Wörterbuch der Soziologie. Группа авторов

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das qualitative Interview – im Gegensatz zur quantitativen Befragung – alltäglichen Gesprächssituationen nachmodelliert und macht sich deren grundlegende Eigenschaften, wie z. B. die Orientierung am Kenntnisstand und am Informationsinteresse des Gegenübers, zunutze. Der/die Befragte kann in qualitativen Interviews auf die offen gestellten Fragen frei formulierend und ausführlich antworten, kann Themen nach eigenem Ermessen ansteuern und verknüpfen, kann auch Fragen an die Interviewerin richten und über die gestellten Fragen selbst sprechen. Das Gesprächsverhalten des Interviewers hingegen ist im Gegensatz zu alltäglichen Gesprächen sehr auf das möglichst offene, möglichst wenig steuernde Fragenstellen hin vereinseitigt, um die Einflussnahme auf die Darstellung des Befragten zu minimieren.

      Diese Erhebungsform setzt zwei zentrale Anforderungen einer qualitativen Sozialforschung um: »Offenheit« – was bedeutet, dass zuerst die Bedeutungsstrukturierung des Befragten möglichst vollständig erhoben und rekonstruiert wird, bevor dann eine theoretische Strukturierung in wissenschaftlicher Perspektive erfolgt – und »Kommunikation« – was bedeutet, dass zur Erhebung von bedeutungsstrukturierten Daten eine Kommunikationsbeziehung eingegangen werden muss, die den Kommunikationsregeln des Interviewpartners und nicht denen der wissenschaftlichen Forschung folgt (Hoffmann-Riem 1980, 343 f. und 346 f.).

      Formen qualitativer Interviews

      Die meistverwendeten Formen qualitativer Interviews:

       Leitfadeninterview bzw. leitfadengestütztes Inter view

       Narratives Interview

       Experteninterview

      Die verschiedenen Formen qualitativer Interviews können nach der Interviewführung, nach ihrem Gegenstand und teilweise auch nach bestimmten, dem Befragten zugeschriebenen Merkmalen unterschieden werden: Beim Leitfadeninterview handelt es sich um eine Interviewführung, die tendenziell stärker durch den Interviewer strukturiert wird. Er agiert anhand eines vorab entworfenen Fragenleitfadens, soll sich dabei allerdings an den Themensetzungen und -verknüpfungen des Befragten orientieren und den Leitfaden flexibel einsetzen. Inhalt sind hierbei sowohl Fragen nach Handlungen und Erleben als auch zu Einstellungen und Deutungen. Zu beachten ist, dass die Forschungsfragen nicht umstandslos [48]in Leitfadenfragen umgesetzt werden können und dass die Fragen in alltagssprachlichen und nicht in wissenschaftlichen Begriffen formuliert sein müssen (also nicht: »Wann fällt Ihnen Ihr Doing Gender auf?« »In welchen Situationen ist Ihnen Ihr Habitus hinderlich?« »Welche Rolle spielt Bildungspanik bei Ihren Entscheidungen?«).

      Das narrative Interview ist eine Interviewform, in der die Befragte auf eine initiale Frage ohne Unterbrechungen antworten und das von ihr Erlebte vollständig ausformulieren kann. Gegenstand ist ein vergangener oder bis heute andauernder Handlungsprozess, an dem die Befragte selbst beteiligt war; am häufigsten werden narrative Interviews zur Erhebung von Biographien eingesetzt.

      Bei Experteninterviews handelt es sich zumeist um Leitfadeninterviews, bei denen dem Befragten ein besonderer Status zugeschrieben wird, nämlich Träger von »Expertenwissen« zu sein. Darunter wird meist Wissen über institutionalisierte Interaktionsbeziehungen oder über dritte Akteure verstanden (z. B. Richter, die über die Interaktion zwischen Strafverteidigern und Staatsanwälten und deren Einflüsse auf die Urteilsfindung befragt werden).

      Auswertung qualitativer Interviews

      Die so erhobenen Daten zeichnen sich durch eine geringe formale Vergleichbarkeit aus; dies erfordert eine kaum standardisierbare Auswertung der einzelnen Interviews. Die Auswertung beginnt mit einer Analyse des Interaktionsgeschehens, insbesondere beim Interviewbeginn, mit besonderem Augenmerk auf die Selbstdarstellung des Befragten. Nach einer Sequenzierung in Sinneinheiten bzw. einem Nachzeichnen des thematischen Verlaufs bei Leitfadeninterviews bewegt sich die Analyse am Textverlauf entlang. Es werden hierbei nicht allein die oberflächlichen Aussagen extrahiert (»hat sich für Karriere entschieden«, »ist mobil«, »hat aus Liebe geheiratet«), sondern anhand einer Analyse der formalen, sprachlichen und thematischen Besonderheiten werden die prägenden Deutungs- und Wahrnehmungsstrukturen und Handlungsverläufe des erhobenen Falls rekonstruiert; gerade auch im Widerspruch zur Selbstpräsentation. Wie bei quantitativen Befragungen gibt es auch in qualitativen Interviews Antworttendenzen, die sich an der sozialen Erwünschtheit orientieren; im Gegensatz zur quantitativen Erhebung erhält man jedoch in einem gelungenen qualitativen Interview ausreichend viele Kontextinformationen, um widersprüchliche Aussagen und die Handlungswirksamkeit von postulierten Einstellungen erkennen zu können. Dies verweist aber darauf, dass ein Interview vollständig, also als Fall, interpretiert werden muss. Das – bisweilen praktizierte – Herauspicken von einzelnen Passagen reicht von der Auswertungstiefe her nicht aus. Für das narrative Interview wurden unterschiedliche narrationsanalytische Auswertungsverfahren entwickelt. Grundsätzlich finden bei der Interviewanalyse die eingeführten qualitativen Auswertungsverfahren wie z. B. die Objektive Hermeneutik oder die Dokumentarische Methode der Interpretation Anwendung.

      Literatur

      Zur standardisierten Befragung: Diekmann, Andreas, 2007: Empirische Sozialforschung, 4. Aufl., Reinbek. – Beiträge in der Zeitschrift »Methoden-Daten-Analysen. Zeitschrift für empirische Sozialforschung«, ab 2007 (s. a. die Publikationen unter www.gesis.org).

      Zu qualitativen Interviews: Bogner, Alexander et al. (Hg.), 2009: Experteninterviews, 3. Aufl., Wiesbaden – Hoffmann-Riem, Christa, 1980: Die Sozialforschung einer interpretativen Soziologie – der Datengewinn; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 32, 339–372. – Küsters, Ivonne, 2009: Narrative Interviews, 2. Aufl., Wiesbaden. – Przyborski, Aglaja; Wohlrab-Sahr, Monika, 2009: Qualitative Sozialforschung, 2. Aufl., München, 91–159.

       Nicole Burzan/Ivonne Küsters

      Die Beobachtung (engl. observation) ist Grundlage empirischer Forschung, da wissenschaftliche Erkenntnisprozesse allgemein auf sinnlichen Erfahrungen der Wahrnehmung und Beobachtung beruhen (Bortz/Döring, Kap. 4). Im engeren Sinne ist die Beobachtung eine empirische Methode der Untersuchung von Verhalten in den Human- und Sozialwissenschaften. Im Vergleich zu sprachbasierten Verfahren (z. B. Befragung) wird bei Methoden der Beobachtung eher der Anspruch betont, dass sie einen unmittelbaren, weitgehend unverfälschten Zugang zu menschlichem Verhalten liefern. In der experimentell orientierten Psychologie liegt dabei ein Schwerpunkt auf der Beobachtung unter standardisierten Bedingungen, um eine größtmögliche Kontrolle [49]von Störvariablen zu gewährleisten. Da aus soziologischer Perspektive die Beobachtung eine geeignete methodische Zugangsweise zur Prüfung theoretischer Fragen hinsichtlich der Herstellung sozialer Wirklichkeit in alltäglichen Interaktionen ist, steht die Beobachtung in natürlichen Verhaltenskontexten im Mittelpunkt (z. B. teilnehmende Beobachtung). Zur ergänzenden Dokumentation werden hierzu auch visuelle Medien (Foto, Video) herangezogen, die z. B. mittels Bildanalyse untersucht werden (Flick, Kap. 17–21). Beobachtung ist ein Sammelbegriff für eine Reihe teilweise sehr unterschiedlicher Datenerhebungstechniken (z. B. Beobachtung sprachlichen und nicht-sprachlichen Verhaltens, Beobachtung kultureller Zeichen wie Kleidung). Davon abhängig variieren das methodische Vorgehen und damit einhergehende Probleme der Reaktivität (vgl. nicht-reaktive Verfahren).

      Formen der Verhaltensbeobachtung

      In Abgrenzung zur Alltagsbeobachtung bezieht sich systematische Beobachtung auf spezifische Fragestellungen und erfolgt daher zielgerichtet und geplant. Dies beinhaltet eine systematische Aufzeichnung der Daten sowie die Sicherstellung von Reliabilität und Validität (Hoyle et al.). Ferner wird eine Differenzierung zwischen systematischer und freier Beobachtung, die nicht hypothesengeleitet erfolgt, vorgenommen (Greve/Wentura).

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