Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Heinz Pürer

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Publizistik- und Kommunikationswissenschaft - Heinz Pürer

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und Methoden« (Löblich 2010b, S. 550).

      Generationenwechsel in der Publizistikwissenschaft: Ende der 1950er- und Anfang der 1960er-Jahre vollzog sich im Fach ein Generationenwechsel, von dem wichtige Impulse für die sozialwissenschaftlich-empirische Wende ausgingen. In Münster folgte 1960 auf Walter Hagemann der Buchverleger und studierte niederländische Soziologe Henk Prakke. Er hatte sich Anfang der 60er-Jahre der USamerikanischen Kommunikationswissenschaft zugewandt und entwickelte ein Prozessmodell: die »funktionale Publizistik« (Prakke 1968; Pürer 1998, S. 145ff; Meyen/Löblich 2006, S. 239 ff; Klein 2006). Prakke warb auch »dafür, Kommunikation immer in ›Interdependenz‹ mit der gesellschaftlichen Umwelt zu sehen […]« (Löblich 2010a, S. 142). In Berlin folgte 1961 auf Emil Dovifat der langjährige Intendant des Süddeutschen Rundfunks, Fritz Eberhard. Beide, Prakke und Eberhard, machten »soziologische Denk- und Arbeitsweisen für die Publizistik nutzbar« (Bohrmann 1997, S. 58). Im Mittelpunkt stand der publizistische Prozess. Es gelang Eberhard, den ausgewiesenen Kenner der USamerikanischen [44]Literatur und erfahrenen empirischen Medienforscher des Hamburger Hans-Bredow-Instituts, Gerhard Maletzke (vgl. w. u.) für das Berliner Institut als langjährigen Lehrbeauftragten zu gewinnen (Löblich 2010a, S. 172). Mit Otto B. Roegele wurde 1963 ein erfahrener Journalist und Quereinsteiger (Mediziner, Historiker) nach München berufen, der das Fach ebenfalls gegenüber anderen Disziplinen öffnete. Auf ihn geht u. a. die Anregung zurück, das Fach in »Kommunikationswissenschaft« umzubenennen. 1964 erhielt Franz Ronneberger, ein Jurist und Soziologe mit journalistischen und politischen Erfahrungen, das neu geschaffene Ordinariat für Publizistik und politische Wissenschaft in Nürnberg. Ronneberger profilierte sich nicht nur im Bereich Kommunikationspolitik (vgl. dazu seine– mittlerweile in weiten Teilen überholte – dreibändige Kommunikationspolitik: Ronneberger 1978ff), sondern erschloss auch die Felder Sozialisation durch Massenkommunikation (Ronneberger 1971) sowie Public Relations (Ronneberger/Rühl 1992). Schließlich wirkte ab 1965 Elisabeth Noelle-Neumann an dem neu geschaffenen Lehrstuhl für Publizistik der Universität Mainz. Sie war promovierte Zeitungswissenschaftlerin und hatte während eines Studienaufenthaltes in den USA die empirische Medien- und Kommunikationsforschung kennen gelernt. U. a. daraus resultierte das später von ihr verfasste Buch »Umfragen in der Massengesellschaft« (Noelle 1963). Als Leiterin des Allensbacher Instituts für Demoskopie war sie erfahrene empirische Medienforscherin. Ihr besonderes Interesse galt der Erforschung von Medienwirkungen, bzw. der öffentlichen Meinung. Es war dies ein Spezialgebiet, auf dem sie Pionierarbeit leistete. Ihre in diesem Kontext erarbeitete Theorie der »Schweigespirale» (Noelle-Neumann 1980) ist zwar nicht unumstritten (vgl. Scherer 1990 und Kap. 5.2.7), wurde aber auch außerhalb Europas, insbesondere in den USA, anerkennend rezipiert (vgl. Salmon/Glynn 1996). Nicht unerwähnt bleiben darf auch Günter Kieslich, Ordinarius von 1968 bis 1971 am Salzburger Publizistikinstitut. Obwohl ursprünglich selbst Historiker, wandte er sich in Salzburg unverzüglich der empirischen Forschung zu und hielt u. a. auch entsprechende Methodenvorlesungen (vgl. Pürer 1972). Kieslich hat vielfältig empirische Forschung angeregt und legte 1969 eine erste Strukturanalyse der österreichischen Tagespresse vor (Kieslich 1969). Aufgrund seines frühen Todes kam er selbst nicht mehr dazu, die danach erweiterte Forschungsarbeit zur Struktur der österreichischen Tagespresse (Vyslozil/Pürer/Roloff 1973) sowie seine wegweisende empirische Studie über die Ausbildung von Volontären an Tageszeitungen in der Bundesrepublik Deutschland (Kieslich 1974, Bearbeitung Eckart Klaus Roloff) selbst zu Ende zu führen.

      Im Zusammenhang mit der sozialwissenschaftlichen Wende sei hier noch auf den empirischen Medienforscher Gerhard Maletzke verwiesen. Er trug Anfang der 1960er-Jahre »in einer gründlichen Auswertung der nordamerikanischen Fachliteratur« (Bohrmann 1997, S. 59) wichtige Ergebnisse der US-amerikanischen empirischen Kommunikationsforschung zusammen und entwickelte auf ihrer Basis ein in sich stimmiges Prozessmodell der Massenkommunikation mit den Faktoren Kommunikator, Aussage, Medium und Rezipient/Wirkung, die er in ihrem Zusammenwirken genau beschrieb (vgl. Bohrmann 1997, S. 60; vgl. Maletzke 1963). Seine 1963 erschiene »Psychologie der Massenkommunikation« (Maletzke 1963) war zweifellos eine herausragende fachliche Innovation. Maletzke hat damit (und auch durch seine empirischen Arbeiten am Hamburger Hans-Bredow-Institut für Rundfunkforschung) wesentlich mit dazu beigetragen, »die deutschsprachige Publizistikwissenschaft von einer vorwiegend normativen zu einer auch empirisch arbeitenden Wissenschaft weiterzuentwickeln« (Bentele/Beck 1994, S. 38). Universitäre Ehren erhielt Maletzke – nach zahlreichen anderen beruflichen Stationen vorwiegend in der Forschung – erst 1983 als Honorarprofessor für Kommunikationswissenschaft/Journalistik an der Universität Hohenheim (vgl. Fünfgeld/Mast 1997, S. 359–361; Maletzke 1997; Meyen/Löblich 2011 und 2006, S. 211ff).

      Mit dem hier angesprochenen Wandel des Faches und den innerhalb des Faches damals zentral agierenden Protagonisten und deren Strategien befasst sich, wie erwähnt, Maria Löblich (2010a und 2010b). Ihre Analyse umfasst zwar den Zeitraum von 1945 bis 1980, um Veränderungen über einen [45]längeren Zeitraum in den Blick zu bekommen. Hier geht es jedoch vorwiegend um die 1960er-Jahre. Löblich unterscheidet bei ihrer Analyse zwischen dem »empirisch-sozialwissenschaftlichen« und dem »geisteswissenschaftlichen Lager«.

      Im empirischen Lager verortet sie die Herausforderer, unter ihnen die bereits erwähnten Protagonisten Elisabeth Noelle-Neumann (Mainz), Fritz Eberhard (Berlin), Franz Ronneberger (Nürnberg), Henk Prakke (Münster) sowie Otto B. Roegele (München). »Die Kernvorstellungen im empirisch-sozialwissenschaftlichen Verständnis sind schnell aufgezählt: Orientierung an der USamerikanischen Kommunikationsforschung, am Kritischen Rationalismus oder Positivismus, starkes Methodenbewusstsein, Anwendung quantitativer Verfahren, Formulierung empirisch überprüfbarer Aussagen sowie Gegenwarts- und Anwendungsbezug« (Löblich 2010a, S. 151). Obwohl bei detaillierter Analyse infolge unterschiedlicher persönlicher Auffassungen der Protagonisten »ein explizites, gemeinsames Fachverständnis nicht formuliert wurde […], weil es zu viele persönliche Auffassungsunterschiede gab, bestand das Ergebnis der Fachdebatte im impliziten Konsens, dass die analytischquantitative sozialwissenschaftliche Ausrichtung angesichts der schwierigen Situation des Faches der einzige richtige Weg war. Das empirisch-sozialwissenschaftliche Lager hat sich in der disziplinären Kontroverse durchgesetzt« (Löblich 2010a, S. 151). Die rasche Umsetzung wurde jedoch von Faktoren wie mangelnder Ausstattung der Institute, fehlendem Geld und Stellen für Mitarbeiter sowie Räumen verzögert (Löblich 2010a, S. 152).

      Als Herausgeforderte sieht Löblich primär Emil Dovifat (Berlin) und Wilmont Haacke, der 1963 auf einen Lehrstuhl für Publizistik in Göttingen berufen wurde, davor jedoch auch schon im Fach wissenschaftlich tätig war. Beide mussten sich in ihrem Fachverständnis durch jenes der Herausforderer angegriffen fühlen, »zuvorderst der ›Nestor‹ des Fachs, Emil Dovifat, aber auch sein Göttinger Kollege Wilmont Haacke. Beide hatten ihre Position der bisherigen geisteswissenschaftlichen Ausrichtung des Faches zu verdanken und diese stand nun auf dem Spiel. Sie versuchten, den gegen ihr Fachverständnis wirkenden Selektionsdruck abzuwehren« (Löblich 2010b, S. 552). Beide seien sich weitgehend einig darüber gewesen, »dass Wirkungsforschung abzulehnen und das Fach als normative Disziplin zu erhalten war« (ebd.). Haacke habe »Ressentiments gegenüber der Umfrageforschung gehabt, Dovifat habe vor einem Rückfall in die ›Werturteilsfreiheit‹ gewarnt: »Normativ musste das Fach aus seiner Sicht nicht zuletzt auch sein, weil es Journalisten Gesinnung und Ethik vermitteln sollte. Die für diese Aufgabe notwendige allgemein verständliche Sprache sah Dovifat von der um sich greifenden Terminologie der analytischen Wissenschaftstheorie bedroht« (Löblich 2010b, S. 552f). Beide, Dovifat und Haacke, hätten mit »Widerstand und Verweigerung auf die Veränderungen im Fach reagiert« (Löblich 2010b, S. 555). Anders sieht dies mit Blick auf Wilmont Haacke der Göttinger Kommunikationswissenschaftler Wilfried Scharf. Haacke habe in seinem Werk »Publizistik und Gesellschaft« (1970) den empirisch-analytischen Ansatz innerhalb der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft verbunden; dieser Ansatz habe sich »seit den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts durchgesetzt« (Scharf 2001, S. 69).

      Der empirische Neuansatz in der Publizistikwissenschaft »wurde auch in der sich langsam entwickelnden Sphäre der Wissenschaftsplanung von Bund und Ländern wahrgenommen« (Bohrmann 1997, S. 60). So empfahl der Wissenschaftsrat 1965, Einrichtungen zu schaffen, die mit universitären Instituten

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