Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Heinz Pürer

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Publizistik- und Kommunikationswissenschaft - Heinz Pürer

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Bohrmann/Kutsch 1975, S. 806). Aufgrund Heides politischer Kontakte auf vielen Ebenen war es ihm möglich, die Entwicklung des Faches im Dritten Reich stark zu beeinflussen. Straetz sieht in ihm jene Person, die die Zeitungswissenschaft »in den Dienst der nationalsozialistischen Sache« stellte (Straetz 1986, S. 91). Mit Karl Oswin Kurth und anderen gehörte er auch zu jenen Repräsentanten, die das Fach auf die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Zeitung eingeschränkt wissen wollten (vgl. Benedikt 1986, S. 125–129).

      Das NSDAP-Mitglied Karl O. Kurth absolvierte das Studium der Zeitungswissenschaft und entfaltete in der nationalsozialistischen Studentenschaft zahlreiche Aktivitäten. Er war u. a. Begründer der ersten »Zeitungswissenschaftlichen Fachschaft« (Leipzig) im Deutschen Reich. Deren wesentliche Aufgaben sah er in der Festlegung des Gegenstandes der Zeitungswissenschaft auf die Presse, in der Ausbildung des journalistischen Nachwuchses sowie in der Ausrichtung der Disziplin nach den Wünschen und Forderungen der nationalsozialistischen Presseführung. 1935 ernannte ihn Walther Heide zum Geschäftsführer des »Deutschen Zeitungswissenschaftlichen Verbandes« (DZV), im gleichen Jahr erhielt er von Heide die Stelle des Hauptschriftleiters des Fachorgans »Zeitungswissenschaft«. Den Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Karriere erreichte er 1942, als ihm für seine loyalen wissenschaftspolitischen Dienste die Leitung des (1939 von Walther Heide gegründeten) Wiener Instituts für Zeitungswissenschaft und die mit ihr verbundene Professorenstelle übertragen wurde (vgl. Kutsch 1981, S. 407).

      Heide, der »Treuhänder des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda« (Benedikt 1986, S. 120f) an der Spitze des DZV, nutzte diesen Verband in zweifacher Hinsicht: Einerseits sah er in ihm eine Schaltstelle für den Ausbau des Faches; andererseits betrieb er gemeinsam mit Karl O. Kurth die Einbindung der Zeitungswissenschaft in nationalsozialistische Zielsetzungen. Es gelang ihm »die Anrechnung eines sechssemestrigen Studiums der Zeitungswissenschaft auf das Pressevolontariat« (Koszyk 1997, S. 30), und auch die einheitliche Umbenennung sämtlicher damals bestehender Institute in »Institut für Zeitungswissenschaft« sowie die Einführung eines einheitlichen Lehrplanes ab dem WS 1935/36 geht schlussendlich auf Heide zurück (vgl. Straetz 1986, S. 71). Darin wird den »Publizistischen Führungsmitteln« besondere Bedeutung eingeräumt. Heide, ebenso wie Kurth, ein vehementer Warner vor »einer Überfremdung der Disziplin durch Film und Rundfunk« (Straetz 1986, S. 91), erreichte auch, dass alle ab Ende der 1920er-Jahre geschaffenen Rundfunk- und Filmabteilungen an den zeitungswissenschaftlichen Instituten abgebaut werden mussten; Ausnahmen bildeten lediglich Leipzig und Berlin. Die rundfunkwissenschaftliche Arbeit wurde in der Folge 1939 dem in Freiburg i. B. errichteten und 1940 offiziell eröffneten Institut für Rundfunkwissenschaft überantwortet (vgl. Kutsch 1985). Joseph Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, [40]stand der Zeitungswissenschaft skeptisch gegenüber und war auch für eine Trennung zeitungswissenschaftlicher und rundfunkkundlicher Arbeit (vgl. Kieslich 1972, S. 73).

      Zu den Protagonisten der Zeitungswissenschaft im Dritten Reich gehörten primär Fachvertreter der zweiten Generation, unter ihnen auch Hans Amandus Münster, zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter (und empirischer Kommunikationsforscher, wie wir heute sagen würden – vgl. Kap. 2.9) bei Emil Dovifat am Deutschen Institut für Zeitungskunde (DIZ) in Berlin. Münster trat 1933 der NSDAP bei und wurde 1934 auf den Lehrstuhl für Zeitungswissenschaft der Universität Leipzig berufen (er war dort nach Karl Bücher und Erich Everth also der dritte Lehrstuhlinhaber). Münster lieferte sich mit seinen fachlichen Widersachern Heide und Kurth über Jahre hinweg Positionskämpfe über den Gegenstand der Zeitungswissenschaft. Heide und Kurth waren energische Befürworter der Eingrenzung des Faches auf das Materialobjekt Zeitung. Münster hingegen wollte die Disziplin unbedingt auch auf die Medien Rundfunk und Film ausgeweitet wissen. Unter Publizistik verstand er jene Art der Verständigung, Beeinflussung, Aussprache und Mitteilung von Mensch zu Mensch, »die im Dienst eines politischen Beeinflussungswillens wirksam ist« (Kutsch 1981, S. 402). So ist in Münster der engagierteste Verfechter einer Wissenschaft von den politischen Führungsmitteln zu sehen – Publizistik als geistige Gestaltung von einem zentralen Willen her (vgl. Münster 1934). So wurde »die ›Wissenschaft von der Publizistik‹ […] zu einer ›Wissenschaft von der politischen Publizistik‹, deren maßgeblicher Wegbereiter Münster war« (Straetz 1984, S. 79). Trotz aller Unterschiede über die Fachbezeichnung (Zeitungs- oder Publizistikwissenschaft) stimmten Münster und Kurth aber darin überein, dass die Nachricht (Mitteilung) »vornehmlich aus der Perspektive der politischen Beeinflussung« (Kutsch 1981, S. 405) zu sehen ist und dass das Wirkungsziel der Nachricht die »Willensbildung und Willensbeeinflussung«, die »politische Beeinflussung« ist (Kutsch 1981, S. 405). Nachrichtendarbietung im nationalsozialistischen Sinne hatte der politischen Führung zu dienen, dem Einsatz im geistigen Kampf der Nation. Diesem Ziel verschrieb sich die nationalsozialistische Zeitungs- und Publizistikwissenschaft.

      Bei weitem nicht alle Zeitungs- bzw. Publizistikwissenschaftler schlossen sich dem Regime an. Es gab Fachvertreter, die nicht bereit waren, sich an die Lehrinhalte und die Methodologie einer nationalsozialistisch ausgerichteten Disziplin anzupassen. Sie wurden entweder zwangsbeurlaubt oder in den Ruhestand versetzt (wie Erich Everth, der sich nach der nationalsozialistischen Machtergreifung als Einziger »öffentlich gegen die Presseverbote der neuen Machthaber aussprach« – Kutsch/Averbeck o.J.), entlassen oder wegen ihrer jüdischen Abstammung aus dem Fach entfernt. Mancher wählte den Weg in die Emigration. Einige Fachvertreter entzogen sich der nationalsozialistischen Verfolgung, indem sie sich auf Arbeitsgebiete – z. B. historische Themen – zurückzogen, die unverdächtig waren (vgl. Kutsch 1984 und 1988b). Mit der Emigration deutscher Zeitungswissenschaftler nach 1933 war zugleich ein Verlust sozialwissenschaftlicher Perspektiven verbunden, wie sie ansatzweise in Deutschland im Entstehen begriffen waren (vgl. Averbeck 2001).

      Man kann allerdings auch nicht übersehen, dass infolge von Kompetenzüberschneidungen verschiedener Ressorts und Einrichtungen (z. B. Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Deutscher Zeitungswissenschaftlicher Verband, Reichspresseamt, Reichsrundfunkkammer u. a. m.) und daraus resultierender Machtkämpfe die offizielle Linie der nationalsozialistischen (Medien-)Funktionäre gegenüber einer Zeitungswissenschaft bzw. einer Wissenschaft von den publizistischen Führungsmitteln wenig einhellig war (vgl. Straetz 1984, S. 71). Die Medienverantwortlichen des Dritten Reiches hatten ein zumindest ambivalentes Verhältnis zur Zeitungswissenschaft. Sie wollten einerseits durchaus wissen, wie Propaganda und politische Publizistik auf das Publikum bzw. die Öffentlichkeit wirken. Zugleich hegten sie Befürchtungen, die durch die Zeitungs- (und Rundfunk-)Wissenschaft ermittelten Erkenntnisse über Technik, Funktion und Wirkung der Propaganda in öffentlicher Rede sowie [41]mittels Presse, Rundfunk und Film könnten durchschaut und einer größeren Öffentlichkeit bekannt und transparent gemacht werden und sich in der Folge gegen den nationalsozialistischen Staat selbst richten (vgl. Kieslich 1972, S. 73).

      Verständlicherweise sollte die Zeitungswissenschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht dort fortsetzen, wo sie 1945 endete bzw. stand (sofern sie noch bestand). Ihre Inhalte waren weitgehend nicht Wissenschaft, sondern vorwiegend verbrämte Ideologie. Das galt auch für andere Fächer. So erscheint es selbstverständlich, dass die »langsam wieder öffnenden Hochschulen unter der Aufsicht der Besatzungsmächte […] angehalten [wurden], sich alle erneut zugelassenen Institute und deren Personal genau anzusehen. […] Die Hochschulen wollten sich zudem von belasteten Fächern und Hochschullehrern trennen. Außerdem waren viele Institute erheblich oder ganz kriegszerstört« (Bohrmann 2002, S. 16). Zahlreiche zeitungswissenschaftliche Professuren, Seminare und Dozenturen wurden geschlossen oder nicht wiedererrichtet, so z. B. Einrichtungen in Halle/Saale, Greifswald, Hamburg, Berlin (Ost), Heidelberg, Freiburg/Br., Köln, Aachen, Prag, Wien und Königsberg (Bohrmann 2002, S. 17ff). Zu Wiederbelebungen des Faches kam es dagegen (zunächst) in München (1946), Münster (1946), Leipzig (1946), Heidelberg (1946) und Berlin (1948, Freie Universität Berlin). Als Zentren bildeten sich in Westdeutschland – dies sei hier vorweggenommen – Berlin (Emil Dovifat), München (Karl d’Ester) und Münster (Walter Hagemann) heraus. In der Bundesrepublik wurden die

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