Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Heinz Pürer
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• der Grad der Selektionsmöglichkeiten (Auswahloptionen);
• der Grad der Modifikationsmöglichkeiten (Möglichkeiten der Veränderung von Aussagen durch den Empfänger; also der Grad, zu welchem ihm Kontrolle der Kommunikation möglich ist) (vgl. Kap. 3.3.3);
• die Menge des Selektions- und Modifikationsangebotes;
• der Grad der Linearität/Nichtlinearität, also z. B. Bestimmung von Zeitpunkt, Tempo und Abfolge der Rezeption bzw. Kommunikation; sowie
• der Grad des Mappings (also der Entsprechung) zwischen Nutzereingabe (z. B. Suchanfragen) und Systemantwort (angezeigte Ergebnisse).
Die von den meisten Deutschen regelmäßig praktizierten interaktiven Kommunikationsmodi in der computervermittelten Kommunikation sind das Bedienen von Suchmaschinen (Mensch-zu-Maschine/Medium-Interaktivität) und das Versenden bzw. Empfangen von E-Mails (Mensch-zu-Mensch-Interaktivität) [95](vgl. van Eimeren/Frees 2012, S. 369). Die (deutschsprachige) Kommunikationswissenschaft interessiert im Hinblick auf Interaktivität weniger die Mensch-Maschine-Dialoge als vielmehr die kommunikativen Möglichkeiten zwischen Menschen mittels Computer, und dabei insbesondere die computervermittelte interpersonal-öffentliche Kommunikation, wie sie z. B. in Diskussionsforen, auf YouTube oder Twitter stattfindet. Diese Form der öffentlichen Kommunikation weist einerseits Ähnlichkeiten mit Face-to-face-Kommunikation unter Anwesenden auf, unterscheidet sich andererseits aber dennoch wesentlich von dieser (vgl. Misoch 2006, S. 56ff): So sind die Partner computervermittelter Kommunikation in aller Regel nur »telepräsent«, d. h. nicht persönlich anwesend und können sich auch gegenseitig nicht bzw. nur sehr eingeschränkt wahrnehmen (Entkörperlichung). Auch sind ihre Interaktionen weder orts- noch zeitgebunden (Entzeitlichung und Enträumlichung). Entkörperlichung, Entzeitlichung und Enträumlichung führen außerdem zu einer Entkontextualisierung: Da die Kommunikation zeitversetzt stattfinden kann und die Kommunikationsteilnehmer i. d. R. nicht physisch präsent sind, teilen sie üblicherweise keinen »gemeinsamen Kontext oder Handlungshintergrund« (Misoch 2006, S. 60). Zentrale Elemente der gesamten nonverbalen Kommunikation, die in der zwischenmenschlichen Kommunikation eine wichtige Rolle spielen, kommen folglich in der computervermittelten Kommunikation nicht zum Tragen. Kurz: Die interaktiven Möglichkeiten computervermittelter Kommunikation »liegen nicht auf der Ebene direkter sozialer Interaktion« (Sutter 1999, S. 297). Dadurch sind wechselseitige Wahrnehmungs- und Kontrollmöglichkeiten (z. B. Mimik, Gestik, Blickkontakt, Tonfall etc.) nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich und somit kann computervermittelte Kommunikation einen unverbindlichen und anonymen Charakter annehmen. Sie erlaubt es, etwa in Chats oder bei der Teilnahme an Onlinerollenspielen, »sich zu maskieren und zu inszenieren« (ebd.). Insbesondere regelmäßig durch das Internet rauschende »Shitstorms« – Stürme der kollektiven Entrüstung über eine Person oder ein Thema, die nicht selten mit groben verbalen Entgleisungen einhergehen – prägen derzeit das Meinungsklima über virtuelle Kommunikation. Dennoch greift auch in der Onlinekommunikation ein gewisser Selbstregulierungsmechanismus, auf den wir in Kapitel 3.3.5 zurückkommen: Da auch im Netz Interaktionen auf Dauer angelegt sein können, müssen Nutzer sich an bestimmte soziale Normen und Verhaltensstandards orientieren, wenn sie Anschlusskommunikation generieren wollen.
3.3.4 Web 2.0, Social Web und User-generated Content
Tim O’Reilly (2005) hat zur Unterscheidung der Onlineangebote, die auf klassische Einweg-Kommunikation beschränkt bleiben (publishing), von Angeboten, die interaktive Kommunikation (participation) und Zusammenarbeit ermöglichen, das Begriffspaar »Web 1.0« und »Web 2.0« eingeführt. Natürlich verweist die Kennziffer nicht auf eine neue Versionsnummer des World Wide Web, sondern steht für eine Entwicklungsstufe im Kommunikationspotenzial. Angebote, die mit dem Begriff ›Web 2.0‹ gelabelt werden können, binden Nutzer in die Organisation, Produktion, Gestaltung und Distribution von Inhalten im Internet ein (vgl. O’Reilly 2005; Ebersbach et al. 2008).
Ganz grob lassen sich Web-2.0-Dienste bzw. Plattformen in folgende drei Klassen unterteilen (vgl. Stanoevska-Slabeva 2008): 1) inhalts-orientierte Web-2.0-Plattformen ermöglichen einerseits das Erstellen, Verwalten, Konsumieren oder Tauschen von Inhalten. Als Beispiele für diese Kategorie können Blogs, Wikis oder Media-Sharing-Plattformen (wie YouTube oder Flickr) gelten. Eine zweite Klasse bilden 2) beziehungs-orientierte Web-2.0-Plattformen, die die Abbildung und Verwaltung von sozialen Netzwerken (wie Facebook, Xing etc.) ermöglichen. Diese Plattformen werden von den Teilnehmern zur Beziehungspflege genutzt und weisen daher eine enge Rückbindung an realweltliche Gruppen auf. Darüber hinaus existieren 3) virtuelle Welten also Plattformen, die auf [96]virtuellen dreidimensionalen Abbildungen der ›realen‹ Welt basieren. Der virtuelle Kommunikationsraum Second Life ist ein gutes Beispiel hierfür.
Auch wenn die meisten Web-2.0-Dienste kostenlos angeboten werden: Der Nutzer ›bezahlt‹ immer durch die Daten, die er zur Abmeldung und während der Nutzung preisgibt. Anbieter haben Interesse an diesen Daten, um z. B. personalisierte Anzeigenschaltung verkaufen zu können – das ist für Werbetreibende natürlich deutlich attraktiver, als Streuverluste in Kauf nehmen zu müssen. Berücksichtigt man darüber hinaus, dass es eine kritische Masse an Nutzern braucht – die eine Plattform kontinuierlich mit Daten füttert, damit diese Plattform ›am Leben‹ bleibt – so wird klarer, dass viele kommerzielle Anbieter ein Interesse haben, Nutzercommunitys aufzubauen und zu erhalten. Freilich gibt es aber auch (aus kommerziellen Gründen initiierte und kommerziell orientierte) virtuelle Gemeinschaften, in denen professionelle Organisatoren dafür sorgen, dass Kommunikation aufrechterhalten bleibt.
Plattformen, die online die Herstellung sozialer Strukturen und Interaktionen ermöglichen, werden auch unter dem Sammelbegriff »Social Web« gefasst. Präziser definiert besteht das Social Web aus:
• »[…] webbasierten Anwendungen,
• die für Menschen
• den Informationsaustausch, den Beziehungsaufbau und deren Pflege, die Kommunikation und kollaborative Zusammenarbeit
• in einem gesellschaftlichen und gemeinschaftlichen Kontext unterstützen sowie
• den Daten, die dabei entstehen und
• den Beziehungen zwischen Menschen, die diese Anwendungen nutzen« (Ebersbach et al. 2008, S. 31; vgl. auch Hippner 2006).
Es finden sich Prinzipien, die alle Social-Web-Services mehr oder weniger einen (vgl. Ebersbach et al. 2008, S. 31; Hippner 2006):
• Der Fokus liegt auf den Nutzern und ihrer interaktiven Kommunikation: Während Programme oder Webseiten der Generation Web 1.0 weitgehend produktivitätsorientiert und anonym genutzt wurden, zeichnen sich Angebote im Social Web durch hohes interaktives Potenzial und Personalisierung aus; Nutzungsmuster werden nachvollziehbar.
• Möglichst ausgiebige Vernetzung (von Informationen oder Personen): Nicht die einzelnen Informationen, sondern die Struktur, die aus ihrer Verknüpfung entsteht, steht im Zentrum. Durch das In-Beziehung-Setzen von Inhalten wird kollektives Wissen aufgebaut.
• Transparenz von Handlungen, Daten und Zusammenhängen: Sichtbarkeit der Teilnehmer, ihrer Beziehungen untereinander und der Bewertungen von Inhalten wird hergestellt, um das menschliche