Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez

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Grundlagen der globalen Kommunikation - Kai Hafez

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geblieben ist.

      Selbst eine weltumspannende und – man könnte meinen verbindende – Pandemie wie die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 seit Beginn des Jahres 2020 verläuft nicht ohne globale Wahrnehmungsdiskrepanzen. Die Perzeption der globalen Pandemie scheint abhängig davon zu sein, wie lokal über sie kommuniziert wird. Keineswegs erzeugen diese medialen und öffentlichen Konstruktionen auf Knopfdruck globale Solidaritätsnarrationen, sondern es werden ebenso lokal existierende Länderklischees aufgewärmt, rassistische Reaktionen verstärkt und eine Deutung der Globalisierung als Hochrisikoangelegenheit bemüht. Die Überbetonung des Negativen in der Ferne ist dabei keineswegs neu oder besonders, sondern eine bekannte Begleiterscheinung der globalen Moderne. Die „Ferne“ ist in ihrer und durch ihre kommunikative Vermittlung noch nicht hinreichend nah gerückt.

      Medien, Systeme und Lebenswelten in der globalen Kommunikation

      In der zeitgenössischen Diskussion gibt es zahlreiche Versuche einer Ursachenanalyse für den populistischen Rückschlag: Rassismus und kulturelle Überforderung, soziale Deprivation oder eine Kombination aus beiden Faktoren (Geiselberger 2017). Bislang existiert allerdings kein Ansatz, der die Verantwortung bei kommunikativen Defiziten sucht, also im Bereich der von Münch als notwendig beschriebenen „Vermittlungsleistungen“. Die Vorstellung aber, man könne globale Kommunikation quasi als feste Variable voraussetzen, während alle anderen Motive des globalen sozialen Handelns schwanken, ist grundfalsch. Weltweite Konnektivität ist ebenfalls ein heterogenes Phänomen, dessen Bilanz sich dieses Buch widmet.

      Bis zum heutigen Tag beschäftigt sich kein Werk wirklich umfassend mit den grenzüberschreitenden Kommunikationsprozessen innerhalb wie auch zwischen den sozialen Systemen und Lebenswelten dieser Welt. Dabei erscheint es recht offensichtlich, dass die organisierten Systeme der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, dass also Staat, Unternehmen, Verbände und soziale Bewegungen, über bessere Voraussetzungen zur globalen Kommunikation verfügen als viele Bürgerinnen und Bürger. Bei der globalen Kommunikation geht es um den Umgang mit räumlicher Distanz und um grenzüberschreitende Kontakte. Mit hoher Intensität und Nachhaltigkeit zu interagieren und sprachübergreifend lokale Diskurse in anderen Erdteilen zu verfolgen, kann ein aufwendiges Unterfangen sein, für das viele Organisationen und die globale Avantgarde der Zivilgesellschaft trotz Massentourismus und kultureller Austauschprogramme besser ausgestattet sind als die meisten Privatpersonen. Zieht man zudem die Wohlstandskluft zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern in Betracht, so wird deutlich, dass globaler Tourismus überhaupt nur einem kleinen Teil der Menschheit möglich ist. Statistisch gesehen ändert auch die Migration an diesem Sachverhalt wenig, denn weltweit leben lediglich etwa 3Prozent der Menschen außerhalb des Landes, in dem sie geboren wurden (IOM UN Migration 2018, S.18). Auf der anderen Seite zeigen globale soziale Bewegungen und internationale Netzgemeinschaften in welch faszinierendem Tempo zumindest ein Teil der Bevölkerungen globale Distanzen kommunikativ überwinden kann. Globales „Fremdverstehen“ und eine „globale Bürgergesellschaft“ sind keine Fantastereien mehr – das macht sie aber trotzdem noch nicht zu einer allumfassenden Realität.

      Einen theoretischen wie empirischen Überblick über die disparaten Leistungen und Defizite der globalen Kommunikation zu verschaffen, ist die Intention dieses Buches. Dabei scheint die grundlegende Kapitelgliederung des Werkes nach sozialen Akteuren (Massenmedien, Staat, Unternehmen, Zivilgesellschaft, Großgemeinschaft, Kleingruppe und Individuum) statt nach Kommunikationsprozessen (wie Interaktion, Diskurs, Beobachtung) für eine Studie über globale Kommunikation erklärungsbedürftig zu sein. Zunächst einmal ist ersichtlich, dass Kommunikationsprozesse kopräsent sind, da sie die interne Gliederung der einzelnen Kapitel prägen. Die tiefere Ursache für den Hauptaufbau liegt aber in einer Herangehensweise begründet, die man als Mittelweg zwischen strukturalistischer und konstruktivistischer Betrachtungsweise bezeichnen kann. Im Rahmen der theoretischen Einführung wird ein System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz vorgestellt, der davon ausgeht, dass Kommunikation kein frei flottierendes Epiphänomen ist, sondern nur verstanden werden kann, wenn die Kommunikatoren in ihren jeweils spezifischen Voraussetzungen und Fähigkeiten reflektiert werden.

      Die Autoren dieses Buches schließen sich der Ansicht an, dass in der heutigen Globalisierungsforschung ein „Mangel an akteurs- und praxiszentrieren Studien“ besteht (Schmitt/Vonderau 2014, S.11) und dass das handelnde Subjekt wieder in die Analyse einbezogen werden muss, um zu einer überzeugenden Theoretisierung zu gelangen (Hay/Marsh 2000, S.13). Um ein Beispiel zu nennen: Ein egozentriertes globales Netzwerk eines Individuums ist etwas ganz Anderes als ein Unternehmensnetzwerk, was den prominenten Begriff der globalen „Vernetzung“ (u.a. Castells 2001) nur dann sinnvoll erscheinen lässt, wenn man die konkrete sozialtheoretische Verwendung mitdenkt. Globale Kommunikation wird also erst durch die Verbindung von kommunikationswissenschaftlichen Prozesstheorien mit sozialwissenschaftlichen Strukturtheorien verständlich. Im vorliegenden Werk werden auf der Prozessebene unter anderem Diskurs-, Interaktions-, Organisationskommunikations- und Diffusionstheorie sowie Ansätze der Inter-/Intra-Gruppen- sowie der interpersonalen Kommunikation und der Stereotypentheorie verwendet. Auf der Strukturebene kommen Theoreme der Mediensystemforschung und der Öffentlichkeitstheorie, der allgemeinen System-, Organisations- und Zivilgesellschafstheorie sowie der Lebenswelt- und Handlungstheorie zum Zuge. Da derzeit keine einheitliche Globalisierungstheorie zur Verfügung steht, haben wir uns bemüht, die unterschiedlichen Ansätze in der modularen Theoriebildung in einen möglichst stringenten Analyserahmen zu fügen, der die globale Kommunikation als Gesamtphänomen erklärt.

      Trotz der Breite des Überblicks über verschiedene Teile der Gesellschaft müssen auch einige Leerstellen dieses Buches benannt werden, weil bestimmte Bereiche nicht einbezogen worden sind. Zum Beispiel sind weder dem globalen Wissenschaftssystem noch dem Kunst- und Kultursektor im engeren Sinne eigene Kapitel gewidmet worden. Bei den tatsächlich untersuchten Sozialsystemen sind im Bereich der Politik der Staat und nicht Parteien und Verbände, in der Wirtschaft die transnationalen Unternehmen und nicht der Handel und bei der Zivilgesellschaft NGOs und soziale Bewegungen, nicht aber Vereine und Verbände einbezogen worden. Die Darstellung der Großgemeinschaften beschränkt sich auf Netzgemeinschaften und bei der Reflexion der Kleingruppe ist ebenfalls nicht jeder einzelne Typus berücksichtigt worden. Dennoch wollen wir behaupten, dass das vorliegende Handbuch einen systematischen Überblick über die meisten zentralen Felder der globalen Kommunikation bietet, von den Massenmedien über organisierte Handlungssysteme bis hin zu wesentlichen Bereichen der Lebenswelten, und sie vielleicht erstmals in eine Gesamtschau fügt. Diese Arbeit betrachtet sich dennoch als Teil eines langfristigen Projekts im Bereich der kommunikationsorientierten Globalisierungsforschung, dem weitere Analysen folgen sollten.

      Phasen der Globalisierungsforschung

      Globalisierung, verstanden als Lehre der nationalen Grenzüberschreitung, ist einer der bedeutsamsten wissenschaftlichen Referenzbegriffe, der im 21.Jahrhundert allerdings in eine konzeptionelle Krise geraten ist. Der „seltsame Tod der ‚Globalisierung‘“ (Rosenberg 2005) hinterließ nicht wenige Protagonisten der Globalisierungsdebatte annähernd ratlos. Wie kam es zu dem raschen Niedergang des vielleicht schillerndsten wissenschaftlichen Paradigmas der Gegenwart? Ein Grund bestand sicher darin, dass der frühe „Hyperglobalismus“ von Autoren wie Anthony Giddens (2000), Ulrich Beck (1997), David Held und Anthony McGrew (2000, 2002) oder Manuel Castells (2001), der von der Globalisierung als einem geradezu allmächtigen Phänomen ausging, einfach zu vermessen gewesen war, um empirisch haltbar zu sein. Das Ende des Nationalstaates, die Transnationalisierung der Wirtschaft und die komplette Deterritorialisierung sozialer Beziehungen waren als Visionen zu weitgehend und zu anspruchsvoll, um realisierbar zu sein.

      Gegen diesen ausufernden Normativismus formierte sich alsbald eine skeptische „zweite Welle“ der Globalisierungsforschung, die, wie es sich für einen ordentlichen Revisionismus gehört, die Grundannahmen des Feldes auf den Kopf stellte (Martell 2007). Aus Sicht der Kritiker wie Paul Hirst und Graham Thompson (1999), Colin Hay und David Marsh (2000), Terry Flew (2007) oder Kai Hafez (2005) war der Nationalstaat äußerst vital, die wirtschaftliche Globalisierung von begrenzter Tragweite und insbesondere

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