Grundlagen der globalen Kommunikation. Kai Hafez
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Eine der Hauptursachen für die Stagnation mag dabei sein, dass Kommunikationsprozesse von den bekannten Vordenkerinnen und Vordenkern nie wirklich konsequent berücksichtigt wurden. Die Kommunikationswissenschaft, die eigentlich eine zentrale Rolle in der Debatte spielen sollte, wurde von den in der Diskussion führenden Soziologen und Philosophen zu einer Hilfswissenschaft degradiert, deren Prozesslogiken vielfach unter nebulösen Begriffen wie „Vernetzung“ verborgen blieben. Bei Vordenkern wie Giddens oder Held wurde die Beschleunigung und Deterritorialisierung technikbasierter Kommunikation geradezu zur unhinterfragten Prämisse einer Forschung, die sich fortan nur Gedanken darüber machte, wann der Nationalstaat diesem Druck der grenzüberschreitenden Kommunikation zum Opfer fallen würde (Hafez 2005, S.83ff.). Die Marginalisierung der Kommunikationstheorie hat eine der drei großen Ressourcen der Theoriebildung – Macht, Kapital, Kommunikation – an den Rand gedrängt und den Primat der anderen beiden (und den ihrer wissenschaftlichen Disziplinen) für Jahrzehnte gesichert.
Über die Ursachen für diese Ausgrenzung der Kommunikationstheorie kann man nur spekulieren. Lag es an der „Technophilie“, an einer übertriebenen Faszination für neue digitale Möglichkeiten? Ähnlich wie bei früheren theoretischen Auseinandersetzungen zwischen Modernisierungs- und Dependenztheoretikern waren die digitale Technikfixierung und die Unterbewertung sozialer Kommunikation immer auch Ausdruck eines Eurozentrismus, weswegen es nicht verwunderlich ist, dass die Globalisierungsdebatte vor allem von den anglo-amerikanischen Ländern ausging – und auch von dort aus scheiterte. Bei all dem hat die Kommunikationswissenschaft sicherlich auch eine Form der Selbstmarginalisierung betrieben, weil in ihr heute umfassende Makrotheorien weniger bedeutsam erscheinen als Teiltheoreme der Medienforschung oder der interpersonalen Kommunikation. Ein Fach, das sich die Makrotheorie der Öffentlichkeitstheorie oder der Systemtheorie (Habermas, Luhmann u.a.) von anderen Sozial- und Geisteswissenschaften borgt oder ihre Reflexion gleich ganz vernachlässigt, darf sich über seine Randstellung bei großen Wissenschaftsfragen nicht beklagen.
Dass einer der beiden Autoren dieses Buches frühzeitig globalisierungsskeptische Positionen äußerte, soll nun allerdings nicht bedeuten, dass das folgende Werk einfach der zweiten Welle der Globalisierungsdebatte zuzuordnen wäre. Zwar fließen zahlreiche revisionistische Fakten und Argumente in die nachstehenden Ausführungen und vor allem in die empirische Bilanz des gegenwärtigen Ist-Zustandes der globalen Kommunikation ein. Zugleich wird aber versucht, auf der Basis einer fundierten Kommunikationstheorie das zu tun, was man eigentlich der „dritten Welle“ der Globalisierungsforschung zuschreibt. Diese geht zwar nicht mehr von einer generellen, alles durchdringenden und überformenden Globalisierung aus, erkennt aber globale „patterns of stratification across and within societies involving some becoming enmeshed and some marginalised“ (Martell 2007, S.189). Auf der Basis einer skeptisch-revisionistischen Sicht der Dinge werden also zugleich Transformationspotenziale aufgezeigt, die auf eine tatsächliche neue Qualität der Globalisierung hinweisen, deren Auswirkungen auf die Welt heute allerdings noch recht unklar sind. Dieses Buch ist daher als ein realistisch orientierter Versuch einzuschätzen, auf der „dritten Welle“ der Globalisierungsforschung zu „reiten“.
1 Theorie der globalen Kommunikation
Der nachfolgende theoretische Aufriss beginnt mit einer Einführung in grundlegende Kommunikationsmodi, die erforderlich ist, da das vorliegende Buch nicht nur von globaler Massenmedienkommunikation handelt, sondern politische und soziale Kommunikationsprozesse unterschiedlicher Art berücksichtigt. Im nächsten Schritt werden die Akteure der Kommunikation – organisierte und nicht-organisierte Sozialsysteme und Lebenswelten – in ihrem Verhältnis zu den Kommunikationsmodi vorgestellt. Es folgt eine Hinführung zu den jeweils spezifischen Kommunikationsformen der Sozialsysteme und Lebenswelten im globalen Raum. Den Abschluss bildet ein Kapitel, in dem die Wechselwirkungen und Interdependenzen zwischen den verschiedenen Kommunikationsweisen der Akteure im Sinne der Theorie der globalen Kommunikation grundlegend eingeführt werden.
1.1 Allgemeine Kommunikationsmodi der globalen Kommunikation
Weltöffentlichkeit und Weltgemeinschaft: Synchronisation und Integration
Für die globale und grenzüberschreitende Kommunikation sind unterschiedliche Konzepte von Bedeutung. Am bekanntesten ist wohl das der „Weltöffentlichkeit“ (global public sphere, Volkmer 2014, Sparks 1998). Bei Massenmedien sind wir es gewohnt zu fragen, ob es eine Weltöffentlichkeit gibt. Werden Diskurse und damit Themen, Frames, Begriffe, Symbole und Bilder in verschiedenen nationalen Mediensystemen oder sogar transnational, das heißt durch Medien, die in mehreren Mediensystemen agieren, zeitgleich verhandelt? Man kann diese Frage als Synchronisations- oder auch als Koorientierungsproblem bezeichnen und es auf einfache Art wie folgt formulieren: Beobachten die Menschen dieser Erde unsere Welt mit Hilfe von Medien in ähnlicher Weise? Führt die journalistische Selbstbeobachtung tatsächlich zu einer „Synchronisation der Weltgesellschaft“ (Blöbaum 1994, S.261), indem sie uns ähnliches Wissen zur Verfügung stellt? Während der Begriff der „Öffentlichkeit“ weithin bekannt ist, spielen soziologische Konzepte wie „Weltgesellschaft“ oder „Weltgemeinschaft“ (Beck 1997, Richter 1990) in der Kommunikationsforschung kaum eine Rolle. Der Begriff der „Gesellschaft“ ist historisch eng mit dem Entstehen von medialer Öffentlichkeit verbunden. In einer Gesellschaft beobachten Menschen ihre Umwelt mit Hilfe von Medien (Kunczik/Zipfel 2001, S.47ff.). Der Begriff der „Weltgemeinschaft“ ist hingegen für die Kommunikationsforschung problematisch. Er evoziert ein anderes Problem als das der Synchronisation: das Interaktionsproblem, das zugleich ein Integrationsproblem ist. Während in Gesellschaften eine direkte Interaktion nicht unbedingt erforderlich ist, sondern Beobachtung mit Hilfe von Massenmedien von zentraler Bedeutung ist, entstehen Gemeinschaften durch Interaktion miteinander statt lediglich übereinander. Für Gemeinschaft, zumal für die lokale und stationäre Gemeinschaft, ist der zwischenmenschliche Dialog nahezu unabdinglich. Im Dialog optimieren wir unser Wissen und erzeugen den Wert eines gemeinsamen Wir-Gefühls.
Es lassen sich also zwei Grunddefinitionen festhalten: a) Vernetzung als interpretative Informationsverarbeitung ohne Interaktion ist Beobachtung; b) Vernetzung als kooperative und integrative Informationsverarbeitung ist Interaktion beziehungsweise Dialog. Beide Kommunikationsformen sind für die menschliche Existenz bedeutsam.
Zwar ist die Abgrenzung zwischen Gesellschaft