Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez
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Dennoch sind wir der Meinung, dass solche Strukturvariablen eher universell als partikular und schon gar nicht kulturspezifisch zu deuten sind. Sowohl die inneren Kommunikationsabläufe in Systemen und Lebenswelten als auch die Interdependenzverhältnisse zwischen Systemen und/oder Lebenswelten als Umwelten (siehe unten) lassen weltweite frappierende Ähnlichkeiten über politische und kulturelle Systemgrenzen hinweg erkennen, wo kulturübergreifende Strukturmuster wie Nationalstaaten, transnationale Unternehmen, soziale Bewegungen, Gemeinschaften und Lebenswelten vorhanden sind. In diesem einen Punkt unterscheiden wir uns also nicht von den Vertretern des Relationismus. Globale Strukturunterschiede bilden reale Machtunterschiede ab; sie sind aber keine absoluten Kulturunterschiede, sondern gerade durch Prozesse der globalen Beobachtung und Interaktion in stetigem Wandel begriffen.
Inventarisierung: Global kommunizierende Sozialsysteme und Lebenswelten
Wendet man sich nach diesen Vorbemerkungen nunmehr einer Inventarisierung der Akteure globaler Kommunikation zu, so lassen sich – noch vor der Beschreibung komplexer Lebenswelten – unterschiedliche Systemgrößen erkennen: Individuen als psychische Systeme ebenso wie organisierte und nicht organisierte Sozialsysteme. Grenzüberschreitende Kommunikation kann zwischen gleichen wie auch ungleichen Polen entstehen, also zwischen den politischen Systemen oder auch zwischen Individuen und organisierten Sozialsystemen usw. Sie kann zudem – entsprechend den eingeführten Kommunikationsmodi – primär im Modus der Beobachtung oder der Interaktion in Erscheinung treten oder aber, was von großer Bedeutung für die nähere Funktionsbestimmung sein wird, Mischformen erzeugen, da die wenigsten Systeme und Akteure nur beobachten oder interagieren. Allerdings gibt es systemspezifische Logiken, deren Herausarbeitung zu den primären Anliegen des Buches gehört.
Für die nähere Bestimmung der akteursspezifischen globalen Kommunikationsmodi ist die Unterscheidung zwischen Individuen, organisierten und nicht-organisierten Sozialsystemen bedeutsam. Organisierte Sozialsysteme benötigen nicht nur eine Organisationsidee, sondern auch eine Organisationsstruktur (Hauriou 1965), was sie von nicht-organisierten Systemen abgrenzt. Nicht-organisierte Sozialsysteme sind zum Beispiel „Gemeinschaften“, die eine Idee, aber keine Struktur und Organisation vorweisen können (auch wenn sich aus Gemeinschaften Organisationen bilden können, die dann allerdings nicht mehr nur als Gemeinschaften anzusehen sind, sondern eben als Organisationen). Umgekehrt aber haben Organisationen immer auch eine Gemeinschaftsidee, ein Leitbild, eine Identität. Organisierte Sozialsysteme sind zudem handlungsorientiert. Die Politik als dominantes Supersystem der Gesellschaft (Gerhards/Neidhardt 1990) ist primär für die Herstellung von Sicherheit und Ordnung zuständig, die Wirtschaft für die Absicherung der materiellen Ressourcen, die Medien für die unabhängige Beobachtung aller anderen Systeme usw.
Medien, Politik und Wirtschaft als (trans-)nationale Systeme
Die spezifischen Logiken der einzelnen Systeme haben jedoch dazu geführt, dass diese in sehr unterschiedlicher Weise transnationale Zweitsysteme ausbilden (Vereinte Nationen, transnationale Unternehmen, transnationale Medien usw.), deren Kommunikationsregeln sich von der Grenzüberschreitung nationaler Systeme unterscheiden. In der Tendenz agieren Massenmedien als nationale (lokale) Mediensysteme, die das „Ausland“ als Informationsressource benutzen, während die Informationsverarbeitung allerdings in einem lokalen Mediensystem stattfindet, das durch eigene Organisationsstrukturen, Personal und Ressourcen ausgestattet ist. Die kommunikative Grenzüberschreitung solch nationaler Massenmedien bezeichnet man als „Auslandsberichterstattung“ (Hafez 2002a). Der sogenannte „Auslandsrundfunk“ besteht ebenfalls aus nationalen Medien, die allerdings den Kommunikationsfluss umdrehen. BBC World, RT, Voice of America und viele andere solcher Sender produzieren speziell für ausländische Publika (was ihre Autonomie gefährdet und sie oft de-facto zu einem Teil des politischen Systems macht).
Transnationale Strukturen haben Medien hingegen nur sehr spärlich entwickelt. Die meisten als international geltenden Medien sind eigentlich nationale Fabrikate mit einem globalen Anspruch (z.B. CNN) (Hafez 2005, S.23ff.). Dies gilt sogar für Medien wie den arabischen Fernsehsender Al-Jazeera, der in geolinguistischen Großregionen wie der arabischen Welt grenzüberschreitend Geltung erlangt hat. Internationale Nachrichtenagenturen sind noch am ehesten transnational ausgerichtet, da sie Informationen aus und für die meisten Länder der Welt liefern. Indem sie aber der Endproduktion durch die Medien vorgeordnet sind, sind sie eher als mediales Subsystem, denn als eigenständiges Mediensystem zu betrachten. Im Bereich der Massenmedien können die kommerziellen Strukturen durchaus transnational verflochten sein – spätestens bei der journalistischen Endproduktion aber gilt das nationalstaatliche oder zumindest nationalsprachliche Prinzip.
Was die Konturen des politischen Systems angeht, muss man zwei Ebenen unterscheiden: das im Ansatz vorhandene transnationale System (UNO, EU usw.) und den Nationalstaat. In der Politik kommuniziert der Staat sowohl im Rahmen transnationaler Organisationen, er verfügt aber auch über eine Tausende Jahre alte Geschichte der Diplomatie, des Austauschs zwischen Staaten, und diese Form der Internationalität und der Außenpolitik ist bis heute in den internationalen Beziehungen dominant. Auf Grund der Erfahrung der Weltkriege hat man im 20.Jahrhundert die Transnationalisierung etwa in Form der Vereinten Nationen oder kollektiver Sicherungsbündnisse wie der NATO vorangetrieben. Interaktionen spielen sich heute innerhalb dieser transnationalen Organisationen wie auch bi- und multilateral direkt zwischen unabhängigen Staaten ab.
Die in der frühen Globalisierungsdebatte vielfach erwartete Auflösung des Nationalstaates hin zur Transnationalisierung der Politik ist allerdings ungeachtet der zum Teil vorhandenen multinationalen Bündnisse (wie der EU) oder der internationalen Governance-Regimes (z.B. Kyoto-Protokoll im Umweltbereich) nicht erfolgt (Frei 1985, Brand et al. 2000). Der Nationalstaat ist nach wie vor der primäre Ort globaler Politik. Aus diesem Grund beschäftigen wir uns im vorliegenden Buch vor allem mit Außenpolitik-Kommunikation. Es ist wichtig, Diplomatie als einen Kommunikationsprozess zu verstehen, in dem Interaktion und Dialog in Verhandlungen eine zentrale Rolle spielen, zum Teil auch der Trialog mit Hilfe von Mediatoren. Auch Gewaltakte oder angedrohte Gewaltakte können eine Form zwischenstaatlicher Kommunikation sein – allerdings sind Gewalthandlungen eher monologisch und unilateral. Das politische System ist zudem ein zentraler Bestandteil öffentlicher Kommunikation, es beobachtet, wird von anderen Systemen und in Lebenswelten beobachtet und beeinflusst die Synchronität der mediatisierten Weltöffentlichkeit.
Ähnliches gilt auch für das Wirtschaftssystem. Auch hier ist eine Transnationalisierung im Ansatz erfolgt, etwa in Form großer wirtschaftspolitischer Einrichtungen der Weltbank, des IWF, internationaler Finanzabkommen und Handelsverträge. Es gibt zudem einen fortgeschrittenen Trend zu transnationalen Wirtschaftsunternehmen (Transnational Corporations/TNCs), die gemeinhin als „Global Players“ bezeichnet werden. In der zweiten Welle der Globalisierungsforschung wurde allerdings die Dominanz dieser Entwicklung und die Vorrangstellung des Transnationalen im Wirtschaftssystem bestritten (Hirst/Thompson 1999).
Es wäre demnach also falsch, die Politik oder die Wirtschaft als rein grenzüberschreitende Kräfte zu betrachten. Vielmehr sollten wir von gleichzeitig ablaufenden Trends von globaler Homogenisierung (im Sinne der global governance der Transnationalisierung von Wirtschaftsräumen oder Unternehmen) und nationaler Heterogenisierung (Nationalstaatspolitik und Protektionismus) sprechen. Die vorhandenen transnationalen Unternehmensstrukturen jedoch eröffnen ein eigenes Forschungsfeld. Anders als zumeist im Bereich der Politik geht es hier nicht länger um Kommunikation zwischen Systemen, sondern um Binnenkommunikation in grenzüberschreitenden Systemen, die nach besonderen Regeln verläuft, da die Organisationsziele und -programme im Grundsatz nicht mehr verhandelt werden müssen und die Mitgliedschaft in einer grenzüberschreitenden Einrichtung geklärt zu sein scheint. Die globale Integration, die Theoretiker wie Karl W.