Wörterbuch der Soziologie. Группа авторов

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(wie etwa bei Familiennachzug, Kettenmigration usw.). Soziologisch betrachtet sind räumliche Wanderungsbewegungen bedeutsame Elemente (sozial ungleich gestalteter) sozialer Mobilitätsprozesse. In vielen Fällen beeinflussen Zu- oder Abwanderungsbewegungen nicht allein die Bevölkerungszahl, sondern auch die sozialstrukturelle und sozialkulturelle Zusammensetzung der Bevölkerung einer Nation oder Region.

      Geburtenniveau, Sterbeverhältnisse und Migrationsprozesse bestimmen zusammen Bevölkerungsentwicklung (Zu- oder Abnahme der Bevölkerung) und Bevölkerungsstruktur, inklusive Alters- und Geschlechterverteilung innerhalb einer Bevölkerung. Der spezifische Einfluss der drei demographischen Komponenten (Geburten, Sterbefälle, Migration) auf Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstruktur variiert je nach den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Starkes Bevölkerungswachstum kann sich aufgrund hoher Geburtenzahlen, aber auch aufgrund massiver Zuwanderung ergeben. Eine stagnierende Bevölkerungszahl kann sowohl das Ergebnis hoher Geburtenhäufigkeit gekoppelt mit geringer Lebenserwartung als auch das Resultat hoher Lebenserwartung bei geringer Geburtenhäufigkeit sein. Aktuell stehen in Europa vor allem Fragen einer ansteigenden demographischen Alterung und Szenarien einer schrumpfenden Bevölkerung im Zentrum demographischer und bevölkerungssoziologischer Diskurse.

      Aus soziologischer Sicht von Bedeutung ist die Tatsache, dass die jeweiligen demographischen Strukturen und Entwicklungen eng mit der vorherrschenden Sozial- und Wirtschaftsstruktur einer Gesellschaft verbunden sind. Veränderungen der demographischen Komponenten lassen sich zwar rein bevölkerungsstatistisch beschreiben, jedoch nie ohne Rückgriff auf soziologische Theorien – wie etwa sozialstrukturanalytische, modernisierungstheoretische oder lebensverlaufsanalytische Ansätze – verstehen. Bei bevölkerungssoziologischen Analysen stehen die gesellschaftlichen Determinanten und Konsequenzen quantitativer Veränderungen von Bevölkerungsindikatoren im Zentrum. Im Grunde geht es darum, quantitative Phänomene bevölkerungsstatistischer Art mit qualitativen Veränderungen der Gesellschaft zu verknüpfen.

      Demographische Prozesse und bevölkerungssoziologische Fragestellungen

      Wie andere Teilgebiete der Soziologie weist auch die Bevölkerungssoziologie eine Vielfalt unterschiedlicher Fragestellungen auf. Es gibt allerdings allgemeine Grundfragen, die schon seit jeher die Diskussionen innerhalb der Bevölkerungssoziologie bestimmt haben. Dazu gehören namentlich folgende Fragestellunggen (vgl. Höpflinger 2012):

      a) Welche wechselseitigen Zusammenhänge bestehen zwischen (quantitativen) demographischen und (qualitativen) gesellschaftlichen Wandlungen? Inwiefern sind Modernisierungsprozesse einer Gesellschaft systematisch mit spezifischen demographischen Wandlungen – wie etwa sinkende Geburtenhäufigkeit und steigende Lebenserwartung – verknüpft?

      b) Welche individuellen, familialen und gesellschaftlichen Faktoren bestimmen Familiengründung und Fertilität junger Frauen und Männer? Wie lässt sich sozial differenziertes Fertilitätsverhalten erklären? Und welche gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen sind längerfristig bei tiefem Geburtenniveau zu erwarten?

      c) Welche gesellschaftlichen Wandlungen führen zu verstärkten räumlichen Mobilitätsprozessen (Emigration oder Immigration), und von welchen gesellschaftlichen Folgeerscheinungen sind starke Ein- oder Auswanderungsbewegungen begleitet? Inwiefern sind räumliche und soziale Mobilität wechselseitig verknüpft?

      d) Welche sozialen Faktoren tragen zu einer Erhö hung der Lebenserwartung bzw. zum Rückzug eines vorzeitigen Sterbens bei? Was sind die gesellschaftlichen Wirkungen einer hohen Lebenserwartung? Aus welchen Gründen entstehen soziale Ungleichheiten der Lebenserwartung insgesamt und der gesunden Lebenserwartung im Speziellen?

      Neuerdings stehen in europäischen Gesellschaf ten zudem auch folgende Fragestellungen im Zentrum bevölkerungssoziologischer Aufmerksamkeit:

      e) Welche gesellschaftlichen und sozialpolitischen Auswirkungen resultieren aus Prozessen einer verstärkten demographischen Alterung? Und welche Folgen hat eine stagnierende oder schrumpfende Bevölkerungszahl auf gesellschaftliche und sozialpolitische Verhältnisse?

      [58]Bedeutung der Soziologie für demographische Analysen

      Die Bevölkerungssoziologie bewegt sich dabei zwischen Makro- und Mikroebene einerseits und zwischen quantitativen und qualitativen gesellschaftlichen Wandlungen andererseits. Bevölkerungswachstum, Geburtenhäufigkeit, Migration oder demographische Alterung beispielsweise sind gesamtgesellschaftlich relevante Phänomene, die ihre Wurzeln gerade auch in familialem und/oder individuellem Verhalten und Handeln haben. Quantitative Veränderungen etwa von Bevölkerungszahl, Bevölkerungsverteilung und Bevölkerungsstruktur sind eng mit qualitativen Wandlungen von Gesellschaften verbunden.

      Vielfach lassen sich demographische Entwicklungen nur durch den gleichwertigen Einbezug von Statistik, Ökonomie, Soziologie und Sozialgeschichte erfassen und verstehen. Soziologische Versuche, die gesellschaftlichen Wirkungen und sozialen Einbettungen demographischer Prozesse zu untersuchen, kommen nicht ohne Berücksichtigung der Arbeiten anderer Fachrichtungen aus. Ein wichtiges Merkmal der modernen Bevölkerungssoziologie – im weitesten Sinne als gesellschaftstheoretische Analyse und Diskussion bevölkerungsstatistisch feststellbarer Wandlungen zu verstehen – ist ihre disziplinübergreifende Perspektive. Trotz der unbestreitbaren Bedeutung anderer Fachrichtungen (Bevölkerungsstatistik, Ökonomie, Sozialgeschichte usw.) kann allerdings mit einigem Recht behauptet werden, dass im Rahmen der Bevölkerungswissenschaften der soziologischen Betrachtungsweise eine zentrale Bedeutung zukommt. G. Mackenroth – einer der Klassiker der deutschen Bevölkerungslehre – stellte die Soziologie sogar explizit ins Zentrum: »Das letzte Wort hat in der Bevölkerungslehre immer die Soziologie, und die Soziologie kann wiederum nicht betrieben werden ohne Einbeziehung der historischen Dimension.« (1953, 111, zur Geschichte der deutschen Bevölkerungssoziologie Henßler/Schmid 2007). Mackenroth brachte damit zum Ausdruck, dass rein bevölkerungsstatistische Analysen strukturblind sind. Da Bevölkerungsstatistiken von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abstrahieren, sind sie für eine Erklärung demographischer Veränderungen wenig geeignet. Modelle, welche Bevölkerungsentwicklungen nur mit Hilfe demographischer Variablen zu erklären versuchen, sind klar gescheitert. Mackenroth war gleichzeitig aber auch der Ansicht, dass Bevölkerungssoziologie ohne historische Betrachtung nicht betrieben werden kann, da Bevölkerungsverhältnisse ihren Ursprung oft in der Vergangenheit haben bzw. demographische Prozesse sich erst allmählich und mit beträchtlicher Zeitverzögerung auf Sozialstruktur, Wirtschaft und Politik auswirken. Auch der deutsche Demograph Josef Schmid (1984) vertrat die Ansicht, dass die Beschäftigung mit Bevölkerungsgeschichte ein notwendiger Bestandteil der Bevölkerungssoziologie sei: »Es geht ihr aber dabei nicht um ›Historie‹, sondern vielmehr um bevölkerungsbezogene Erforschung vergangener Epochen, die für unsere Gegenwart besonders konstitutiv sind und die zum Gegenwartsverständnis wesentlich beitragen.« (Schmid 1984: 18–19).

      In den letzten Jahrzehnten ergaben sich gesamthaft betrachtet verstärkte Überlappungen zwischen bevölkerungsstatistischen und bevölkerungssoziologischen Forschungsansätzen und Analyseverfahren, und zwar primär aus zwei Gründen: Erstens erhielten die Sozialwissenschaften vermehrt Zugang zu anonymisierten Grunddaten der Statistik. Die Verbreitung von Mikrozensus-Erhebungen und umfangreicher Paneluntersuchungen hat den traditionellen Unterschied zwischen sozialer Umfrageforschung und Bevölkerungsstatistik aufgeweicht. Große Datensätze erlauben es, demographische und soziale Fragestellungen – etwa im Rahmen von Mehrebenen-Analysen – empirisch zu verknüpfen. Umgekehrt flossen die klassischen Methoden der statistischen Demographie vermehrt in die Soziologie ein. So werden in soziologischen Forschungsarbeiten vermehrt Kohorteneffekte (= Verhaltensunterschiede zwischen Personen aus unterschiedlichen Geburtsjahrgängen) empirisch analysiert. Auch ereignisanalytische Studien bzw. die Benützung stochastischer Modelle für diskrete Ereignisse in kontinuierlicher Zeit erfuhren in den letzten Jahrzehnten einen deutlichen Aufschwung, wodurch vermehrt soziologische Variablen in demographische Analysen

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