Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Heinz Pürer
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Auch die Ende der 1960er-Jahre entstehende »Kritische Kommunikationsforschung« steht in der Tradition der Frankfurter Schule. Ihre Akteure (wie Horst Holzer, Franz Dröge, Dieter Prokop und andere) versuchten, diese Denkrichtung in der deutschen Kommunikationswissenschaft zu etablieren; sie hatte jedoch nicht sonderlich lange Bestand. Eine Ausnahme stellt Jürgen Habermas dar (der übrigens nicht der Kommunikationswissenschaft entstammt, dessen Publikationen für sie jedoch von Bedeutung sind): Seine 1962 erstmals erschienene Publikation »Strukturwandel der Öffentlichkeit« (Habermas 1962) sowie seine »Theorie des kommunikativen Handelns« (1981) finden nach wie vor große Aufmerksamkeit. Um weitere Repräsentanten wie etwa Franz Dröge (u. a. 1973) oder Horst Holzer (u. a. 1971) und andere ist es dagegen sehr still geworden. Mit ihnen befasst sich Andreas Scheu in seiner 2012 publizierten Dissertation »Adornos Erben in der Kommunikationswissenschaft« (Scheu 2012).
Die »Kritische Kommunikationsforschung« der 1970er- und 1980er-Jahre verstand sich v. a. als Gegenpol zur empirisch-sozialwissenschaftlichen Perspektive (vgl. Scheu 2012, S. 13). »Die empirischsozialwissenschaftliche Kommunikationswissenschaft […] ist der Perspektive des ›Kritischen Rationalismus‹ und dem Ideal der Werturteilsfreiheit verpflichtet. ›Kritische Kommunikationsforschung‹ hingegen steht in der Tradition […] der ›Kritischen Theorie‹ und sieht sich in der Pflicht, Gesellschaft, Medien und Wissenschaft auf theoretischer Basis herrschaftskritisch zu hinterfragen, normativ zu beurteilen und so aktiv an der Verbesserung gesellschaftlicher Strukturen mitzuwirken. Deutungshoheit im Feld Kommunikationswissenschaft haben die empirisch-sozialwissenschaftlichen Akteure erlangt« (ebd.). Der hinter diesen beiden wissenschaftlichen Positionen stehende Konflikt wurde bereits in den 1960er-Jahren durch Karl R. Popper (Kritischer Rationalismus) und Theodor W. Adorno (Kritische Theorie) ausgetragen.
Scheu widmet sich auf der Basis der Theorie sozialer Felder und individueller Akteure nach Pierre Bourdieu Repräsentanten der »Kritischen Kommunikationsforschung«. Dazu beschreibt er die Entwicklung der »Kritischen Kommunikationswissenschaft« der 1970er- und 1980er-Jahre. Er versucht v. a. herauszufinden, »warum die Perspektive und die Akteure, die sie vertreten, aus dem heutigen kommunikationswissenschaftlichen Feld verschwunden zu sein scheinen« (Scheu 2012, S. 14). Exemplarisch führt Scheu dies mit Hilfe von Einzelfallanalysen an den ausgewählten Fachvertretern Horst Holzer, Franz Dröge, Manfred Knoche, Siegfried Weischenberg und Hanno Hardt aus. Er gelangt zu dem Befund, dass die Geschichte der Kritischen Kommunikationsforschung keine reine Verdrängungsgeschichte ist. Vielmehr handelte es sich um einen vielschichtigen Prozess mit unterschiedlichen Einflussfaktoren (vgl. Scheu 2012, S. 269ff, S. 294ff). So hätten es die Protagonisten z. B. versäumt, sich zu vernetzen oder Nachwuchs auszubilden, es habe Abgrenzungen gegenüber »einer ›positivistischen‹, affirmativen empirischen Forschung« gegeben (Scheu 2012, S. 295). Politische Einflüsse hätten z. B. im »Radikalenerlass« (vgl. Scheu 2012, S. 270ff, S. 295) oder in der versuchten Einflussnahme auf Berufungsverfahren gelegen (vgl. ebd.), aber auch im Bedarf nach handlungsrelevantem Wissen und empirischen Daten über Massenkommunikation und Medienwirkungen vonseiten der Politik, Wirtschaft und Medien (Scheu 2012, S. 282, S. 296), den die Vertreter einer Kritischen Kommunikationsforschung »nicht erfüllen wollten« (S. 282, S. 295).
[49]2.11 Die Einrichtung von Diplomstudiengängen für Journalistik
Ab Mitte der 1970er-Jahre erfolgte an mehreren deutschen Universitäten die Errichtung von Diplomstudiengängen für Journalistik. Ursache und Anlass der Gründungen war auch die von Teilen der Berufspraxis mitgetragene Erkenntnis, dass die traditionellen Wege der Ausbildung von Journalisten vorwiegend in Form eines zweijährigen Volontariats in Zeitungs-, Hörfunk- oder Fernsehredaktionen den gewachsenen Anforderungen an diesen verantwortungsvollen Beruf nicht mehr entsprachen (und übrigens weder davor noch danach jemals auch nur annähernd entsprochen haben bzw. hätten). Eine intensiv von allen Betroffenen – Journalisten, Verleger, Rundfunkanstalten, Berufsverbände, Publizistikwissenschaft – geführte Ausbildungsdebatte machte sich breit (vgl. Aufermann/Elitz 1975; Publizistik 3–4/1974 sowie 1–2/1975). Den Anstoß zur Errichtung berufsbezogener Diplomstudiengänge gab schließlich u. a. auch das aus 1971 stammende Memorandum des Deutschen Presserates für einen Rahmenplan zur Journalistenausbildung, an dessen Erarbeitung auch Publizistikwissenschaftler mitwirkten. Darin waren mehrere Möglichkeiten und Wege der Ausbildung von Journalisten festgehalten, zumal der Beruf des Journalisten weiterhin ein prinzipiell frei zugänglicher Beruf bleiben sollte. Wenige Jahre später entstanden Grundstudiengänge für Diplom-Journalistik zunächst in Dortmund (1976) und München (1978), in Eichstätt (1983) und – nach der Wiedervereinigung – auch in Leipzig (1993). Sie boten eine sowohl kommunikationstheoretische wie auch mehrmediale praktisch-handwerkliche Ausbildung und qualifizierten durch verpflichtend zu absolvierende Nebenfächer auch für eine Tätigkeit in einem Ressort. Ausbildungsziel war eine berufsqualifizierende Ausbildung für den Journalismus in Zeitung, Zeitschrift, Radio und Fernsehen (sowie ab Mitte der 1990er-Jahre auch für den Onlinejournalismus). Aufbau- oder Nebenfachstudiengänge wurden errichtet in Stuttgart-Hohenheim (1974), Mainz (1978), Hamburg (1982), Bamberg (1983) und Hannover (1985). Diese Studiengänge vermittelten in aller Regel eine kommunikationswissenschaftliche und praktisch-handwerkliche Ausbildung im Anschluss an ein bereits ganz oder teilweise abgeschlossenes Fachstudium (vgl. Hömberg 1978; Wilke 1987). Neben den an Universitäten eingerichteten Grund-, Aufbau und Nebenfachstudiengängen Journalistik gesellten sich ab Ende der 1990er-Jahre auch Fachhochschulstudiengänge, so z. B. 1997/98 der Internationale Studiengang Fachjournalistik an der Hochschule Bremen (Dernbach 2002), die 1999 geschaffenen Studiengänge Journalistik und PR/Öffentlichkeitsarbeit an der Fachhochschule Hannover (Gröttrup/Werner 2002) oder der ebenfalls 1999 etablierte Studiengang Technikjournalismus an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg (Deussen 2002). Weitere Fachhochschulstudiengänge, etwa jene an der Fachhochschule Darmstadt für Onlinejournalismus und für Wissenschaftsjournalismus folgten. Die universitären Studiengänge Journalistik wurden im Zuge der sog. Bologna-Reform in Bachelor- und/oder Masterstudiengänge Journalismus/Journalistik umgestaltet. 2010 gab es solche Studiengänge an den Universitäten Eichstätt und Dortmund (Bachelor) sowie an den Universitäten München und Leipzig (Master). Nähere Informationen über diese Studiengänge sind den jeweiligen Onlineauftritten der sie durchführenden Institute oder Lehrstühle zu entnehmen. Ähnliche praxisorientierte Studiengänge gibt es in modifizierter Weise auch an anderen Universitäten, etwa jenen für »Medien und Kommunikation« an der Universität Passau. Einen anschaulichen Überblick über die Entwicklung der hochschulgebundenen Journalistenausbildung im deutschen Sprachraum aus den zurückliegenden 40 Jahren vermittelte zuletzt in Form einer Textcollage Walter Hömberg (2010).
[50]2.12 Das Fach in Ostdeutschland
Wie bereits erwähnt, verzeichnete die Zeitungs- bzw. Publizistikwissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg in Ostdeutschland eine andere Entwicklung: Das Fach wurde erneut in den Dienst einer Ideologie gestellt. Es nahm dabei die Entwicklung von der Publizistikwissenschaft zur Journalistikwissenschaft (vgl. Blaum 1979; 1980; 1985).
Das 1916 durch Karl Bücher in Leipzig eingerichtete Institut für Zeitungskunde (später: Zeitungswissenschaft) bestand bis 1945. Es wurde 1946 von Gerhard Menz an der neu etablierten Sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät als Institut für Publizistik wiedererrichtet (vgl. Münster 1956, S. 305–309), fand jedoch nicht die Billigung der SED. So folgte 1948 die Gründung eines gleichnamigen Instituts an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät unter der Leitung von Hermann Budzislawski. Dieser bemühte sich gemeinsam mit einer Reihe namhafter »antifaschistischer Intellektueller« um einen neuen »antifaschistisch-demokratischen Geist« an der Universität (Schlimper 1996, S. 5). Beide Institute gingen auf in einem 1951 etablierten »Institut für Publizistik- und Zeitungswissenschaft«, das nun – nach der 1950 erfolgten Auflösung der Gesellschaftswissenschaftlichen Institute – der Philosophischen Fakultät angehörte. Diese Gründung entsprach wieder einer ausdrücklichen Forderung der ersten Pressekonferenz des Parteivorstandes der Sozialistischen Einheitspartei (SED) aus dem Jahr 1950, wonach das System