Empirische Methoden der Kommunikationswissenschaft. Heinz Pürer

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Empirische Methoden der Kommunikationswissenschaft - Heinz Pürer

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ohne Theorie: Kontextfreies Wissen gibt es nicht; um Informationen zu verstehen, müssen wir sie in einen Kontext (Vorwissen) einbetten können. Zugleich hängt vom Vorwissen (z. B. einer Theorie) ab, »wie sich die Wirklichkeit präsentiert« (ebd.). Theorien, die Forschung anleiten, entscheiden dann wiederum, wie die Forschenden den Untersuchungsgegenstand strukturieren und damit auch, welche Daten sie sammeln und zu welchen Ergebnissen sie kommen.

      Während das erste Postulat unter qualitativen Forschern wohl relativ unstrittig ist, wurde das zweite – die Frage nach der Rolle theoretischer Vorannahmen – lange diskutiert. Steht theoriegeleitetes Vorgehen der Anforderung entgegen, dem Untersuchungsgegenstand ›offen‹ gegenüber zu treten? Barney Glaser und Anselm Strauss z. B. forderten von qualitativ Forschenden, am besten ohne die Aufarbeitung von (theoretischen oder empirischen) Vorarbeiten an einen Untersuchungsgegenstand heranzutreten, um Theorien zu diesem Gegenstand überhaupt erst unvoreingenommen entwickeln zu können (vgl. Glaser/Strauss 1967). Folgt man dem oben aufgestellten Postulat, dass es kein Wissen ohne Theorie geben kann, so ist diese Forderung zum einen nicht umsetzbar – schließlich verfügen wir immer über alltägliches Vorwissen, sonst wären wir recht orientierungslos. Zum anderen ist sie auch nicht logisch, da Vorwissen für die Interpretation einer Situation immer notwendig ist (vgl. Meinefeld 2007). Viele qualitativ arbeitende Sozialforscher orientieren sich deshalb an theoretischen Vorarbeiten, die ihnen helfen, ›ihren‹ Gegenstand zu dimensionieren (Meyen et al. (2011, S. 35) nennen das auch »kategoriengeleitetes Vorgehen«); zugleich versuchen sie aber auch immer dafür bereit zu sein, sich während des Forschungsprozesses von der empirischen Welt in ihren Vorannahmen ›irritieren‹ zu lassen, um neue Aspekte zu entdecken (vgl. Steinke 2007, S. 327).

      Aus den beiden oben explizierten Postulaten lassen sich Gütekriterien ableiten, die zum einen Forschende bei der Konzeption und Verwirklichung eigener Projekte anleiten sollen, und zum anderen den Lesern bei der Beurteilung helfen können, ob die präsentierten Ergebnisse auch belastbar sind (Meyen et al. 2011, S. 47):

      • »Zuverlässigkeit: intersubjektive Nachvollziehbarkeit;

      • Gültigkeit: Stimmigkeit von Fragestellung, Theorie, Methode und Ergebnissen;

      • Übertragbarkeit: Generalisierbarkeit;

      • Werturteilsfreiheit: keine normative Beurteilung.« Wird eine Beurteilung der Erkenntnisse vorgenommen, so muss sie immer getrennt von der Beschreibung und Interpretation des Gegenstands erfolgen.

      Meyen et al. (2011, S. 47f) schlagen fünf Strategien vor, um den vier genannten Gütekriterien Rechnung zu tragen:

      • Nähe zum Gegenstand (bedient die Kriterien der Zuverlässigkeit und Gültigkeit): Erhebungs- und Auswertungsmethoden sind dem Gegenstand angemessen. Verhalten wird also am besten beobachtet, Meinungen werden durch Selbstauskünfte erfasst und Aussagen über Medienberichterstattung inhaltsanalytisch erhoben. Nähe heißt aber auch: Der Forscher soll sich bemühen, in den Kontext (z. B. in die Lebenswelt eines Beobachteten) einzutauchen, allerdings die nötige Distanz zu wahren, um zu einer eigenen Deutung der Resultate gelangen zu können.

      • Dokumentation des Forschungsprozesses (zielt auf Zuverlässigkeit): Gerade weil Instrumente nicht standardisiert, sondern auf den Gegenstand ›maßgeschneidert‹ sein müssen, ist darauf zu achten, beim Abfassen des Forschungsberichts so gut wie nur möglich Transparenz über das konkrete Vorgehen herzustellen. Der gesamte Forschungsprozess wird offengelegt, um intersubjektive Nachvollziehbarkeit herzustellen. Das erfolgt v. a. durch das Beschreiben und Begründen jeder einzelnen Entscheidung (Methodenwahl, Sampling, Auswertungsverfahren etc.).

      • Selbstreflexion (zielt auf Zuverlässigkeit, Gültigkeit, Werturteilsfreiheit): Der Forscher macht sich bewusst, welche Vorannahmen (Alltags- bzw. wissenschaftliche Theorien) ihn anleiten, und welche Grenzen der Erkenntnis sich hieraus ergeben. Er versucht sich darüber klar zu werden, wie er zum Untersuchungsgegenstand steht. Im Forschungsbericht wird diese (theoretische, methodische) Selbstreflexion offengelegt.

      • Reflexion der Entstehungsbedingungen (zielt auf Gültigkeit, Übertragbarkeit): Auch hier geht es darum, Limitationen (im Projektbericht) aufzuzeigen – und zwar jene, die durch die Entstehungsbedingungen auftreten und der Erkenntnis ebenfalls Grenzen setzen: Welche Ressourcen sind verfügbar? In welchem Umfeld entsteht die Studie (Zeitgeist)? Gibt es bestimmte Interessen(-skonflikte) (z. B. Auftraggeber, Untersuchungspersonen)? Wie wurden die Informationen erhoben?

      • Interpretation in Gruppen (zielt auf Gültigkeit, Zuverlässigkeit): Kollaboratives Arbeiten schützt vor zu viel Subjektivität – Projektpartner sind kritische Korrektive, dieselbe Funktion kann auch ein Kandidatenseminar für Studierende oder die Fachgesellschaft für Forschende übernehmen (z. B. auf Tagungen).

      Der Ablauf auch qualitativer sozialwissenschaftlicher Forschung entspricht zu Beginn dem in Kapitel 1.2 vorgestellten Vorgehen: Ein gesellschaftlich relevantes Problem wird in eine wissenschaftliche Fragestellung überführt (Stufe 1 und 2), relevante Begriffe werden definiert und mithilfe einer »dimensionalen Analyse« (Wegener/ Mikos 2005, S. 172) in das vorhandene theoretische Wissen eingeordnet (Stufe 3 und 4). Da in der Praxis häufig mit dem Forschungsgegenstand schon klar ist, ob ihm qualitative oder quantitative Methoden am ehesten gerecht werden, verzichtet man bei qualitativem Vorgehen üblicherweise schon bei der Bearbeitung der Theorie(n) und des Forschungsstands auf die Formulierung von Hypothesen zugunsten offener Forschungsfragen. Grund dafür ist die Annahme, dass die Formulierung von Hypothesen das Denken bei explorativer Forschung von vornherein zu stark einschränken könnte (vgl. Lamnek 2010, S. 19f). Hypothesen können vielmehr Ergebnis qualitativen Arbeitens sein. Fällt die Entscheidung also auf eine qualitative Methode oder eine Kombination qualitativer Methoden (Stufe 5), gestaltet sich der Forschungsprozess nun etwas anders als der des quantitativen Paradigmas.

      Das Forschungsproblem und die sich daraus ergebende(n) Forschungsfrage(n) bestimmen zwar zunächst auch hier die Entwicklung der Erhebungsinstrumente (Stufe 6) und das Auswahlverfahren der Teilnehmer (bei Befragung, Beobachtung) oder der Inhalte (bei Inhaltsanalysen). In der qualitativen Forschung wird jedoch zumeist anders gesampelt, nämlich durch eine theoretische Auswahl während der Erhebungsphase (vgl. Kap. 2.3). Da hierbei das Sample idealerweise während der Analyse noch ergänzt wird, verläuft der Forschungsprozess nicht geradlinig, sondern spiralförmig (vgl. Meyen et al. 2011, S. 54). Die Stufen 7 bis 9 werden immer wieder nacheinander durchlaufen, bis die sog. theoretische Sättigung als erreicht gelten kann (vgl. Kap. 2.3). Ebenso können sich die Erhebungsinstrumente während des Samplings verändern (was einen Pretest – vgl. Kap. 3 – aber nicht überflüssig macht!). So kann z. B. von einem Interviewten ein Aspekt immer wieder angesprochen werden, den man als Forscher zu Beginn der Untersuchung nicht bedacht hat (oder umgekehrt auch Aspekte nicht zur Sprache kommen, die man zunächst als relevant erachtet hat). Qualitative Forscher lassen sich immer vom Feld, das ergründet werden soll, ›irritieren‹ – sei es hinsichtlich der theoretischen Vorannahmen oder hinsichtlich der erstellten Instrumente (vgl. Steinke 2007, S. 327). Weil qualitative Forschung nicht zählen, sondern entdecken und verstehen will, geht es um das Aufdecken aller oder der typischen Merkmale, und nicht um die numerische Häufigkeit ihres Vorkommens.

      Da qualitative Forschung zum einen vielfach Anwendung findet, wenn ein Gegenstand exploriert werden soll, und

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