Wörterbuch der Soziologie. Группа авторов

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ergaben sich in konzeptueller und theoretischer Hinsicht deutliche Konvergenzen. Das wichtigste Beispiel ist die Entwicklung der Lebensverlaufsforschung, die traditionelle soziologische Forschungsfragen (wie z. B. Mobilitätsforschung) mit sozio-demographischen Fragen (z. B. Familiengründung, [59]Migration) verbindet. Damit werden klassische demographische Konzepte (Geburtsjahrgang bzw. Kohorte, generatives Verhalten, Migration, Sterblichkeit) mit sozialwissenschaftlichen Konzepten (Lebenslauf, Familienzyklus, kritische Übergänge und Statuspassagen) in Verbindung gesetzt. Eine verstärkte Verknüpfung von demographischen und sozialwissenschaftlichen Ansätzen ist auch im Bereich der historischen Familienforschung zu beobachten, wodurch die Beziehungen zwischen Geburtenentwicklung, Lebenserwartung und Familien- und Generationenstrukturen in verschiedenen Zeitepochen differenziert erfasst werden konnten. Auf gesellschaftstheoretischer Ebene haben Fragen zum Zusammenhang von Sozialstruktur und Reproduktion (Geburtenentwicklung, Generationenfolge) ebenfalls eine theoretische Weiterentwicklung erfahren, wodurch sich beispielsweise die Wechselwirkungen zwischen wohlfahrtsstaatlichen Strukturen und soziodemographischen Wandlungen gezielter untersuchen lassen.

      Neuere bevölkerungssoziologische Ansätze und Themen

      Die in den letzten Jahrzehnten feststellbaren markanten Veränderungen der Geburtenhäufigkeit, des Familiengründungsverhaltens wie auch der familialen Strukturen und Lebensformen waren Anlass zur Entwicklung einer Theorie einer Zweiten demographischen Transition in hochentwickelten Gesellschaften. Dabei wird davon ausgegangen, dass die neueren Entwicklungen des generativen Verhaltens in modernen Gesellschaften einen vollständig anderen Charakter aufweisen als der Wandel von hoher zu tiefer Fertilität in der Phase einer ersten demographischen Transformation. Die Theorie einer zweiten demographischen Transformation ist ein theoretischer Ansatz, der explizit von engen Zusammenhängen zwischen sozio-kulturellen Wertorientierungen, familialen Lebensentwürfen und sozio-demographischen Variablen, wie Form und Zeitpunkt der Familiengründung und Geburtenniveau, ausgeht (vgl. Surkyn, Lesthaeghe 2004). Im Bereich der Migrationssoziologie wird räumliche Mobilität vermehrt als zentrales Element sozialer Mobilität wahrgenommen, und Migrationsbewegungen wurden systematischer mit Lebensereignissen und Lebensverläufen in Verbindung gesetzt. Namentlich lebensverlaufsanalytische Ansätze bieten sich in besonderem Maße an, weil Migration häufig mit einem Wechsel im biographischen und sozialen Status verbunden ist (Kley 2009, 50). Bezüglich Lebenserwartung bzw. Überlebensordnung steht die Feststellung im Zentrum, dass soziale Ungleichheiten – von Bildung, Einkommen und Status – zu ausgeprägten Ungleichheiten der Lebenserwartung beitragen. Dahinter verbergen sich auch soziale Ungleichheiten der gesunden Lebensjahre, des erfolgreichen Alterns und allgemein der Lebensqualität (vgl. Richter, Hurrelmann 2006). Entsprechend sind soziale Unterschiede der (gesunden) Lebenserwartung harte Indikatoren für die negativen Auswirkungen sozialer Chancenungleichheiten. Die erhöhte Lebenserwartung – auch im Alter – führen gleichzeitig dazu, dass Langlebigkeit und Hochaltrigkeit als gesellschaftliche Phänomene stark an Bedeutung gewinnen, mit bedeutsamen Auswirkungen auf Sozialpolitik, Generationenverhältnisse oder Pflegeaufwendungen.

      Da immer mehr Länder mit einer doppelten demographischen Alterung (wenige Geburten, längere Lebenserwartung im Alter) konfrontiert werden, bilden die festgestellten oder vermuteten gesellschaftlichen Auswirkungen veränderter Alters- und Generationenstrukturen einen zentralen Themenschwerpunkt demographischer und bevölkerungssoziologischer Analysen und Diskurse (vgl. Schimany 2003). In einigen Regionen zeichnet sich sogar eine schrumpfende Bevölkerung ab (Kaufmann 2005). Bevölkerungssoziologisch zentral ist die Feststellung, dass sich demographische Alterungsprozesse oder Bevölkerungsrückgänge immer nur in Wechselwirkung mit gesellschaftlichen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen auswirken (und dass eine Gleichsetzung von demographischer Alterung mit gesellschaftlicher Alterung keineswegs zulässig ist). Sowohl demographische Alterung wie Bevölkerungsschrumpfung erfordern vielfältige Anpassungen von Sozial-, Gesundheits- und Siedlungspolitik wie auch von Arbeits- und Konsummärkten (was etwa den Bedarf nach soziodemographischer und bevölkerungssoziologischer Politikberatung erhöht) (vgl. Jansen et al. 2005).

      Literatur

      Henßler, Patrick; Schmid, Josef; 2007: Bevölkerungswissenschaft im Werden. Die geistigen Grundlagen der deutschen Bevölkerungssoziologie, Wiesbaden. – Höpflinger, François; 2012. Bevölkerungssoziologie. Eine Einführung[60] in bevölkerungssoziologische Ansätze und demographische Prozesse, Weinheim. – Jansen, Stephan A. et al. (Hg.), 2005: Demographie. Bewegungen einer Gesellschaft im Ruhestand – Multidisziplinäre Perspektiven zur Demographiefolgenforschung, Wiesbaden. – Kaufmann, Franz-Xaver, 2005: Schrumpfende Gesellschaft. Vom Bevölkerungsrückgang und seinen Folgen, Frankfurt a. M. – Kley, Stefanie, 2009: Migration im Lebensverlauf. Der Einfluss von Lebensbedingungen und Lebenslaufereignissen auf den Wohnortwechsel, Wiesbaden. – Mackenroth, Gerhard, 1953: Bevölkerungslehre. Theorie, Soziologie und Statistik der Bevölkerung, Berlin. – Niephaus, Yasemin, 2012: Bevölkerungssoziologie. Eine Einführung in Gegenstand, Theorien und Methoden, Wiesbaden. – Richter, Matthias; Hurrelmann, Klaus (Hg.), 2006: Gesundheitliche Ungleichheit. Grundlagen, Probleme, Perspektiven, Wiesbaden. – Schimany, Peter, 2003: Die Alterung der Gesellschaft. Ursachen und Folgen des demographischen Umbruchs, Frankfurt a. M. – Schmid, Josef, 1984: Bevölkerung und soziale Entwicklung: Der demographische Übergang als soziologische und politische Konzeption, Boppard am Rhein. – Surkyn, Johan, Lesthaeghe, Ron J., 2004: Wertorientierungen und ›second demographic transition‹ in Nord-, West- und Südeuropa: Eine aktuelle Bestandsaufnahme; in: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft 29, 63–98.

       François Höpflinger

      Unter einer sozialen Bewegung (engl. social movement) versteht man ein soziales Subjekt, das aus einer relativ großen Anzahl von Menschen besteht, die unter einer zentralen, manchmal charismatischen, Führung, aber ohne sehr feste Organisation ein gemeinsames Anliegen gegenüber der Gesamtgesellschaft oder deren politischen Einrichtungen verfolgen. Meist will sie sozialen oder technischen Wandel herbeiführen, beschleunigen, umkehren oder verhindern und wirkt dann teilweise wie ein sozialer Katalysator.

      Dieses Anliegen kann sein: wirtschaftliche Besserstellung und Schutz vor Willkür (z. B. Arbeiterbewegung), Gleichberechtigung (Frauenbewegung, US-Bürgerrechtsbewegung), Gewährung von Freiraum für selbstbestimmte Lebensführung (Jugendbewegung), Selbstbefreiung von fremder Unterdrückung (nationale Bewegungen), Schutz der Natur vor dem Menschen (Umweltbewegung), Protest gegen die Nichtbeachtung von Minderheiteninteressen in der offiziellen Politik (außerparlamentarische Opposition), Kampf gegen die Unterdrückung von Menschen durch den Staat (Menschenrechtsbewegung), Abwehr von befürchteten Nachteilen durch weltweite Entwicklungen (Antiglobalisierungsbewegungen) usw. Regelmäßig geht es um einen Missstand, der nach Ansicht der Bewegung von den vorhandenen und zuständigen gesellschaftlichen und politischen Organen gar nicht oder nicht angemessen beachtet wird. Insofern sind soziale Bewegungen i. d. R. ein Anzeichen für fehlenden sozialen oder politischen Wandel und damit ein sozialer Indikator für potenziellen Konflikt, mindestens aber für Mangel an Legitimität der zurzeit zuständigen Instanzen.

      Wird dem Anliegen einer sozialen Bewegung nicht durch Anpassung der vorhandenen Institutionen Rechnung getragen, sind bei hinreichender Macht der sozialen Bewegung Unruhen, Bürgerkriege und gar Revolutionen nicht ausgeschlossen. Setzt sich die soziale Bewegung aber durch, wird sie zumeist in die bestehenden Strukturen eingebaut (z. B. Unterorganisation für Frauen oder Frauenquote in einer Partei), zur eigenständigen, formalen Organisation (Arbeiterbewegung als Gewerkschaft) oder von den bestehenden Einrichtungen aufgesogen (Umweltziele in die Programme aller Parteien integriert).

      Wegen ihres im Vergleich zu formellen Organisationen recht konturlosen, aber facettenreichen Erscheinungsbildes, nur wenig deutlicher als Massen oder Mengen, haben die sozialen Bewegungen bisher noch nicht sehr viel allgemeintheoretische Aufmerksamkeit erhalten. Bisher wurden daher eher einige Einzelfragen eingehender behandelt, Führer-Gefolgschafts-Beziehungen, Rekrutierungswesen,

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