Empirische Methoden der Kommunikationswissenschaft. Heinz Pürer

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Empirische Methoden der Kommunikationswissenschaft - Heinz Pürer

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Wenn eine Inhaltsanalyse durchgeführt werden soll (vgl. Kap. 3.2), schöpft man die zu untersuchenden Texte oder Fernsehausschnitte ebenfalls aus einer definierten Grundgesamtheit, z. B. alle Ausgaben einer Tageszeitung aus einem bestimmten Zeitabschnitt. Damit ist bereits angedeutet, dass der Forscher – wiederum in Abhängigkeit vom Forschungsgegenstand – entweder die komplette Grundgesamtheit oder nur Teile aus ihr befragen, beobachten oder inhaltsanalytisch untersuchen kann. Man spricht deshalb auch von Voll- oder Teilerhebungen. Im Falle der seit 1964 regelmäßig erhobenen »Langzeitstudie Massenkommunikation« handelt es sich z. B. um eine Teilerhebung. Man befragt nur einen kleinen Ausschnitt der gesamten Bevölkerung (hier im Jahr 2015: 4.692 Personen) und überträgt die Ergebnisse aus dieser Stichprobe auf die Grundgesamtheit (vgl. Engel 2015). Wenn man dann z. B. in dieser Stichprobe ermittelt, dass die Befragten durchschnittlich rund dreieinhalb Stunden am Tag fernsehen, schließt man auf das Fernsehnutzungsverhalten der Bevölkerung insgesamt. Diese Aussage ist nur dann erlaubt, wenn die Stichprobe ein verkleinertes, strukturgleiches Abbild einer Grundgesamtheit ist.

      Warum nun ist ein Repräsentationsschluss von der Stichprobe auf die Gesamtpopulation zulässig? Möglich wird dies durch die Logik des Auswahlverfahrens: Für eine repräsentative Bevölkerungsumfrage wird die Stichprobe i. d. R. mittels Zufallsauswahl gezogen. Von einer Zufallsstichprobe spricht man, wenn jedes Element der Grundgesamtheit dieselbe Chance hat, in eine Stichprobe aufgenommen zu werden. Nur dann darf man im statistisch korrekten Sinn Ergebnisse einer Teilmenge auf die Gesamtpopulation übertragen. Durch das Zufallsprinzip bei der Auswahl nähert sich die Struktur der Stichprobe derjenigen der Grundgesamtheit an. Natürlich kann es bei derartigen Ziehungen auch Abweichungen geben, etwa dass Frauen im Verhältnis zu ihrer tatsächlichen Verteilung in der Bevölkerung unter- oder überrepräsentiert in der Stichprobe auftauchen. Diese Abweichung sinkt jedoch mit der Größe der Stichprobe: Auf Grund des Gesetzes der Großen Zahl kann man davon ausgehen, dass die Ergebnisse einer Stichprobe (z. B. Mittelwerte oder Verteilungen) mit vielen Elementen mit hoher Wahrscheinlichkeit nahe am wahren Wert, also der tatsächlichen Verteilung in einer gegebenen Grundgesamtheit, liegen. Eine Stichprobe muss also ausreichend groß gewählt werden, um sich seiner Schätzung sicher zu sein. Fällt die Stichprobe zu klein aus, ist die Möglichkeit, einen »falschen« – d. h. einen vom wahren Wert abweichenden – Wert zu schätzen, größer. Diese Erkenntnis der Statistik ist sowohl für die Wissenschaft als auch für die angewandte Marktforschung äußerst wichtig. In beiden Fällen kommt es nämlich darauf an, möglichst genaue Aussagen darüber zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Einstellung in der Grundgesamtheit vorhanden ist, etwa bei einer (politischen) Wahlabsicht oder bei der Einschätzung eines neuen Produktes (vgl. Kap. 1.1).

      In den Sozialwissenschaften wurden im Wesentlichen zwei methodisch-statistische Verfahren entwickelt, diese Problematik zu bewältigen. Zum einen sind dies die zufallsgesteuerten Auswahlverfahren (Random-Verfahren), zum anderen ein Spezialfall der bewussten Auswahlverfahren, das Quotenverfahren. Mit einer Stichprobe, die nach dem Zufallsprinzip gezogen wurde, bildet sich am ehesten die wahre Verteilung von Merkmalen einer Grundgesamtheit in einer Stichprobe ab. Das einfachste und zugleich mathematisch korrekte Auswahlverfahren ist die »einfache« oder auch uneingeschränkte Zufallsauswahl. Will man z. B. eine Stichprobe der Einwohner einer Großstadt ziehen, müsste man aus einem vollständigen Register aller Elemente (gemeldete Bewohner) aus der Grundgesamtheit (die Großstadt) per Zufallsgenerator ziehen. Alternativ kann man nach einer festgelegten Auswahlregel (»ziehe jedes 7. Element, beginne mit C«) vorgehen, um eine ausreichend große Teilmenge auszuwählen. In diesem Fall spricht man von einer systematischen Zufallsauswahl.

      Neben dem Prinzip der Zufallsauswahl kennt die empirische Sozialforschung weitere Verfahren, Stichproben zu ziehen. Will man z. B. einen möglichen Zusammenhang zwischen sozialem Verhalten und extrem hohem Fernsehkonsum erforschen, würde eine Zufallsstichprobe ohne zusätzliche Spezifizierung wenig Sinn machen, da man sehr viele Personen »ziehen« müsste, um irgendwann eine hinreichend große Menge an Vielsehern zusammen zu haben. Außerdem ist man ja nicht an dem Anteil von Extremsehern in der Bevölkerung interessiert, sondern speziell am Verhalten dieser Teilpopulation. Man würde in derartigen Fällen eher Personen bewusst auswählen, die von sich sagen, dass sie regelmäßig sehr viel fernsehen. Man erhält eine Stichprobe typischer Fälle oder extremer Fälle. Die Ergebnisse haben dann zwar nur Gültigkeit für genau diese Stichprobe. Kann man allerdings gewährleisten, dass die Fälle tatsächlich »typisch« sind oder zufällig aus der Grundgesamtheit aller Extremseher gezogen wurden, sind auch solche Befunde (für diese Gruppe) repräsentativ. Der Begriff repräsentativ ist also keinesfalls deckungsgleich mit »bevölkerungscharakteristisch«, obgleich er im Alltagssprachgebrauch oft synonym verwendet wird.

      Ein weiteres, bekanntes Verfahren bewusster Auswahl ist das sog. Quotenverfahren. Beim Quotenverfahren werden ausgewählte bekannte Merkmale einer Grundgesamtheit 1:1 auf die Stichprobe übertragen. Diese Merkmale sind i. d. R. soziodemografische, also z. B. Alter, Geschlecht, Wohnort, Einkommen, formale Bildung oder Berufstätigkeit. Voraussetzung für die Ziehung einer Stichprobe nach dem Quotenverfahren ist die genaue Kenntnis der Verteilung dieser Merkmale in der Grundgesamtheit. Die Daten dazu liefern die statistischen Landes- und Bundesämter, die sie wiederum durch Zensus bzw. Mikrozensus erhalten. Man weiß dann z. B., wie viele berufstätige Frauen, die älter als 50 Jahre sind, in einem bestimmten Bundesland leben. In der Stichprobe muss dann genau dieser Anteil berufstätiger Frauen über 50 im Bundesland vertreten sein. Die Befragten werden demnach nicht zufällig, sondern nach einem Quotenplan bewusst ausgewählt.

      Der Vorteil einer Quotierung ist, dass die Stichprobe hinsichtlich der quotierten Merkmale zu 100 Prozent ein strukturgleiches Abbild der Grundgesamtheit darstellt. Während man bei zufallsgesteuerten Auswahlverfahren auch davon ausgehen kann, dass die Verteilung aller Merkmale in der Stichprobe denen in der Grundgesamtheit entspricht, besteht der Nachteil der Quotenstichprobe darin, dass eben nur die Verteilung der quotierten soziodemografischen Merkmale der Verteilung in der Grundgesamtheit entspricht. Von allen anderen Merkmalen, insbesondere denjenigen, die bei einem Forschungsvorhaben untersucht werden sollen, kennt man im Unterschied zu einer Auswahl nach dem Zufallsprinzip die Verteilung in der Grundgesamtheit nicht. Gerade weil bei Quotenverfahren keine uneingeschränkte Zufallsauswahl angewendet wird, kann es also passieren, dass die zu untersuchenden Merkmale in der Stichprobe systematisch verzerrt abgebildet sind. In der Praxis zeigt sich allerdings, dass die Ergebnisse von Marktforschungsinstituten, die mit Quotenverfahren ihre Stichprobe realisieren, nicht grundsätzlich »realitätsferner« sind als diejenigen, die per Zufallsauswahl ziehen. Hinzu kommt, dass es beim Quotenverfahren keine (sichtbaren) Stichprobenausfälle gibt – die beim Zufallsverfahren etwa aufgrund der fehlenden Erreichbarkeit mancher Elemente auftreten – weil beim Quotenverfahren so lange weiter rekrutiert wird, bis die Quoten erfüllt sind.

      Gemeinsam ist allen empirischen Forschungstechniken, durch planmäßiges und systematisches Vorgehen Daten und Informationen über die Vielfalt gesellschaftlicher Phänomene sowie individueller und sozialer Meinungen und Einstellungen, Handlungen und Verhaltensweisen auf intersubjektiv nachvollziehbare Weise zu erhalten. In aller Regel können beim empirischen Forschen nur kleine Ausschnitte sozialer Realität erfasst werden. In der Kommunikationswissenschaft können dies z. B. sein: die Berufsgruppe der Journalisten (Kommunikatorforschung); die Berichterstattung von Medien über ein bestimmtes Thema (Medieninhaltsforschung); Medienstrukturen wie z. B. die Struktur der bundesdeutschen Regional- und Lokalzeitungen (Medienstrukturforschung); die Zeit, die Kinder täglich vor dem Fernseher verbringen (Mediennutzungsforschung); Meinungen der Fernsehzuschauer über und ihr Erleben von Reality-TV (Rezeptionsforschung); die Wirkung von Werbebotschaften auf das Kaufverhalten (Wirkungsforschung).

      Der Forscher greift also aus der Vielfältigkeit eines komplexen Problems einen Aspekt gemäß seines Forschungsinteresses heraus. Insofern ist die Auswahl des Untersuchungsgegenstandes »subjektiv«,

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