Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Heinz Pürer
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Nina Springer, Heinz Pürer und Wolfgang Eichhorn
Elektrisch bzw. elektronisch vermittelte Kommunikation gibt es schon seit langem; man denke z. B. an Telekommunikation mit Hilfe des Telefons. Mit der Entwicklung des Digitalcomputers wurde in den 1940er-Jahren eine neue Technologie der Informationsvermittlung und -verarbeitung eingeführt, die insbesondere in den letzten beiden Jahrzehnten – im Rahmen der Verbreitung des Internets und digitaler mobiler Telefonie – bestehende Technologien ersetzt und neue soziale Kommunikationsformen etabliert hat. Im weitesten Sinne lässt sich von »computervermittelter Kommunikation« immer dann sprechen, wenn ein Computer in irgendeiner Form in Kommunikationsprozesse eingeschaltet ist (vgl. Santoro 1995, S. 11, zit. in Thurlow et al. 2004, S. 14). In der Kommunikationswissenschaft wird i. d. R. eine engere Definition verwendet, weit verbreitet ist diejenige von John December: »Computer-Mediated Communication is a process of human communication via computers, involving people, situated in particular contexts, engaging in processes to shape media for a variety of purposes« (Dezember 1997). Ähnlich die Definition in der Selbstverständniserklärung der Fachgruppe »Computervermittelte Kommunikation« der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK): »Computervermittelte Kommunikation (CvK) umfasst alle Formen der interpersonalen, gruppenbezogenen und öffentlichen Kommunikation, die offline oder online über Computer(netze) und digitale Endgeräte erfolgen« (DGPuK 2004). Dabei ist anzumerken, dass der Begriff »digitale Endgeräte« heute nicht nur den »klassischen« Computer umfasst, sondern auch Smartphones oder »intelligente« TV-Geräte. Von entscheidender Bedeutung ist die durch die Software zur Verfügung gestellte Schnittstelle, die es dem Nutzer ermöglicht, interaktiv zu kommunizieren. Im Internetzeitalter verschmelzen Möglichkeiten elektronisch vermittelter Individual- und Massenkommunikation. Dabei entstehen neue Kommunikationsmodi (etwa E-Mail und Chat) und -umgebungen (wie Foren und Social Network Services oder virtuelle Rollenspiele).
Das Verschmelzen der Endgeräte (wie Telefon, Computer und Fernseher) wird technische Konvergenz genannt. Auf Produzentenseite hat sie Auswirkungen auf:
• Inhalte (durchgängige Digitalisierung von Text, Sprache, (Bewegt-)Bild, Grafik),
• Medien (Verschwimmen der Grenzen z. B. zwischen Presse und Fernsehen),
• journalistische Rollenbilder und Produktionsroutinen (crossmediales Arbeiten),
• Vertriebswege (Verbreitung der Inhalte über das Telefonnetz, Kabel, Satellit und Terrestrik) sowie
• Verwaltungs- und Abrechnungsvorgänge.
Auf Konsumentenseite (Publika) beeinflusst sie Nutzungsmuster (vgl. Heinrich 1999, S. 79f; Quandt/Singer 2009). Bezüglich des Begriffes Konvergenz ist ein klärender Hinweis erforderlich. Ursprünglich wurde damit die Angleichung von Programmen unterschiedlicher institutioneller Rundfunkveranstalter bezeichnet bzw. in einem weitergehenden Sinn die Beobachtung zunehmender Übereinstimmung von Organisations- und Arbeitsformen, von Programmierung und Präsentation sowie von Formen und Genres bei öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Sendern (vgl. Meier 1998, S. 31). Historisch betrachtet haben sich die Bereiche Telekommunikation, Computer und Massenmedien zwar weitgehend getrennt voneinander entwickelt. Allerdings verwendeten die klassischen Massenmedien sehr bald die Telekommunikation (z. B. Telegrafie, Telefon, Fax) für die rasche Nachrichtenübermittlung sowie später den Computer für die Informationsverarbeitung (z. B. elektronische Zeitungsherstellung auf digitaler Basis, elektronisches Broadcasting, digitales Speichern sowie digitales Schneiden von Hörfunk- und Fernsehbeiträgen). Durch fortschreitende Digitalisierung war die Konvergenz [89]dieser Bereiche – rückblickend gesehen – also vorprogrammiert und nur noch eine Frage der Zeit (wenn auch nicht immer reibungslos in ihrem Ablauf: Ein gutes aktuelles Beispiel ist der Streit um die Tagesschau-Applikation zwischen Verlegern und der ARD bzw. dem NDR).
Das Ergebnis des Zusammenwachsens bzw. Verschmelzens von Informationstechnologie (Computer), Telekommunikation, Massenmedien und elektronischer Unterhaltungsindustrie durch fortschreitende Digitalisierung der Inhalte auf Produktions-, Distributions- und Verwaltungsebene wird häufig als Multimedia bezeichnet (vgl. Trappel 1999, S. 89; Hartmann 2008, S. 8f). Multimediale Angebote sind in der Lage, Text, Bild, Ton, Video und Grafik mittels Datenkommunikation zu integrieren (vgl. Jakubetz 2011, S. 19f). Eine ideale Distributionsplattform dafür bietet das Internet, da durch den Computer alle Formen traditioneller Medienkommunikation realisiert werden können (vgl. Kap. 3.3.1 und 3.3.2).
Neu an vielen Angeboten computervermittelter (Massen-)Medienkommunikation sind vor allem die Rückkopplungsmöglichkeiten der Rezipienten (Nutzer) beispielsweise via Kommentarfunktion. Feedbacks waren und sind zwar in der klassischen Massenkommunikation etwa in Form von Leserbriefen oder telefonischen Interventionen auch möglich, abgesehen von Telefonanrufen der Zuschauer oder Zuhörer, die live in die Sendungen geschaltet werden, wirken sich diese Rückmeldungen des Publikums aber – wenn überhaupt – erst mit Verzögerungen auf Kommunikationsprodukte oder deren Produktionsprozess aus. Online erhalten die spontanen, öffentlichen und zumeist uneditierten Rückkopplungen der Rezipienten aber eine neue Qualität der zeitlichen Unmittelbarkeit und der direkten Interaktion mit dem Gegenüber (vgl. Schweiger/Quiring 2007, Kap. 3.3.3). Im Internet finden die »People Formerly Known as the Audience« (Rosen 2006) sogar Plattformen und Dienste vor, die es ihnen erlauben, selbst zu Produzenten von Angeboten massenmedialen Charakters zu werden – z. B. durch das Betreiben eines Blogs (vgl. Gillmor 2004) (vgl. Kap. 3.3.4). Weil solche Dienste die Rollenverteilung zwischen Sender (professioneller Kommunikator) und Empfänger (Rezipient) in der klassischen Massenkommunikation aufweichen (können), muss die Tauglichkeit der Begriffe ›Rezipient‹ und ›Kommunikator‹, mit denen die Kommunikationswissenschaft bislang operierte, für die Onlinekommunikation in Frage gestellt werden (vgl. Kap. 3.3.6). Es lässt sich allerdings nicht verheimlichen, dass Potenzial und Gebrauchsweisen auch auseinanderklaffen können: Während einige Nutzer von der Möglichkeit, selbst Content zu produzieren, auch regen Gebrauch machen (für die Nutzung der Kommentarfunktion auf Onlinenachrichtenseiten vgl. z. B. Scheiner 2010; Springer 2011, S. 253; Taddicken/Bund 2010, S. 181), sind die meisten Onlinenutzer (bisher) nur in begrenztem Maße daran interessiert, sich aktiv an der Kommunikation in einer breiten Öffentlichkeit zu beteiligen. Viele beschränken das Kommunizieren auf die Öffentlichkeiten in virtuellen Gemeinschaften (Rheingold 1993), wie sie soziale Netzwerkseiten herzustellen vermögen (vgl. Kap. 3.3.1 und 3.3.5).
3.3.1 Elektronisch mediatisierter Kommunikationsraum
Früher war (technisch) vermittelte Kommunikation – ob Telekommunikation oder Massenkommunikation – »auf recht genau umgrenzte Sinnprovinzen […] und abgegrenzte soziale Welten […] beschränkt« (Krotz 1995, S. 446): Man las die Zeitung, sah etwas Bestimmtes im Fernsehen, telefonierte mit jemandem oder arbeitete am Computer. Heute leben wir in einem allumfassenden elektronisch mediatisierten Kommunikationsraum, der zeitgleiche kommunikative Handlungen mit unterschiedlichen Medien ermöglicht: »Man kann […] zu Hause am PC sitzen, online ein Computerspiel spielen, dabei am Telefon mit einem Bekannten sprechen, der auf seinem Bildschirm beobachtet, wie sich das Spiel im Wettkampf mit anderen Beteiligten entwickelt und dies kommentiert, und gleichzeitig läuft in einem Bildschirmausschnitt noch eine Musiksendung von MTV. Ein solcher User steht [90]also gleichzeitig in einer Vielfalt elektronisch mediatisierter kommunikativer Bezüge, die bisher im Wesentlichen für sich stattfanden. Ihre Gemeinsamkeit ist, dass es sich um elektronisch mediatisierte Kommunikation handelt, mit was oder