Allgemeine Staatslehre. Alexander Thiele

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erhöhten, historisch fundierten Wachsamkeit.

      Im Hinblick auf den Ablauf einer Revolution lassen sich folgende Stufen unterscheiden, wobei sich Regelmäßigkeiten vornehmlich bei solchen Revolutionen zeigen, die letztlich in einer autoritären Ordnung, jedenfalls aber keiner demokratischen Verfassungsordnung enden. Im Folgenden ist etwa der Ablauf der Englischen, Französischen, Russischen und Chinesischen Revolution skizziert, Ähnlichkeiten zeigten sich aber auch bei einzelnen Teilrevolutionen des Arabischen Frühlings:

       In einer Situation eines geschwächten Staates, der häufig nur noch durch wenige alte Oberschichten repräsentiert wird, erzwingt die Gemeinsamkeit der Gegner dieser Elite den politischen Umsturz. Es ist dies die Phase, in der sich angesichts des gemeinsamen Gegners die größte Einigkeit der Revolutionäre zeigt. Im unmittelbaren Anschluss an die „Revolution“ wird nicht selten gemeinsam ausgelassen gefeiert.

       Es folgt eine idealistische Phase, die jedoch angesichts der konkreten Realitäten und Probleme bei der Neugestaltung der Gesellschaft alsbald zu einer Spaltung der Revolutionsführer in Gemäßigte und Radikale führt. Während die Gemäßigten in dieser realistischen Phase für einen behutsamen und graduellen Übergang plädieren, drängen die Radikalen auf den umgehenden Wandel und werden immer rigoroser im Umgang mit vermeintlichen Revolutionsgegnern, als die alsbald auch die gemäßigten Revolutionäre eingeordnet werden.

       Aufgrund ihrer kompromisslosen Methoden steigen die Radikalen in der Revolutionshierarchie auf, verdrängen die Gemäßigten und konzentrieren die Macht um einen vergleichsweise kleinen Kreis an „echten“ Revolutionären.

       |73|Es folgen Terror und Thermidor,[384] bis sich ein neuartiges autoritäres Regime herausgebildet hat, dass im Namen der Revolution herrscht und Gegner und unliebsame Opposition mit gewalttätigen Mitteln verfolgt.

      Revolutionen können auch anders und vor allem erfolgreich ablaufen. Aus der Perspektive der Allgemeinen Staatslehre gilt es sich aber der Gefahr bewusst zu sein, die mit revolutionären Vorgängen einhergehen kann. Die weithin gescheiterte Arabellion mahnt hier zur Zurückhaltung und vor allem dazu, die anfangs festzustellende Einigkeit der Akteure nicht mit einer dauerhaften Einigkeit in allen zentralen Fragen der Gesellschaft und ihrer zukünftigen Ausgestaltung zu verwechseln. Der entscheidende Moment einer Revolution, der über Erfolg oder Niederlage entscheidet, dürfte der Übergang von der idealistischen zur realistischen Phase sein. Hier gilt es sicherzustellen, dass aufkommende Differenzen bei der Gestaltung des „revolutionären Alltags“ nicht zu einer Spaltung und neuen Feindseligkeiten führen, die in Gewalt und Terror enden. Wege aufzuzeigen, wie dieser Übergang erfolgreich gestaltet werden kann, gehört damit zu den zentralen Aufgaben einer modernen Allgemeinen Staatslehre.

      d) Kriegerische Niederlage

      Die kriegerische Niederlage ist als möglicher Auslöser revolutionärer Unruhen erwähnt worden. Daneben kann eine solche Niederlage aber den Ausgangspunkt für eine friedliche und möglicherweise auch extern gesteuerte Neuordnung der politischen Ordnung bilden – die Errichtung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bildet eines der erfolgreichsten Beispiele. In beiden Fällen – also Revolution oder friedliche Neuordnung – zeigt sich die Integrationskraft, die von der Armee im modernen Staat ausgehen kann.[385] Gerade im Kriegsfall versammelt sich die Bevölkerung hinter der Armee. Die Kapitulation ist für große Teile der Gesellschaft dann gleichbedeutend mit dem Untergang des bisherigen Systems im Sinne einer „politischen Stunde Null“. Es entsteht Raum für eine neue politische Ordnung, die an die Stelle der bisherigen treten kann. Auch hier obliegt es der Allgemeinen Staatslehre Wege aufzuzeigen, wie aus einer solchen umfassenden kriegerischen und politischen Niederlage mit externer Hilfe ein neues und stabiles Staatswesen errichtet werden kann – historisch gesehen sind positive Beispiele allerdings selten.

      |74|e) Verfassungsgebung und Verfassungsänderung

      Neue politische Herrschaftsordnungen, vor allem solche, die aus umfassenden Reformen, Revolutionen, Dismembrationen, Sezessionen oder – wie die BRD – kriegerischen Niederlagen hervorgehen, konstituieren sich formal durch den Erlass einer neuen Verfassungsordnung.[386] Diese neue Verfassungsordnung ist Ausdruck der „verfassungsgebenden Gewalt“ des Volkes, die seit der Französischen Revolution und Abbé Emmanuel Joseph Sièyes von der „verfassten Gewalt“ des Volkes unterschieden wird:[387] „Als Autor der neuen staatlichen Ordnung setzt sich das Volk selbst ein […]. Man legt kraft autonomer Selbstorganisation und reklamierter Rechtsetzungskompetenz einen neuen normativen Grund für die gesamte Rechts- und Staatsordnung.“[388] Von Volkssouveränität sollte nur für diesen Prozess der erstmaligen Verfassungsgebung gesprochen werden. Ist die Verfassung verfasst und in Geltung gesetzt, genießt im demokratischen Verfassungsstaat kein Organ – auch und gerade nicht das Volk – Souveränität.[389]Martin Kriele hat diesen Umstand treffend auf den Punkt gebracht: „Das Vorhandensein eines Souveräns in diesem Sinne einerseits und der Verfassungsstaat andererseits sind zwei polare, einander ausschließende Gegensätze, mit anderen Worten: Die Vorstellung eines Souveräns ist revolutionärer Sprengstoff gegen den Verfassungsstaat.“[390] Nach der Verfassungsgebung agiert das Volk mithin als von der Verfassung konstituiertes Organ mit spezifischen Zuständigkeiten, das wie die anderen Organe an die vorrangige Verfassung gebunden ist.[391]

      Wer sich den realen Prozess der Verfassungsgebung allerdings in Form einer sozial-romantischen Zusammenkunft aller BürgerInnen an einem Ort vorstellt, die nach anregender Debatte die neue gemeinsame Verfassungsordnung verabschieden, wird von der (historischen) Praxis enttäuscht – schon angesichts der großen Zahl an BürgerInnen wäre eine solche |75|Zusammenkunft undenkbar.[392] Hinzu kommt der Umstand, dass die komplexe Ausarbeitung einer Verfassungsordnung eine begrenzte Anzahl an Personen voraussetzt.[393] Sieht man von einer oktroyierten Verfassung ab – wie in Preußen im Jahr 1850 – erfolgt die Ausarbeitung der neuen Verfassung daher meist in einer verfassungsgebenden Versammlung, die ihre Geburtsstunde in den amerikanischen „constitutional conventions“ Ende des 18. Jahrhunderts hatten. Schon hier zeigt sich ein erstes kaum lösbares Problem des modernen Verfassungsstaats: Es liegt in der Legitimation dieser die Verfassung ausarbeitenden Versammlung. Die Zusammensetzung ergibt sich in Zeiten revolutionärer Unruhen nur selten aus vollständig freien und gleichen demokratischen Wahlen, hängt von Zufälligkeiten oder den Vorstellungen eventueller Siegermächte ab. Teilweise greift die verfassungsgebende Versammlung auch auf Vorarbeiten von Verfassungskommissionen (Herrenchiemseer Konvent, Verfassungskommission der Paulskirchenversammlung) oder gar Einzelpersönlichkeiten zurück (Weimar: Hugo Preuß), wodurch sich die Legitimationsfrage noch einmal verschärft. Insofern findet sich im Rückblick kaum eine Verfassungsordnung, die im Hinblick auf ihre Entstehung nicht gewisse Legitimationsdefizite aufweist,[394] schon weil der politische Körper und damit auch die Zugehörigkeit zu diesem erst mit der zu vereinbarenden Verfassung begründet werden.[395] Die Verabschiedung der neuen Ordnung durch eine solche „undemokratische“ Versammlung wird für sich daher kaum die Legitimität erzeugen können, derer es für ihre Stabilität bedarf. Ihren eigentlichen „Legitimationsschub“ erhalten Verfassungen daher auf zweierlei Weise: Einerseits indem der Verfassungstext dem Volk zur Zustimmung vorgelegt wird. So verhielt es sich etwa mit der Verfassung der fünften Französischen Republik, die nach ihrer Ausarbeitung durch die Regierung unter Beteiligung eines aus Parlamentariern besetzten beratenden Verfassungsausschusses in einem Plebiszit vom Französischen Volk angenommen wurde. Etwas anders, im Hinblick auf die Legitimation allerdings kaum weniger, vielleicht sogar stärker ausgeprägt, erfolgte die Annahme der ausgearbeiteten Verfassung in den USA (1787) und in der Schweiz (1848) durch Plebiszite in den Einzelstaaten. Ein geringeres Legitimationsniveau wies die Ratifizierung des Grundgesetzentwurfs in den einzelnen Landtagen der Bundesländer auf – eine Volksbefragung wurde weder in den Ländern noch auf |76|Bundesebene durchgeführt.[396] Aufgefangen wurde dieses Legitimationsdefizit durch den zweiten Legitimationsstrang moderner Verfassungen: Zeit.[397] Die politische Ordnung gewinnt mit jedem Tag, an dem sie von der Bevölkerung

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