Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez

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Grundlagen der globalen Kommunikation - Kai Hafez

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zwischen den Akteuren als entscheidend (2007). Nicht alle Theoretiker sind so offen für unterschiedliche Akteure, Systeme und die Vielfältigkeit der Wechselwirkungen zwischen ihnen. Beispielsweise existieren radikale Handlungstheorien wie die von Bruno Latour, der von der Prämisse ausgeht, das Globale sei immer lokal, da man, egal wo man sei, lokal agiere und selbst ferne Reisen sich als Summe lokaler Stationen abbilden ließen, deren Rekonstruktion er als Aufgabe seiner spezifischen Form der Akteur-Netzwerk-Theorie beschreibt (2014, vgl. a. Gerstenberger/Glasman 2016). Der Einfluss von Beobachtungssystemen wie den Massenmedien oder anderen Sozialsystemen als vermittelnden Instanzen des (vermeintlichen) Weltwissens, die unser Handeln prägen, tritt hier stark in den Hintergrund. Globale Kommunikation ist demnach reine Interaktion handelnder Individuen.

      Solche Positionen erinnern an den alten Streit zwischen System- und Handlungstheoretikern, der in diesem Buch allerdings zugunsten einer integrativen Perspektive wie der von Rosenau oder Sassen aufgelöst werden soll, wo unterschiedliche System- und Akteurslogiken in Systemen und Lebenswelten berücksichtigt werden. Der oder die Einzelne wird von Systemen nie völlig beherrscht, auch wenn sein/ihr Leben Rollenübernahmen erfordert, die sein/ihr Leben strukturieren, die er/sie aber zugleich permanent bricht oder eigenständig interpretiert, formell wie auch informell. Systeme beeinflussen zudem die Lebenswelten des Menschen, werden aber auch von diesen beeinflusst oder aber beide Akteursräume bleiben unvernetzt. Die grundlegenden Konzepte der Sozialtheorie wie soziales Handeln/Interaktion, Normen, Rollen, Strukturen und Systeme sollen bei unserer Analyse mitgedacht werden (zur Einführung vgl. Bahrdt 1997). Letztlich ist hier Habermas‘ Dualismus von System und Lebenswelt von Bedeutung (Habermas 1995), wobei noch die Frage zu klären wäre, wer hier wen „kolonisiert“. Eine differenzierte Sichtweise auf Kommunikationsweisen von Systemen und Individuen (Kap. 1.3.) und deren Wechselwirkungen (Kap. 1.4.) ist aus unserer Sicht jedoch unbedingt erforderlich.

      System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz

      Eine zweite Vorbemerkung ist notwendig: Der Systembegriff, der hier verwendet wird, ist kein streng funktionalistischer. Zwar führen wir selbstbewusst Kommunikationsprozesse als Momente der Theoriebildung ein. Wovon wir allerdings Abstand nehmen wollen, ist eine rein prozessorientierte Theoriebildung, die die Akteure als Kommunikatoren zu bloßen „Objekten“ abstrakter Abläufe wie „Vernetzungen“, „Konnektivitäten“ und „Kommunikationsflüssen“ macht. Die moderne Netzwerktheorie tendiert dazu, eine Akzentverschiebung von sozialen Akteuren zu Netzen vorzunehmen, wobei die interne Logik von Systemen (z.B. Organisationen, Unternehmen, aber auch psychischen Systemen von Individuen) oder Lebenswelten weniger beachtet werden als die zwischen den Systemen oder Lebenswelten bestehenden Netzwerke und Austauschbeziehungen. Die internen Strukturen kollabieren quasi unter dem Druck der Vernetzung. Dazu Jan van Dijk: „Traditional internal structures of organizations are crumbling and external structures of communication are added to them” (2012, S.33). Ähnlich äußert sich auch George Ritzer mit dem Hinweis auf die Prozesssoziologie von Norbert Elias: „[F]ollowing Elias, in thinking about globalization, it is important that we privilege process over structure (just as we have privileged flows over barriers)“ (2010, S.25).

      In diesem Buch stehen zwar Kommunikationsprozesse im Vordergrund; Systeme und Lebenswelten bleiben aber kopräsent. Netzwerke sind Beziehungen innerhalb oder zwischen Sozialsystemen (Endruweit 2004, S.26), sie sind aber nicht die Sozialsysteme selbst, die deshalb mitgedacht werden müssen. Unsere Perspektive ist daher weder die der Akteur-Netzwerk-Theorie Latours noch die der Netzwerk-Theorie von Castells, sondern sie ist am ehesten als System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz zu bezeichnen. Dieser Ansatz ähnelt der von Roger Silverstone eingeführten und von Nick Couldry an der London School of Economics and Political Science (LSE) weitergeführten Sicht. Die Netzwerkmetapher wird dort als theoretisch zu anspruchslos für die Sozialtheorie angesehen, da sie die von den Handelnden erzeugten Interpretationen der Netzwerke unberücksichtigt lässt (Couldry 2006, S.104). Couldry spricht hier zu Recht von einem „problematischen Funktionalismus“, „so zu tun, als ob Medien das Soziale und die natürlichen Kanäle des sozialen Lebens und sozialer Auseinandersetzung wären, anstatt hoch spezifische und institutionell fokussierte Mittel der Repräsentation des sozialen Lebens“ (ebenda, S.104). Er wendet sich gegen den „Mythos des mediatisierten Zentrums“ und kritisiert die Tendenz der Kommunikationswissenschaft, Medien mit Gesellschaft gleichzusetzen (ebenda, S.105). Auch der deutsche Kommunikationstheoretiker Manfred Rühl äußert sich ähnlich: „Globale Kommunikationssysteme sind eingebettet in psychische, organische, chemische, physikalische, kurz: in nicht-kommunikative Mitwelten, die […] bei der Verwirklichung von Kommunikation mitwirken, ohne dazuzugehören. Kommunikationssysteme sind von der Mitwelt klar abzugrenzen, aber nicht zu trennen“ (ebenda, S.362).

      Insbesondere in der auf Talcott Parsons zurückgehenden struktur-funktionalistischen Systemtheorie werden schnell ablaufende funktionale Prozesse in Relation zu stabilen Strukturen gesetzt, auf der Basis der „Annahme eines systemimmanenten Bedürfnisses nach Selbsterhaltung, also nach Integration und Kontinuität“ (Kunczik/Zipfel 2001, S.69). Selbst Niklas Luhmann leugnet letztlich nicht das Vorhandensein solcher Strukturen, auch wenn seine „funktional-strukturelle Systemtheorie“ die Dynamik der Prozesse betont und die Schwergewichte in Abgrenzung von Parsons verlagert (Kneer/Nassehi 1997, S.116). Die Akteure lösen sich also gerade bei Parsons nicht in den Netzwerken auf, sondern sie bleiben als autonome Strukturen erkennbar, auch wenn sie sich funktional anpassen und von den (Kommunikations-)Prozessen beeinflusst werden können. Auch der Soziologe und Luhmann-Interpret Armin Nassehi folgt einer ähnlichen Grundidee, wenn er einerseits die erstaunliche Hartnäckigkeit sozialer Strukturen betont, andererseits aber die steigende Komplexität moderner (digitaler) Kommunikate erkennt, wobei er ausdrücklich die Frage eines durch digitale Kommunikation erfolgenden sozialen Strukturwandels offenlässt (2019). Im Gegensatz dazu behaupten Netzwerktheoretiker einen Primat des „Relationismus“ vor dem „Substanzialismus“ (Nexon 1999); sie sind der Ansicht, dass die Prozesse die Strukturen sind.

      Wir sind hingegen der Meinung, dass eine sinnvolle Analyse zunächst von der Kopräsenz von System- und Lebensweltstrukturen einerseits und Kommunikationsprozessen andererseits ausgehen sollte, zugleich aber offen sein muss für:

       die mögliche Verschachtelung von System- und Lebensweltstrukturen (auch in den Organisationen stecken informelle Lebenswelten wie auch in den Lebenswelten die Systeme einflussreich sein können) (Kneer/Nassehi 1997, S.142f.);

       die mögliche dominante Prägekraft der Strukturen mit Blick auf die Kommunikationsprozesse (strategisches Handeln);

       die mögliche dominante Prägekraft der Kommunikationsprozesse mit Blick auf die Strukturen (kommunikatives Handeln).

      Die ganze Debatte erinnert an die Auseinandersetzung in der Lehre der Internationalen Beziehungen zwischen Neo-Institutionalisten (wie Robert O. Keohane und Joseph Nye) und Funktionalisten (wie David Mitrany). Unser System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz will den Dualismus von Akteuren und Funktionen zugunsten einer pragmatischen Sichtweise aufgeben, die durchaus Raum für einen starken Einfluss funktionaler (auch technischer) Prägungen der Prozesse der globalen Mediatisierung lässt, Systemen und Lebenswelten als den Polen in globalen Diskursen und Dialogen aber zugleich die Möglichkeit einer prägenden Gestaltung nicht abspricht. Eher als der pure Neo-Institutionalismus oder der Funktionalismus entspricht also das System-Lebenswelt-Netzwerk-Denken unserer eigenen Herangehensweise. Netzwerktheorie lässt sich nämlich mit anderen Theorien wie der System- oder der Lebenswelttheorie durchaus koppeln (Häußling 2005, S.269ff.). Diese Form der „modularen Theorie“ halten wir für sinnvoll, um den Widerspruch zwischen Strukturalismus und Funktionalismus kreativ zu verarbeiten.

      Globale Zentren und Peripherien

      Eine letzte Vorbemerkung ist erforderlich, die den Aspekt des Postkolonialismus anspricht. Wer Strukturen analytisch stark macht, muss sich unweigerlich mit der Frage beschäftigen, ob eben diese Strukturen nicht nach weiteren Differenzierungen verlangen, etwa was das Verhältnis zwischen Industrie- und Entwicklungsländern oder zwischen ehemals kolonisierten und kolonisierenden

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