Sozialstruktur und sozialer Wandel in Deutschland. Bernhard Schäfers

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Sozialstruktur und sozialer Wandel in Deutschland - Bernhard Schäfers

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2.1 Die Entwicklung in den westlichen Besatzungszonen

      Die Not der Nachkriegszeit führte zur Dominanz familien- und verwandtschaftsbezogener Sozialverhältnisse. Die schlechten bzw. nicht vorhandenen Verkehrsmöglichkeiten, die weitgehende Zwangsbewirtschaftung, die Suche nach Wohnraum, die große Bedeutung des Naturaltausches und des Schwarzmarktes und die Beschränkungen der Freizügigkeit – auch die Besatzungszonen waren untereinander mit Grenzen und Schlagbäumen abgeriegelt – reduzierten das ökonomische und soziale Leben auf lokale und enge regionale Grenzen. So verwundert es nicht, dass es in der Bevölkerung an den erforderlichen Möglichkeiten, aber auch Interessen und Einstellungen fehlte, über den Tag hinaus zu denken und zu planen.

      Die politische Situation war für die deutsche Bevölkerung noch undurchschaubarer als für die alliierten Politiker und Militärs, die häufig auch nicht wussten, wie weit ihre Kompetenzen in der Auslegung der Direktiven reichten. Theodor Eschenburg (1983 : 402) resümierte: »Deutsche Politiker, die den Ehrgeiz hatten, eine profilierte Rolle bei der Entstehung eines zukünftigen Deutschland zu spielen, befanden sich im Jahre 1945 in keiner beneidenswerten Lage. Sie standen im Kreuzfeuer höchst divergierender Konzeptionen der Alliierten, und es erforderte schon prophetische Gaben, um die künftige Kräftekonstellation richtig einzuschätzen«.

      Vor allen anderen Politikern besaß Konrad Adenauer (1876–1967) die politische Gabe, sich die Neugestaltung Deutschlands in neuen Grenzen vorzustellen. Adenauer war von 1917 bis 1933 Oberbürgermeister von Köln und während der Weimarer Republik populärer Politiker der katholischen Zentrumspartei (der nach 1870/71 gegründeten Partei des politischen Katholizismus). In einem Brief vom Oktober 1945 (abgedruckt in: Kleßmann 1982 : 425) stellte Adenauer u. a. heraus, dass die Trennung in ein von der Sowjetunion beherrschtes Osteuropa und ein von Frankreich und Großbritannien dominiertes Westeuropa eine Tatsache sei und daher die »Schaffung eines zentralisierten Einheitsstaates nicht möglich« sein würde. Weiter stellte Adenauer fest, dass »der nicht von Russland besetzte Teil Deutschlands ein integrierender Teil Westeuropas« sei und dass »dem Verlangen Frankreichs und Belgiens nach Sicherheit auf die Dauer nur durch wirtschaftliche Verflechtung von Westdeutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Holland wirklich genüge geschehen« könne (vgl. auch die Dokumentation bei Adenauer 1965).

      Die wohl erstaunlichste und für die weitere politische Entwicklung in den drei Westzonen und Berliner Westsektoren wichtigste parteipolitische Entwicklung in der unmittelbaren Nachkriegszeit ist die Auflösung (bzw. Umstrukturierung) der Zentrumspartei und die damit zusammenhängende Gründung der CDU, der Christlich Demokratischen Union, und in Bayern der CSU, der Christlich-Sozialen Union. Die Bedeutung dieser Neugründungen für die Konsolidierung der sozialen und politischen Verhältnisse, als Sammelpartei des bürgerlichen, des christlich-überkonfessionellen und christlich-gewerkschaftlichen Lagers, kann kaum überschätzt werden (zur Geschichte der christlich-demokratischen und christlich-sozialen Bewegungen in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert vgl. Rüther 1989).

      Erstaunen muss die Gleichzeitigkeit der Bestrebungen an verschiedenen Orten, und zwar noch vor Kriegsende. Für die spätere CDU waren die wichtigsten Köln (Karl Arnold und ab Ende 1945 v. a. Konrad Adenauer), Berlin (Jakob Kaiser, Ernst Lemmer, Andreas Hermes) und Frankfurt. Für die CSU ist Würzburg zwar der Gründungsort (10. Oktober 1945), München aber sehr bald das Zentrum der weiteren Entwicklung. In beiden Fällen wirkten Gedanken des nach dem Ersten Weltkrieg viel diskutierten Christlichen Sozialismus auf die ersten Parteiprogramme ein.

      Der Name CDU geht auf Andreas Hermes zurück, dem »die Protestanten nur halbherzig zustimmten« (Eschenburg 1983 : 187). Aber »die Wahl des Wortes ›christlich‹ entsprach der religiösen Renaissance jener Zeit, zugleich löste sie aber auch das Problem, den Namen für eine überkonfessionelle Partei zu finden, die in der deutschen Geschichte bis dahin eine unbekannte Erscheinung war« (1983 : 201). Zustimmung kam sehr bald von den beiden christlichen Kirchen.

      Die anti-kapitalistische Stimmung jener Zeit sowie planwirtschaftliche Überlegungen spiegelten sich in ersten Aufrufen und Programmen. In den Augen vieler Deutscher hatte der »Pakt« Hitlers mit der Großindustrie das Dritte Reich überhaupt erst ermöglicht. So gehörten die Verstaatlichung der Bodenschätze und der Monopol- und Schlüsselindustrien zu den breit akzeptierten Forderungen, die sich auch im Ahlener Programm der CDU vom Februar 1947 finden. Zugleich wurde das Privateigentum an Produktionsmitteln hingegen ausdrücklich bejaht.

      Die Konsensbasis für den Sozialismus scheint in der unmittelbaren Nachkriegszeit breiter gewesen zu sein als für Demokratie und den »Parteienstaat«. »Demokratie« war nicht nur positiv besetzt. Das Scheitern der Weimarer »Parteiendemokratie« war in der Erinnerung.

      Dass die künftige Gesellschaftsordnung eine sozialistische sein würde und sein müsse und nur auf diesem Fundament eine »wahre« Demokratie« möglich sei, wurde nicht nur als Konsequenz aus dem totalen Zusammenbruch bzw. dessen Ursachen abgeleitet, sondern auch als Quintessenz geschichtsphilosophischer Überlegungen postuliert. So schrieb der Ökonom Heinz Dietrich Ortlieb in einem Aufsatz über »Sozialismus gestern, heute und morgen« in der für das Wiedererwachen des intellektuellen und politischen Lebens wichtigen Zeitschrift DER RUF (1. Jg., Nov. 1946): »Die nun einige Menschenleben währende geistig-politische Auseinandersetzung um den Sozialismus kann heute wohl als zugunsten des Sozialismus entschieden angesehen werden (…). Zwar führen die Neo-Liberalisten, die heutigen Verfechter einer freien Verkehrswirtschaft, den Kampf gegen den Sozialismus fort, sie sind aber (…) in die Verteidigung gedrängt«. Mit dieser Ansicht stand Ortlieb nicht allein. Eine im Jahr 1946 in Heidelberg erschienene Schrift der renommierten Wissenschaftler Alexander Mitscherlich und Alfred Weber (Bruder Max Webers) hatte den Titel: »Freier Sozialismus«.

      Die SPD, Deutschlands älteste Partei, hatte als einzige Partei im Deutschen Reichstag (die Kommunisten waren bereits ausgeschaltet) dem »Ermächtigungsgesetz« Hitlers am 24. März 1933 nicht zugestimmt (zur Geschichte der SPD von 1848–1983 vgl. Miller/Potthoff 1988). Bereits im Mai 1946 hatte die SPD in den Westzonen wieder 600 Tsd. eingeschriebene Mitglieder (zur organisatorischen Neubegründung der SPD durch Kurt Schumacher im kriegszerstörten Hannover ab Mai 1945 vgl. Miller/Potthoff 1988 : 173 ff.). Doch obwohl viele Intellektuelle damals in die SPD eintraten, wie 1967 ff., gelang »der beabsichtigte Einbruch in die neuen und alten Mittelschichten so gut wie gar nicht« (Eschenburg 1983 : 180).

      Mit ihrem energischen Vorsitzenden Kurt Schumacher (1895–1952) hatte die SPD sowohl eine Symbolfigur des Widerstandes im Dritten Reich als auch des Anti-Totalitarismus und Anti-Kommunismus an ihrer Spitze. Im In- und Ausland war Schumacher ein geachteter Sprecher der Deutschen nach der Kapitulation. Am 5. Oktober 1945 führte er aus: »Im Sinne der deutschen Politik ist die Kommunistische Partei überflüssig. Ihr Lehrgebäude ist zertrümmert, ihre Linie durch die Geschichte widerlegt«. Und im Mai 1946 sagte Schumacher: Sozialismus sei zwar an Demokratie gebunden, aber unter dem Primat von »Freiheit des Erkennens und Freiheit der Kritik« und der »Achtung vor der menschlichen Persönlichkeit«. Er fügte aber auch, gegen die Neo-Liberalen gewandt, hinzu: »Wie der Sozialismus ohne Demokratie nicht möglich ist, so ist umgekehrt eine wirkliche Demokratie im Kapitalismus in steter Gefahr« (Informationen zur politischen Bildung, Heft 157/1974).

      Das politische Leben konkretisierte sich zunächst in Kommunalwahlen, die ab April und Mai 1946 in der amerikanischen und in der britischen Zone sowie im Oktober 1946 in der französischen Zone stattfanden. Der Aufbau der politischen Grundstrukturen von der Gemeinde über die Länder zu einem (möglichen) Gesamtstaat entsprach auch angelsächsisch-amerikanischen Vorstellungen von der Bedeutung der gemeindlichen Basis für eine stabile politische Kultur.

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