Sozialstruktur und sozialer Wandel in Deutschland. Bernhard Schäfers

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Sozialstruktur und sozialer Wandel in Deutschland - Bernhard Schäfers

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der institutionellen und politischen Ebene heraus.

      Daniel Lerner (1917–1980) ging davon aus, »dass das westliche Modell der Modernisierung gewisse Komponenten und Sequenzen aufweist, die universell relevant sind. Überall hat z. B. die Urbanisierung das Analphabetentum vermindert; dadurch nahm die Benutzung der Massenmedien zu. Parallel dazu kommt es zu einer erhöhten wirtschaftlichen Teilhabe (Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens) und zu einer Erhöhung der politischen Teilnahme durch die Ausdehnung des Wahlrechts« (Lerner 1984 : 362).

      Lerner betonte die Bedeutung einer besonderen Eigenschaft für die Modernisierung des Lebensstils: Empathie (von griech. empathes, eindringlich, »einfühlend«). Lerner versteht unter Empathie jenen »inneren Mechanismus, der es den gerade mobil gewordenen Personen erlaubt, in einer sich dauernd verändernden Welt wirksam vorzugehen. Empathie ist die Fähigkeit, sich selber in der Situation eines anderen zu sehen. Sie ist für Personen, die ihre traditionelle Umgebung verlassen, eine unerlässliche Fähigkeit«. »Hohe Empathie« gebe es »nur in modernen Gesellschaften, in industriellen, urbanisierten, auf Elementarbildung und Beteiligung beruhenden Gesellschaften« (Lerner 1984 : 364 f.).

      Lerner zeigte in einem einführenden historischen Exkurs, welch ein langer Prozess in der europäischen Kultur- und Sozialentwicklung erforderlich war, jene Fähigkeiten zu entwickeln, die er mit dem Begriff der Empathie zusammenfasste. Vergleiche zu den langen Zeitreihen, die Max Weber für den abendländischen Rationalisierungsprozess oder Norbert Elias für den »Prozess der Zivilisation« herausarbeiteten, liegen nahe.

      Sowohl die Grundlagen der sozialen Mobilisierung als auch der Modernisierung des Lebensstils lassen sich mit den Trends zusammenfassen, die durch die Doppelrevolution in Gang gesetzt wurden bzw. sich verstärkten:

       Kapitalisierung der Eigentums- und Besitzverhältnisse, zunächst an Grund und Boden (in Deutschland mit der »Bauernbefreiung« verknüpft) und des Produktivkapitals;

       Rationalisierung und Verwissenschaftlichung der Daseinsgrundlagen;

       Verrechtlichung, Demokratisierung und Erhöhung der Partizipation;

       sozialstaatliche und private Absicherung von Gesundheit und Lebensrisiken;

       Verstädterung, Urbanisierung und Verbesserung des Lebensstandards;

       Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz.

      Talcott Parsons und die Theorie des Strukturfunktionalismus hatten sich gegenüber dem Vorwurf zu verteidigen, ausschließlich am Strukturerhalt einer bestimmten Gesellschaft orientiert zu sein. In einem Beitrag über »Das Problem des Strukturwandels« (1984) unterschied Parsons zwischen der morphologischen Analyse der Systemstrukturen und der dynamischen Analyse der Systemprozesse. Sein besonderes Augenmerk galt den Ressourcen in Austauschbeziehungen »sowohl zwischen der Gesellschaft und den anderen Systemen und ihren ›Umwelten‹ als auch zwischen den Subsystemen innerhalb der Gesellschaft selbst«.

      Entscheidend für den Wandel ist die Integration dieser Ressourcen – Güter, Motivationen, Informationen – und deren schwer kontrollierbare Mobilisierung. Als Kontrollmechanismen stehen u. a. Macht, Geld und »integrative Kommunikation« (Parsons) zur Verfügung. Strukturwandel wird also nicht ausgeschlossen, sondern er hat kontrolliert auf der gegebenen Basis zu erfolgen. Seine Analyse ist für die strukturellfunktionale Theorie »der letzte und wichtige abschließende Problembereich« (Parsons 1984 : 36).

      Die »Quellen des Strukturwandels« sind sowohl exogen als auch endogen und »gewöhnlich eine Kombination beider«. Exogene Quellen des sozialen Strukturwandels sind »die endogenen Wandlungsprozesse ihrer ›Umwelten‹«. Als letzten Punkt behandelte Parsons den Wandel im gesellschaftlichen Wertsystem. Zwei Haupttypen werden unterschieden. Beim Ersten kann das »Kulturmodell« von einer exogenen Quelle übernommen werden; Parsons nannte als Beispiel den Kulturtransfer von England nach Amerika/USA. Beim zweiten Haupttyp muss der »Bezugsrahmen des sozialen Systems innerhalb der Gesellschaft entwickelt werden. Für diesen Fall kann Webers berühmte Kategorie der charismatischen Innovation verwendet werden«. Der Ausgangspunkt liegt in religiösen Aspekten des kulturellen Systems: »Es muss sich um Änderungen in der Definition der einzelnen Gesellschaftsmitglieder handeln, um die Änderungen in der Definition des Charakters selbst« (Parsons 1984 : 51).

      Parsons erwähnte nicht die nahe liegende politische Variante, dass charismatische Figuren aus großen gesellschaftlichen Krisen herausführen wollten und wollen: durch hyper-nationalistische, anti-demokratische Ideologien. So geschah es in mehreren europäischen Ländern nach dem Ersten Weltkrieg (zur Differenzierung des Begriffs im Ausgang von Max Weber und seine Verankerung in der Handlungsstruktur der Individuen vgl. Lipp 2010).

      Der Kultursoziologe Friedrich H. Tenbruck wies darauf hin, dass erst um 1800 die Begriffe Gesellschaft, Kultur und Geschichte zu Schlüsselbegriffen der Moderne wurden und die damit verbundenen Bereiche als eigenständig ins Bewusstsein traten: »Aus der Entstehung einer säkularen Kulturintelligenz, der Dauerproduktion von immer neuen Kulturgütern und der Eigendynamik dieser Kulturprozesse« sei die Verselbstständigung der Kultur hervorgegangen (Tenbruck 1989 : 84).

      Ebenso verhält es sich mit der Verselbstständigung der gesellschaftlichen Systeme. Niklas Luhmann stützte seine funktional-strukturelle Systemtheorie auf eben diesen Tatbestand: Dass die Aufklärung und die nachfolgenden revolutionären Prozesse zur Ausdifferenzierung der einzelnen gesellschaftlichen Systeme führten. Am Ende dieses Prozesses steht die Autopoiesis der Teilsysteme: Recht und Politik, Ökonomie, Kultur, Religion und Erziehung. »Autopoietische Systeme sind Systeme, die nicht nur ihre Strukturen, sondern auch die Elemente, aus denen sie bestehen, im Netzwerk eben dieser Elemente selbst erzeugen« (Luhmann 1997 : 65).

      Einen anderen Punkt im Verhältnis von Kultur und Gesellschaft bzw. von Ökonomie und der kulturellen Wertordnung hatte Max Weber hervorgehoben. Sein Werk ist auch eine »Antwort« auf den marxistischen Standpunkt, dass allein die materielle Basis und das Profitinteresse den Geschichtsverlauf bestimmen. Unter dem Einfluss der Wertphilosophie Heinrich Rickerts und Friedrich Nietzsches (1844–1900) betonte Weber einen entgegen gesetzten Standpunkt: Es seien letztlich Werte, seit Beginn der Neuzeit vor allem die Dominanz des protestantischen Arbeitsethos, die der Kultur- und Gesellschaftsentwicklung die Richtung weisen.

      Max Webers Soziologie hat neben der (zumeist impliziten) Frontstellung gegen Marx auch methodologische Probleme einer »Kulturwissenschaft« zum Ausgangspunkt. Diese war nicht nur gegen die Ansprüche des Historischen Materialismus gerichtet, sondern auch gegen die Naturwissenschaften und deren Objektivitäts- und Exaktheitsanspruch. Im »Objektivitätsaufsatz« von 1904 heißt es: »Wir haben als ›Kulturwissenschaften‹ solche Disziplinen bezeichnet, welche die Lebensbedingungen in ihrer Kulturbedeutung zu erkennen streben. Die Bedeutung der Gestaltung einer Kulturerscheinung und der Grund dieser Bedeutung kann aber aus keinem noch so vollkommenen System von Gesetzesbegriffen entnommen, begründet und verständlich gemacht werden, denn sie setzt die Beziehung der Kulturerscheinung auf Wertideen voraus. Der Begriff der Kultur ist ein Wertbegriff. Die empirische Wirklichkeit ist für uns ›Kultur‹, weil und sofern wir sie mit Wertideen in Beziehung setzen, sie umfasst diejenigen Bestandteile der Wirklichkeit, welche durch jene für uns bedeutsam werden, und nur diese« (Weber 2002 : 108).

      Weber zeigte an Beispielen, dass ein und dasselbe Phänomen wie Tausch oder Geldwirtschaft in unterschiedlichen Kulturen, z. B. der des Altertums oder »unserer sozioökonomischen Kultur« (2002 : 146), etwas anderes bedeuten kann, ebenso bei verschiedenen Klassen und Schichten.

      Der

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