Sozialstruktur und sozialer Wandel in Deutschland. Bernhard Schäfers

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Sozialstruktur und sozialer Wandel in Deutschland - Bernhard Schäfers

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(SOEP) und des ALLBUS (»Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften«) unterstützen die Analysen der Sozialstruktur und ihre Entwicklung (vgl. Habich 2011 : 432 f.; dort auch Hinweise auf die Internetadressen).

       Das SOEP ist eine repräsentative Längsschnittuntersuchung zur empirischen Beobachtung des sozialen Wandels, in der es seit 1984 zwei Ausgangsstichproben (Deutsche und Ausländer) gibt. Das SOEP hat eine hohe Stichprobenstabilität, mit anfangs 5 921 Haushalten und über 12 Tsd. befragten Personen.

       Bei ALLBUS handelt es sich um eine seit 1980 durchgeführte repräsentative Befragung im zweijährigen Turnus. Verantwortlich ist die Forschungsgruppe »Dauerbeobachtung der Gesellschaft« beim Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim.

      Die Begriffe Struktur und Sozialstruktur tauchen in allen Paradigmen der soziologischen Theoriebildung auf, in mikro- und makrosoziologischen Ansätzen, in marxistischen und phänomenologischen, in verhaltenswissenschaftlichen und systemtheoretischen (vgl. zu den Ansätzen der soziologischen Theoriebildung Rosa et al. 2007). Der Streit um die »richtige« soziologische Theorie liegt jenseits der Grundlagen und Grundelemente des Sozialen und jener sozialen Tatsachen (faits sociaux, nach Émile Durkheim, 1858–1917), die das Grundgerüst einer Gesellschaft bilden.

      Wichtige Grundlagen für die Analyse der Sozialstruktur finden sich in der soziologischen Theorie des Strukturfunktionalismus und der Systemtheorie bei Talcott Parsons, Robert King Merton und Niklas Luhmann für den Ansatz einer funktionalstrukturellen Systemtheorie. Die Prämissen des Strukturfunktionalismus schließen ein, dass sowohl die individuellen Handlungen als auch die Aktivitäten der Gruppen und Institutionen auf Integration und Stabilität eines als Einheit gedachten sozialen Systems und damit auf die Sozialstruktur einer Gesellschaft bezogen werden. Diesem Ansatz ist weiterhin zu eigen, dass die mikrotheoretische Perspektive auf die individuellen Handlungen und die makrotheoretische auf die gesamtgesellschaftliche Dimension wechselseitig bezogen sind. Die Systemtheorie von Niklas Luhmann durchbricht die im Strukturfunktionalismus gegebene Vorrangigkeit der Struktur und des Strukturerhalts. Der bei Luhmann wichtige Begriff der Kontingenz verweist auf die Möglichkeit, dass alles auch anders sein könnte (zur vielfachen Bedeutung des Kontingenzbegriffs, auch im Zusammenhang der jeweils dominanten Semantik von Begriffen und Bedeutungen für die Sozialstruktur und ihre Teilbereiche, vgl. Luhmann 1997).

      Die marxistische Sozialstrukturanalyse geht davon aus, dass in allen Sozialbereichen und auf allen Handlungsebenen die Verfügung über Produktionseigentum maßgeblich ist. Desweiteren sind die damit verbundenen Formen der Aneignung, der Macht- und Herrschaftsbeziehungen und daraus resultierender Klassenstrukturen bestimmend. Unter dem Aspekt der weiterhin bestehenden Klassenspannungen ist die modifizierte Klassentheorie von Pierre Bourdieu (1930–2002) hervorzuheben. Seine Theorie der »feinen Unterschiede« und der »gesellschaftlichen Urteilskraft« (2003) basiert auf einer Reformulierung des Kapitalbegriffs. Das ökonomische Kapital der marxistischen Tradition bildet weiterhin die Basis, ist aber zu unspezifisch und muss durch weitere Kapitalbegriffe ergänzt werden:

       Kulturelles Kapital, das vor allem durch Bildung und Ausbildung und entsprechende Zertifikate erworben wird;

       soziales Kapital, das auf sozialen Beziehungen und Netzwerken beruht.

      Die auf der Grundlage dieser »Kapitalvermögen« erfolgenden »Distinktionen« (Bourdieu) und die Herausbildung »feiner Unterschiede«, die im Habitus, also in grundlegenden Formen des Verhaltens, zum Ausdruck kommen (wobei dem Sprachverhalten zentrale Bedeutung zukommt), führen letztlich zur Herausarbeitung eines weiteren Kapitalbegriffs: symbolisches Kapital. Es bezieht sich auf den sozialen Rang und das Prestige von Individuen und sozialen Gruppen. Auf dieser Basis unterscheidet Bourdieu eine primäre Ungleichheit von einer sekundären Ungleichheit. Eine große Anzahl von »Klassenfraktionen« ist nach den genannten Differenzierungen des Kapitalbegriffs denkbar. Der Habitus ist die Schnittstelle, er ist »Erzeugungsprinzip objektiv klassifizierbarer Formen von Praxis und Klassifikationssystemen dieser Formen« (Bourdieu 2003 : 277).

      Theoretische Ansätze zur Analyse der Sozialstruktur (Smelser, 1988) behandeln auch die Frage nach der Genese sozialer Strukturen. Ausgangspunkte liegen auf der Mikro-, der Meso- und der Makroebene der Sozialstruktur:

       Die Theorie des Strukturfunktionalismus betont den stets neu auszuhandelnden gesellschaftlichen Konsens über bestimmte Werte und Normen, der zielgerichtetes Handeln in den Institutionen und Organisationen überhaupt erst ermöglicht.

       Soziale Strukturen entstehen nach Émile Durkheim im Zusammenhang mit einer immer differenzierteren Arbeitsteilung oder, nach Georg Simmel, durch die unablässige »Verschränkung sozialer Kreise«, wie er dies im »Gesetz der sozialen Differenzierung« (1890) herausgearbeitet hatte.

       In marxistischer Perspektive sind es die Eigentumsverhältnisse und Klassenspannungen als gesellschaftlicher Grundwiderspruch, die durch immer neue Formen der Herrschaft und der sozialen Zwänge die gesellschaftliche Evolution blind vorantreiben. Erst wenn die Ausbeutung der Menschen durch Menschen an ihr Ende gekommen ist, kann die planvolle Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens beginnen.

      Auch die Ansätze von Rainer Geißler (2011), von Gerd Nollmann et al. (2007), die Formen sozialer Ungleichheit ins Zentrum von Sozialstrukturanalysen rücken, sind an dieser Stelle zu nennen. Weitere Ursachen der Genese oder der Veränderung sozialer Strukturen werden im Zusammenhang der Theorien des sozialen Wandels dargestellt.

      Das soziale Handeln ist durch materielle Artefakte, bebaute oder unbebaute Räume und i. d. R. durch Zeiteinteilungen vorstrukturiert. Émile Durkheim sprach vom »materiellen Substrat« oder von der Dinghaftigkeit des Sozialen (faits sociaux), zu denen er auch das Geld rechnete. Hans Linde prägte, nicht zuletzt im Ausgang von Durkheim, den Begriff der Sachdominanz in Sozialstrukturen. Es werde zumeist übersehen, »dass der von profanen Artefakten ausgehende Anpassungszwang durch eine hochselektive, spezifische ›Gebrauchsanweisung‹ bereits handlungsrelevant ist« (Linde 1972 : 9).

      Die sachlich-materielle und technische Seite der Sozialstruktur hat immer auch mit der Frage zu tun, wie technische Normen soziale Normen und kulturelle Standards verändern und umgekehrt: wie bestimmte soziale und kulturelle Werte und Normen die Entwicklung und Akzeptanz des »Gestells« (Martin Heidegger) überhaupt erst ermöglichen.

      Das Zeitbewusstsein und die Bewertung der Zeit sind kultur- und epochenspezifisch sehr verschieden. Mit der Benediktinerregel, ora et labora, und der Verzeitlichung des christlichen Tagesablaufs durch die Mönchsorden kam ein Zeitverständnis auf, das zum Grundelement des kapitalistischen Arbeitsethos’ wurde (vgl. von Max Weber »Die protestantische Ethik und der ›Geist‹ des Kapitalismus«, in: Weber 2002 : 155–277).

      Die Rationalisierung der Arbeits- und Berufswelt, des Rechts usw., in der Max Weber einen durchgängigen Trend des abendländischen Geschichtsverlaufs und der gesellschaftlichen Entwicklung sah, hat in der Verzeitlichung der Handlungsstrukturen ihre wichtigste Basis. Das verweltlichte Credo der Mönche lautete seit dem Aufkommen von Kapitalismus und Fabriksystem: Time is money (Benjamin Franklin, 1706–1790). Taschenuhren, und seit Ende des 19. Jahrhunderts Armbanduhren für immer breitere Bevölkerungsschichten sagten nun jedem, was die Stunde geschlagen hatte. Das war auch erforderlich, zumal in der Großstadt, wie Georg Simmel ausführte: »So ist die Technik des großstädtischen Lebens überhaupt nicht denkbar, ohne dass alle Tätigkeiten und Wechselbeziehungen aufs pünktlichste in ein festes, übersubjektives Zeitschema eingeordnet würden«

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