Textausschnitts kann deshalb durch die Begriffsbestimmung noch prägnanter reformuliert werden: „Die Liebe ist die stärkste Lust.“

      Die Analyse der Aussagen und Begriffe dient der Vorbereitung des dritten Schritts, der Rekonstruktion der Argumente. Mit der Rekonstruktion der Argumente ist nicht gemeint, die im Text vorkommenden Argumente auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und zu korrigieren. Eine solche systematische Diskussion von Argumenten bietet sich zwar im Anschluss an die Interpretation eines Texts mit dem analytischen Ansatz an, ist aber nicht Teil davon. Bei der Rekonstruktion der Argumente geht es allein darum, die Aussagen des Texts, die Bestandteile von Argumenten sind, zu identifizieren und deren logischen Zusammenhang nachzuvollziehen.

      Ein Argument besteht in der Regel aus mindestens zwei Prämissen und einer Schlussfolgerung. Zum Beispiel:

Alle Menschen sind sterblich.= Prämisse
Sokrates ist ein Mensch.= Prämisse
Sokrates ist sterblich.= Schlussfolgerung

      Selten werden Argumente in Texten der politischen Ideengeschichte so klar und geordnet präsentiert. Prämissen können nach der Schlussfolgerung nachgereicht und Schlussfolgerungen können als Behauptungen vorausgeschickt werden. Die erste Frage des dritten Analyseschritts richtet sich dementsprechend darauf, welche Aussagen als Prämissen und welche als Konklusionen fungieren. Auf Signalwörter der Logik ist hierfür besonders zu achten. Prämissen können durch Wörter wie „da“, „weil“, „insofern“ oder „wenn“ angezeigt werden und Schlussfolgerungen durch Wörter wie „also“, „daraus folgt“, „deshalb“ oder „dann“. Ebenso häufig wie (aus logischer Sicht) ungeordnete Argumente kommen unvollständige Argumente vor, bei denen eine logisch notwendige Prämisse unerwähnt bleibt (sogenannte Enthymeme) oder komplexe Argumente, die Zwischenschlussfolgerungen überspringen. Für die Rekonstruktion der Argumente des Texts kann es schließlich nützlich sein, die Typen der jeweiligen Argumente zu bestimmen. Handelt es sich z. B. um induktive oder deduktive Argumente, Analogien oder kausale Argumente.6

      Der analytische Ansatz interpretiert einen Text, indem systematisch ausgewertet wird, was der Text inhaltlich und explizit aussagt.

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      Aus Gründen des Platz- und Zeitmangels wird man im Rahmen einer analytischen Interpretation nicht sämtliche fehlenden Prämissen und Schlussfolgerungen ergänzen und sämtliche Einzelargumente rekonstruieren können. Man muss also beurteilen, welche Argumente einer detaillierten Analyse unterzogen werden sollen und dem verbesserten Verständnis der Gesamtargumentation des Texts am meisten zuträglich sind.

      Den analytischen Ansatz wollen wir anhand des Federalist Paper Nr. 10 von James Madison illustrieren. Bei diesem Text handelt es sich um einen Kommentar zur Amerikanischen Verfassungsdebatte, der heute als eines der wichtigsten Dokumente der konstitutionellen Gründungsgeschichte der USA gilt. Veröffentlicht wurde der Artikel am 22. November 1787 in der Zeitung New York Packet unter dem Pseudonym „Publius“. Neben James Madison verwendeten auch John Jay und Alexander Hamilton dieses Pseudonym. Gemeinsam veröffentlichten sie zwischen Oktober 1787 und August 1788 insgesamt 85 Zeitungsartikel, um die Ratifikation des Amerikanischen Verfassungsentwurfs zu befördern. (Man bezeichnet sie als die Föderalisten.) Gegen Publius erhoben Autoren ihre Stimme, die ihrerseits unter Pseudonymen, wie z. B. Cato, Brutus, Centinel oder Federal Farmer schrieben (die sogenannten Anti-Föderalisten).

      All dies muss uns aber im Folgenden nicht interessieren, denn der historische Kontext, die Biografie des Autors und die Rezeptionsgeschichte spielen beim analytischen Ansatz keine Rolle. Es geht nur um das, was explizit im Text geschrieben steht, die Interpretation erfolgt textimmanent. Wie zuvor dargelegt, muss deshalb im Folgenden lediglich der Aussagegehalt bestimmt und die zentralen Begriffe geklärt werden, um daraufhin die Argumente des Federalist Paper Nr. 10 rekonstruieren zu können.

      Das Federalist Paper Nr. 10 ist weitgehend klar geschrieben, so dass der erste Analyseschritt – die Identifikation des Aussagegehalts – keine allzu großen Herausforderungen bereithält. Nehmen wir uns die ersten Zeilen des Texts im Detail vor. Zunächst filtern wir die Einzelaussagen („A“) aus dem Text heraus. Dabei heben wir sogleich uneindeutige Pronominalbezüge (durch eckige Klammern) und klärungsbedürftige Begriffe (durch Unterstreichung) hervor.

TextAussagen
„Keiner der vielen Vorteile, die von einer sinnvoll aufgebauten Union zu erwarten sind, verdient sorgfältiger untersucht zu werden als der, mittels ihrer die Gewalt der Faktionen brechen und unter Kontrolle halten zu können. Nichts lässt den Befü rworter der Volksregierung so sehr um deren Ruf und Schicksal bangen wie das Wissen, welch starke Neigung zu diesem gefährlichen Laster ihr zueigen ist. Er wird deshalb jeden Plan gebü hrend zu wü rdigen wissen, der ein geeignetes Heilmittel dagegen bereitstellt, ohne dabei die Prinzipien zu verletzen, die fü r ihn bindend sind.“ (P1)7A1: Eine wohlgeordnete Union verspricht viele Vorteile. A2: Die Fähigkeit, die Gewalt der Faktionen zu unterbinden, ist ein solcher Vorteil. A3: Die Integrität und die Existenz von Volksregierungen wird durch [dieses] Problem gefährdet. A4: Volksregierungen sind für das Problem anfällig. A5: Befürworter von Volksregierungen streben nach einer Lösung für das Problem, die nicht die Prinzipien der Volksregierungen verletzt.

      Den unterstrichenen unklaren Begriffen (Union, Gewalt der Faktionen, Volksregierung, Prinzipien der Volksregierung) kann sinnvoll erst nachgegangen werden, sobald alle Aussagen des Texts identifiziert sind, da sich später möglicherweise Definitionen finden lassen. Zunächst gilt es die Einzelaussagen im Text zu Hauptaussagen zu komprimieren. Die fünf Einzelaussagen des zitierten Textausschnitts lassen sich aber vereinfachend unter folgender Überschrift zusammenfassen: Faktionen sind ein Problem für Volksregierungen. Aufgrund des grammatisch uneindeutigen Pronominalbezugs in A3 („dieses“) muss allerdings in Betracht gezogen werden, dass das Problem weniger in den Faktionen selbst, als vielmehr in einem bestimmten Aspekt von Faktionen, nämlich „der Gewalt von Faktionen“, besteht.

      Hauptaussage Paragraf 1

      Faktionen

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