Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Heinz Pürer

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Publizistik- und Kommunikationswissenschaft - Heinz Pürer

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Begriff nicht für das Materialobjekt bzw. Medium Tages- oder Wochenzeitung, sondern in seiner ursprünglichen historischen Bedeutung für Nachricht und »Zeitgespräch der Gesellschaft«. Mit dem Begriff ist der zeitungswissenschaftliche Ansatz der Münchner Schule untrennbar verbunden (Wagner 1965, 1979, 1993, 2007; Aswerus 1993; Eichhorn 2004). In Ostdeutschland bzw. der späteren DDR nahm Leipzig die führende Rolle ein. Das Fach ging dort jedoch seinen eigenen Weg: Es wurde, wie noch ausgeführt werden wird (vgl. w. u.), ab Mitte der 1950er-Jahre erneut in den Dienst einer Ideologie gestellt, und zwar der Journalistenausbildung im Sinne der herrschenden Lehre des Marxismus-Leninismus (Blaum 1979, 1980).

      Mit der Neu- oder Wiedererrichtung zeitungswissenschaftlicher Institute nach 1945 stellte sich auch die Frage, mit welchen Personen die Professuren besetzt werden sollten. Wie erwähnt, verließen viele das nationalsozialistische Deutschland, wurden vom NS-Regime abgesetzt oder verschrieben sich der NS-Ideologie. Da Vertreter der zweiten Generation von Zeitungswissenschaftlern vergleichsweise stärker mit dem NS-Regime verstrickt waren und daher – sofern sie noch lebten – ihre Karriere nicht fortsetzen konnten, kamen mit Emil Dovifat in Berlin und Karl d’Ester in München Personen der ersten Generation ins Spiel, die weniger belastet schienen. In Münster wurde Walter Hagemann installiert. Das Verhalten bzw. wissenschaftliche Wirken der drei Genannten während des Dritten Reiches wird in der dazu vorliegenden Literatur unterschiedlich bewertet. Der Fach- und Medienhistoriker Rudolf Stöber nimmt eine vermittelnde Position ein. Er meint, der Neuanfang nach 1945 habe mit drei Wissenschaftlern begonnen, »die sich 1933 – 1945 als mehr oder minder ›angepasste Außenseiter‹ durchgeschlagen hatten. Dabei mussten Emil Dovifat und Karl d’Ester um ihre politische Rehabilitation kämpfen. Walter Hagemann hingegen konnte, da er 1933 – 1945 kaum wissenschaftlich tätig war, rasch Karriere machen. […]. Doch knapp 15 Jahre später verlor er aufgrund einer Verknüpfung politischer, wissenschaftspolitischer und privater Umstände seine Professur [42]und floh später in die DDR. Die wechselnden Koalitionen zwischen den drei Protagonisten zeigen ein zutiefst zerrissenes, kleines Fach, das sich zunächst nur mühsam im akademischen Betrieb behaupten konnte« (Stöber 2002, S. 84; vgl. auch Wiedemann 2012). Hans Bohrmann merkt kritisch an, dass Karl d’Ester, Emil Dovifat, Walter Hagemann und (der habilitierte Zeitungswissenschaftler) Wilmont Haacke (vgl. w. u.) »auch die wissenschaftliche Erneuerung des Faches versäumt [haben]« (Bohrmann 2002, S. 31). Insbesondere hätten sie sich (bereits in der Weimarer Zeit) neuen Fragestellungen und Methoden verschlossen, wie sie in anderen philosophischen, wirtschafts- sowie sozialwissenschaftlichen Fächern dringlich gefordert wurden. Dadurch sei auch der Aufbruch des Faches »um mehr als anderthalb Jahrzehnte verzögert [worden]« (Bohrmann 2002, S. 32). Umgekehrt räumt Bohrmann ein, dass Hagemanns Beitrag zur Neukonzeption der Publizistik(-wissenschaft) »nach 1945 gar nicht unterschätzt werden [kann]« (Bohrmann 2002, S. 26; vgl. Hagemann 1947; vgl. Wiedemann 2012). Hagemann habe »die erste wissenschaftliche Studie zur Analyse des NS-Mediensystems und dessen politischer Anleitung [veröffentlicht]« und sich in seinen Lehrveranstaltungen auch für elektronische Medien (v. a. das Radio) und den Film interessiert (Bohrmann 2002, S. 26; vgl. Hagemann 1948, 1954; Wiedemann 2012).

      1956 wurde das wissenschaftliche Fachorgan Publizistik gegründet. Sein Name sollte insofern Programm signalisieren, als bewusst nicht an die Tradition der 1944 eingestellten Zeitschrift »Zeitungswissenschaft« angeschlossen werden sollte. Die Publizistik entfaltete sich u. a. zu jenem Organ, in welchem auch über das wissenschaftliche Selbstverständnis des Faches reflektiert wurde. Dieses war bis in die beginnenden 1960er-Jahre noch ein weitgehend geisteswissenschaftlich geprägtes Fach, es »überwogen medien- und kommunikatorzentrierte Perspektiven, historische und philologische Methoden sowie ein normatives Fachverständnis« (Löblich 2010a, S. 12). Das Fach stand weiterhin unter Legitimationsdruck. 1960 »empfahl der Wissenschaftsrat [sogar – Ergänzung H. P.], dieses ›Sondergebiet‹ lediglich an den Universitäten Berlin und München zu pflegen« (Huber 2010, S. 27 mit Bezugnahme auf Kutsch/Pöttker 1997, S. 7). Dazu kam es erfreulicher Weise nicht.

      Ein Wandel im Selbstverständnis der Publizistikwissenschaft beginnt sich ab Anfang der 1960er-Jahre zu entfalten. Für diesen Wandel steht die Bezeichnung »empirisch-sozialwissenschaftliche Wende« (Löblich 2010a und 2010b). Drei Faktoren – Löblich (2010b, S. 549) sieht in ihnen »Veränderungsdruck aus der Umwelt« – haben dabei im Wesentlichen zusammengewirkt (hier in der Reihung durch H. P.): 1) markante Einflüsse, die von der US-amerikanischen Kommunikationswissenschaft ausgingen; 2) das soziopolitische und -ökonomische Umfeld mit seinen damaligen medialen Veränderungen in Deutschland; sowie schließlich 3) der Generationenwechsel im Fach Publizistikwissenschaft. Dazu im Einzelnen:

      US-amerikanische Kommunikationsforschung: Diese wandte sich bereits ab den 1920er-Jahren Fragen der Medienwirkungen zu. Initialzündungen kamen aus der Medien- und Konsumindustrie sowie der Politik. Die Zeitungen und kommerziellen Rundfunkanstalten (damals nur Radio) sowie die Werbewirtschaft wollten über die Strukturen ihrer Publika (Leser, Hörer) Bescheid wissen – insbesondere über ihre Konsumvorlieben und Kaufgewohnheiten, um sie entsprechend mit Produkten bewerben zu können. Die Politik und politische Administration wiederum hatten Interesse an Kenntnissen über Wirkungen politischer Kommunikation und Beeinflussung in Presse und Rundfunk im Rahmen von Wahlkämpfen (vgl. Silbermann/Krüger 1973, S. 38). Auf vier Felder der empirischen Kommunikationsforschung ist in diesem Zusammenhang zu verweisen (vgl. Schramm 1969):

[43]1)auf die Umfrageforschung (»Sample Survey Approach») mit Höreranalysen, Wahlkampfanalysen etc.; sie ist mit dem Namen Paul Lazarsfeld verbunden;
2)auf die Propaganda-Forschung (»Political Approach») mit Untersuchungen zum Einfluss politischer Kommunikation – einer ihrer wichtigsten Protagonisten war Harold D. Lasswell;
3)auf die experimentalpsychologische Forschung (»Experimental Approach») mit der Erforschung von Kommunikation und Gesinnungswandel und deren Bedeutung für die wissenschaftliche Rhetorik; an ihrer Spitze stand Carl I. Hovland; sowie
4)auf die Kleingruppenforschung (»Small Group Approach»), die die Erforschung von Kommunikation in Kleingruppen zum Gegenstand hatte; einer ihrer ersten Repräsentanten war Kurt Lewin.

      Die wichtigsten empirischen Methoden dieser Forschungsrichtungen waren die Befragung, das Experiment und die Inhaltsanalyse. Relevante Literatur der US-amerikanischen Kommunikationsforschung wurde allmählich auch in Deutschland beachtet. Hinzu kam, dass auch die Nachbarwissenschaften, bzw. die Soziologie und die Politikwissenschaft, »ebenfalls auf US-amerikanische Ansätze, analytische Wissenschaftstheorie und quantitative Methoden [rekurrierten]« (Löblich 2010b, S. 550).

      Medienwandel, Medienpolitik, Forschungswandel: Das Medienwesen unterlag spätestens ab Mitte der 1950er-Jahre in der Bundesrepublik Deutschland einem beachtlichen Wandel: Neben die bereits bestehenden Medien Presse und Hörfunk trat (ab 1952) das Fernsehen; die Mediennutzung stieg an. Ebenso wuchs der Bedarf an journalistischen Arbeitskräften (vgl. Löblich 2010b, S. 549). Daneben vollzog sich im Pressewesen ein beunruhigender Konzentrationsprozess. Dies und anderes mehr »veränderte[n] ab den 1950er Jahren den Forschungsstand der Publizistik- und Zeitungswissenschaft und beförderte[n] die Variation von Forschungsthemen und Methoden […]. Die Medien gewannen in den 1960er Jahren an Bedeutung für Politik und Zeitkritik, Themen wie intermediärer Wettbewerb, Vielfalt und Meinungsmacht wurden öffentlich debattiert […]. Medienorganisationen, Verbände und Medienpolitiker benötigten Forschungsergebnisse, um politische und unternehmerische Entscheidungen zu planen und zu rechtfertigen […]. Verleger und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten begannen verstärkt, Studien in Auftrag zu geben, um sich mit Reichweitenzahlen und Nutzeranalysen im Wettbewerb zu behaupten […]. Ebenso wuchs in der Medienpolitik »der Bedarf an Fakten zur Medienentwicklung« (Löblich 2010b, S. 549). Die publizistikwissenschaftlichen Institute der damaligen Zeit spielten – von Mainz abgesehen (vgl. w. u.) – »kaum eine Rolle als Auftragnehmer […], aber gerade deshalb beobachteten die Fachvertreter sehr genau, was auf dem ›Markt‹ der Medienforschung gefragt war« (ebd.). Löblich resultiert schließlich: »Bedingt durch Veränderungsprozesse bei Medienunternehmen und Medienpolitik, die die Produktion quantitativer Daten sowie

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