Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez
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Direkte soziale Interaktion unterscheidet sich von der sozialen Koorientierung, die auf Beobachtungen im Alltag beruht oder aber vermittels Medien stattfinden kann. Sowohl Umweltobjekte als auch Medien kann man als X-Objekte betrachten, auf die Menschen (A und B) orientiert sind. Im Unterschied zur Interpretation von beobachtbarer Umwelt liefern Medien eine Art Beobachtungs-Beobachtung, die Beobachtung anderer wird zugänglich. Man kann auch von direkter und indirekter Beobachtung sprechen. Medien sind hier Ressourcen zur Aushandlung der Welt, sie können Wissen schaffen, aber Sinndeutungen müssen auch im gemeinschaftlichen Rahmen ständig neu interaktiv ausgehandelt werden, um der Gesellschaft Stabilität zu verleihen. Beide Beobachtungsformen sind auch für den Prozess der globalen Kommunikation bedeutsam.
Direkte Beobachtung der Welt erfolgt durch den physischen Prozess der Grenzüberschreitung durch Individuen (etwa im Tourismus, in der Diplomatie usw.). Eine auf Medien koorientierte Wahrnehmung der Welt vermittelt darüber hinaus Wissen, gelegentlich sogar kosmopolitische Grundstimmungen. Die direkte Interaktion des Menschen – gleich ob in der privaten Lebenswelt oder als Rollenträger in politischen und gesellschaftlichen Systemen – ist allerdings eine zusätzliche sinnstiftende und zudem für die emotionale Bindung der Weltgemeinschaft wichtige Funktion. Simultanität durch Beobachtung und durch Massenmedien (ebenso wie universelle menschliche Orientierungen und kosmopolitische Werte) sind also wichtige Voraussetzungen für das Weltverstehen. Sie sind aber noch nicht selbst das Verstehen, denn diese Kommunikationsprozesse vermitteln noch kein stabiles Bewusstsein der globalen Gemeinsamkeit (Axford 2013, S.32), das nur durch direkte Interaktion und Erfahrungswissen entstehen kann. Die erfolgreiche Koorientierung durch Massenmedien ist zwar eine notwendige Voraussetzung für globale Gemeinschaftsintegration, sie ist aber nicht hinreichend, solange die Rückverhandlung oder Weiterverarbeitung ausschließlich in getrennten Sozialsystemen und Lebenswelten stattfindet (Hafez 2002a, Bd.1, S.171ff., Grüne 2016, S.421ff.).
Reizvoll ist es an dieser Stelle, das berühmte Bild des Orchesters, das Alfred Schütz für Symbolische Interaktion geprägt hat, auf die Weltgemeinschaft zu übertragen. Schütz sagt, dass, um gute Musik zu spielen, man nicht nur die richtigen Noten vom Blatt lesen können muss, sondern auch immer darauf achten sollte, wie die Kollegen spielen (Schütz 1951, S.94ff.). Sieht man die Welt als Orchester, dann reicht es nicht, sich beobachtend und mit Hilfe von Medien global zu koorientieren und mit der Welt zu synchronisieren, sondern man muss auch in eine direkte Kommunikation mit der Welt treten – Kosmopolitismus als Wert ist gut, globale Kommunikation als Praxis ist besser.
Diskursive Weltgesellschaft/dialogische Weltgemeinschaft: Kommunikationstheorien
Im Unterschied zur Weltgesellschaft bilden sich in der Weltgemeinschaft nicht nur gemeinsame Ethiken wie Menschenrechte und Kosmopolitismus aus (Albert et al. 1996, S.19, vgl. a. Etzioni 2004). Diese Ethiken können nur durch interaktives Handeln auf allen Ebenen entstehen, was den Übergang von der Weltgesellschaft zur Weltgemeinschaft zu einem intrinsisch kommunikations- und dialogbasierten Projekt macht. Emanuel Richter: „[Es] kommt in jenen Vorstellungen zum Ausdruck, die sich als ‚kommunikatives‘ Modell der Welteinheit klassifizieren lassen. Dieses erhebt die geradezu revolutionäre Ausbreitung von kommunikativen Austauschprozessen in allen Lebensbereichen zum neuen Bestimmungselement des globalen Zusammenhangs. […] In der abstraktesten Formulierung stellt sich diese Weltgemeinschaft als eine Art ‚kognitive Weltgesellschaft‘ dar, die in der Verallgemeinerung von Kommunikation schlechthin eine neue Form der Welteinheit erblickt. Diese systemtheoretische Einfärbung der Vorstellungen von der Welteinheit rückt also jenen Aspekt der Weltgesellschaft ins grelle Licht, der sich auf die Globalisierung von kommunikativen Austauschprozessen bezieht“ (1990, S.277).
Philosophen wie Immanuel Kant, Richard Rorty, Jürgen Habermas oder Nancy Fraser haben über Jahrzehnte immer wieder ihre Visionen einer „dialogischen Weltgemeinschaft“ formuliert (vgl. Linklater 1998, S.85ff.). Eine genaue theoretische Ausformulierung dieser Konzepte hat jedoch nicht zuletzt wegen der Zersplitterung der Geistes- und Sozialwissenschaften nie stattgefunden (Albert 2009). Neben den Theoretikern der sozialen Kommunikation, der internationalen Beziehungen und politischen Philosophie sind Medienphilosophen sowie Kommunikations- und Netzwerktheoretiker der modernen Informations- und Kommunikationsgesellschaft ergiebig, wenngleich auch sie selten auf globale Verhältnisse Bezug nehmen. Zu den bekanntesten Medienphilosophen gehört Vilém Flusser, dessen kardinale Unterscheidung zwischen diskursiver und dialogischer Kommunikation an der Wurzel unserer eigenen, in ähnlicher Weise Beobachtung von Interaktion trennenden Theoriebildung liegt: „Um Informationen zu erzeugen, tauschen Menschen verschiedene bestehende Informationen aus, in der Hoffnung, aus diesem Tausch eine neue Information zu synthetisieren. Dies ist die dialogische Kommunikationsform. Um Informationen zu bewahren, verteilen Menschen bestehende Informationen, in der Hoffnung, dass die so verteilten Informationen der entropischen Wirkung der Natur besser widerstehen. Dies ist die diskursive Kommunikationsform“ (2000, S.16). Auch Jürgen Habermas orientiert sich an dieser grundlegenden Unterscheidung zwischen Interaktion (beziehungsweise „kommunikativem Handeln“) und Diskurs, wobei er der Interaktion direkte Handlungskonsequenzen zuweist, während der Diskurs ein System der „möglicherweise existierenden Tatsachen“ ist, in dem das Individuum Informationen verstehen und deuten kann, ohne dass unmittelbare soziale Konsequenzen daraus entstehen (1971, S.21f.).
Flusser hat in seiner Medientheorie das bestehende Ungleichgewicht der Kommunikationsmodi in der Moderne beschrieben und ein Ende des Primats textbasierter Diskurskommunikation beschworen. Eine „Kommunikationsrevolution“ der Menschen sei erforderlich, so meinte er, ein „Abschirmen des Interesses der Menschheit gegen die sie programmierenden Diskurse“ (ebenda, S.47). Alphabetisierung der Moderne, Entwicklung des Buchdrucks, das Entstehen linearer Geschichtsschreibungen und der großen ideologischen Narrationen, inklusive moderner Nationalstaatsideen und moderner Kriege, sind bei Flusser aufs engste verbunden (ebenda, S.56). Die Bevölkerung wird in diesem Prozess zur „Masse“, die Lebenswelt wird kolonisiert. Man mag Flussers Sprache pathetisch und seine Betonung des repressiven Charakters der Mediendiskurse angesichts der von ihm selbst ja konstatierten Unverzichtbarkeit von Dialog und Diskurs (ebenda, S.16) widersprüchlich finden. Der Dualismus von diskursiver und dialogischer Kommunikation als Grundlage einer sozialen Kommunikationstheorie aber lässt sich in den Arbeiten zahlreicher Autoren erkennen.
Weiterführend ist Michael Giesecke sicher einer der interessantesten Autoren, die sich mit Fragen von Medien, Dialogen, Kommunikationsprozessen und Vergemeinschaftung beschäftigt haben. Gieseckes Denken ist grundlegend im Konzept der Kommunikationsökologie als dem Zusammenwirken artverschiedener Kommunikationsformen verankert (2002). Menschliche Kommunikation basiert auf durch Medien ermöglichtem Beobachten ebenso wie auf direktem lebensweltlichen Interagieren. Störungen und Pathologien entstehen aus Disbalancen, die das Zusammenwirken der verschiedenen Kommunikationstypen aus den Fugen geraten lassen (ebenda, S.35): bekannt sind hier seine „Mythen der Buchkultur“. Giesecke beschreibt die moderne Kultur des Westens und der Aufklärung als zu text- und beobachtungszentriert. Sein Beispiel: Hätte sich Kolumbus auf den herrschenden Diskurs seiner Zeit verlassen, hätte er sich nie auf die Suche nach neuen Welten gemacht. Erst die direkte Beobachtung – an den Küsten angeschwemmte Funde von toten nordamerikanischen Ureinwohnern oder Bambusstämmen – und die Interaktion mit Gleichgesinnten ermutigten ihn zu seinen Abenteuern (ebenda, S.114ff.).
Gerade das Internet betrachtet Giesecke als Chance für eine neue Vision der Informationsgesellschaft, die die kommunikationsökologische Balance, die durch monologische Buch- und Pressekulturen zerstört wurde, wiederherstellen kann. Dabei geht es nicht nur um eine Wiederbelebung des interpersonalen Dialogs, sondern vor allem um die Revitalisierung des Gruppen- und Mehrpersonengesprächs. Fraglich bleibt allerdings, wenn man den Hinweis von Giesecke