Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez
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Die zentrale These, die in diesem Buch verfolgt wird, lautet: Massenmedien allein können allenfalls „Weltöffentlichkeit“, nicht aber „Weltgemeinschaft“ erzeugen. Letztere entsteht, wenn überhaupt, nur durch die Mithilfe anderer Sozialsysteme sowie in den Lebenswelten des Menschen. Globale Massenkommunikation ist nicht nur, wie wir sehen werden, in ihrem derzeitigen Zustand kaum in der Lage, Öffentlichkeiten und Weltwissen zu synchronisieren, da die nationalen Mediensysteme weitgehend isoliert bleiben. Sie ist auch durch die monologische Anlage von Medien – one-to-many statt face-to-face, person-to-person oder group-to-group – prinzipiell unfähig, gemeinschaftsbildende Dialoge zu erzeugen. Die folgende Abbildung 1.1 illustriert die beobachtende und Öffentlichkeit erzeugende Anlage des Mediensystems sowie die interaktive und Gemeinschaften erzeugende Anlage anderer sozialer Systeme und Lebenswelten.
Globale Kommunikation – Öffentlichkeiten und Interaktionen
Distanzwahrnehmung und Kosmopolitismus
Warum benötigen wir ein erweitertes Leitbild? Weshalb betonen wir den Aspekt der Interaktion, des Dialogs und der partizipativen Gemeinschaft? Natürlich gibt es Beispiele dafür, dass Medien und Öffentlichkeit Empathie und ein Wir-Gefühl erzeugen können. Mediale Diskursgemeinschaften können unter besonderen Bedingungen ein Gefühl der Solidarität und Verbundenheit unter Menschen schaffen, das weit über die übliche nationale gesellschaftliche Koexistenz und das Nebeneinander paralleler Lebenswelten hinausweist. Diese Momente stehen aber gerade in Kriegs- und Krisensituationen patriotischen Grundstimmungen gegenüber, bei denen Mediendiskurse über die Verbreitung von Feindbildern dazu beitragen, die Länder und Bevölkerungen voneinander zu trennen (Hafez 2005, S.69ff.).
Positive Facetten von Weltöffentlichkeit – etwa einer von Medien induzierten kosmopolitischen Solidarität mit Geflüchteten – sind äußerst instabiler Natur. Lilie Chouliaraki hat gezeigt, dass Mediennarrationen über „entferntes“ (distant) Leiden dann am erfolgreichsten an der Konstruktion eines Gemeinschaftsbewusstseins (Kosmopolitismus) mitwirken, wenn sie Leiden humanisieren, individualisieren und durch das Aufzeigen gemeinsamer Verantwortung und Handlungsmöglichkeiten Nähe erzeugen (2006). Wie instabil solche Phänomene allerdings sind, konnte man etwa an der deutschen Flüchtlingsberichterstattung und der öffentlichen Meinung zu diesem Thema in den Jahren 2015/16 erkennen (Hafez 2016, Georgiou/Zaborowski 2017). Öffentliche Diskurse sind flüchtig, launisch und erratisch.
Adaptiert man die Koorientierungsansätze der interpersonalen Kommunikation für die Medien, so versteht man, dass Beobachtung ein komplexer Prozess ist, bei dem sich schnell Fehlinterpretationen einstellen, etwa die sogenannte „kollektive Nichtbeachtung“ (pluralistic ignorance), die durch Annahmen darüber entsteht, wie andere ein Phänomen deuten (Hafez 2002a, Bd.1, S.171ff., Bd.2, S.253ff.). Was denken die nicht-muslimischen Deutschen auf der Basis von Medieninformationen, was Muslime über Terror denken? Und liegen sie damit richtig? Chouliaraki ist daher dahingehend interpretiert worden, dass auch unter den Bedingungen internationaler Medienberichterstattung der Spannungszustand zwischen universellem Bewusstsein und einer spezifischen (lokalen) Involviertheit des Menschen dazu führt, dass in aller Regel globale Gemeinschaftlichkeit verhindert wird und die Selbstzuordnung zu einer partikularen Gemeinschaftlichkeit (Nation, „Kulturkreis“, Religionsgemeinschaft) unangetastet bleibt (Yilmaz/Trandafoiu 2014, S.7f.). Transkulturelle Fernkommunikation durch mediale Beobachtung ist also nicht oder nur eingeschränkt gemeinschaftsbildend.
Interaktion, Koorientierung und globale Übereinstimmung
Die Frage ist daher: Muss nicht zur Beobachtung und Synchronisationsleistung der nationalen Öffentlichkeiten ein echter grenzüberschreitender Dialog treten, der die nationalen Systeme besser integriert und das Individuum aus seiner lokalen Handlungsbegrenzung befreit? Zwar ist es richtig, dass historische traditionale Gesellschaften der Menschheitsgeschichte, die hochinteraktiven Stämme und Clans, die das Sozialleben in früheren Zeiten dominierten, zugleich hochgradig rassistisch und fremdenfeindlich waren und ihre Kriegsrate der moderner Gesellschaften durchaus ähnelte (Diamond 2013, S.142ff.). Die Frage muss also lauten: Warum mehr Interaktion, wenn doch erst die moderne Gesellschaft mit ihren Institutionen wie Staat, Medien und Öffentlichkeit Regeln für die dauerhafte Existenz von Menschen im Herrschaftsraum anderer Gruppen geschaffen hat? Die Antwort ist, dass erst die in der Moderne erfolgende Interaktion über Grenzen hinweg – out-group statt wie früher in-group – die Fortschritte der Vernetzung der Welt möglich gemacht hat. Es ist weniger die Beobachtung durch Medien als die direkte Interaktion zwischen Staaten, die, um beim Beispiel zu bleiben, ein System von völkerrechtlichen Aufenthaltsberechtigungen und Staatsbürgerschaften geschaffen hat. Die direkte Interaktion zwischen politischen Systemen und Staaten ist also, ebenso wie der Austausch auf anderen Ebenen der Gesellschaft, ein unverzichtbarer Bestandteil einer jeden Bilanz globaler Kommunikationsverhältnisse. Zwar führt nicht jede Form der Interaktion zu einem positiven kosmopolitischen Wir-Gefühl, weil in der Interaktion unterschiedliche Motive eine Rolle spielen können und auch Trennendes entdeckt werden kann. Zugleich besteht aber nur durch die direkte Interaktion überhaupt eine Chance, ein Wir-Gefühl als individuelles Erfahrungswissen zu etablieren, wie dies der Symbolische Interaktionismus behauptet.
Bislang gibt es keine auch nur annähernd kohärente Theorie der internationalen Gemeinschaft, die noch dazu Kommunikationsfragen zentral stellt. Es existieren aber zahlreiche Versatzstücke, wie die klassische Forschung der soziologischen Kommunikationstheorie, die allerdings eher kleingruppenorientiert ist. George Herbert Mead und Herbert Blumer haben im Symbolischen Interaktionismus verdeutlicht, dass Bedeutungen der Welt durch gemeinsame Interaktionen entstehen (Mead 1934). Dabei spielt die Interaktion mit sich selbst eine ebenso große Rolle wie die soziale Interaktion (Dialog). Die Grundlagen des Symbolischen Interaktionismus beschreibt Blumer wie folgt: „Weder betrachtet [der Symbolische Interaktionismus] die Bedeutung als den Ausfluss der inneren Beschaffenheit des Dinges, das diese Bedeutung hat, noch ist für ihn die Bedeutung das Ergebnis einer Vereinigung psychologischer Elemente im Individuum. Vielmehr geht für ihn die Bedeutung aus dem Interaktionsprozess zwischen verschiedenen Personen hervor. Die Bedeutung eines Dinges für eine Person ergibt sich aus der Art und Weise, in der andere Personen ihr gegenüber in Bezug auf dieses Ding handeln“ (1992, S.25f.).
Diese interaktionistische Herangehensweise unterscheidet sich vom Koorientierungsansatz. Kommunikationsvorgänge werden demnach durch ein Dreischrittverfahren charakterisiert: Sind mehrere Akteure („A“ und „B“ bei Newcomb) auf ein bestimmtes Symbol („X“ bei Newcomb) orientiert,