Wörterbuch der Soziologie. Группа авторов

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in sozialen Konfliktsituationen zu prognostizieren.

      [95]›Entscheidung‹ in weiteren theoretischen Ansätzen

      Im Gegensatz zu einer akteur- bzw. handlungstheoretischen Fassung wird aus der Perspektive der neueren Systemtheorie Entscheiden nicht als mentaler Akt eines Akteurs verstanden, sondern als spezifische Form der Kommunikation. Entscheidungen sind auf Erwartungen reagierendes Verhalten, so Luhmann; sie bestehen nicht in der Auswahl einer Alternative, sondern dokumentieren sich an ihr. Nicht der Wille und Entschluss eines denkenden und handelnden Akteurs sind maßgeblich, sondern die Anschlussfähigkeit der Entscheidung an eine andere – und die Tatsache, dass eine Entscheidung ihre eigene Kontingenz thematisiert (Luhmann 1984, 1993, 2005).

      Die neuere Forschung der Neurobiologie und der Psychologie betont, dass eine Entscheidung nicht notwendig als kognitive Handlungsvorbereitung zu verstehen ist. Entscheidungen fallen vielmehr automatisch, gefühlsmäßig oder intuitiv; sie sind die Folge neuronaler Vernetzungen von Handlungsimpulsen und Mustern der Handlungsdurchführung (Roth 2007). Auch der Ansatz des »Naturalistic Decision Making« weist darauf hin, dass Entscheidungen im Moment des Wiederkennens einer Situation fallen: Mit der Typisierung einer Situation fällt die Entscheidung, wie gehandelt werden soll. So gesehen, bestehen Entscheidungen nicht mehr in der Auswahl einer Handlungsoption, denn es werden keine Alternativen gegeneinander abgewogen, sondern sie fallen zusammen mit der Repräsentation der Situation (Zsambok/Klein 1997). Auch neuere, praxistheoretisch inspirierte Überlegungen zum Entscheiden diskutieren, inwieweit Entscheidungen kein klar begrenztes Ereignis und Produkt eines zielgerichteten Denkprozesses sind, sondern im Prozess des Zusammenwirkens von Akteuren im Fluss des Handelns fallen und als Entscheidung interpretiert werden (Wilz 2009). Entscheiden wird dort als bewusste oder unbewusste Handlungsvorbereitung eines Akteurs (dann ist die daraus folgende Handlung die Umsetzung der Entscheidung) und/oder als spezifische Form sozialen Handelns betrachtet.

      Neben der soziologischen Theorie- bzw. Begriffsbildung wird die Entscheidungsforschung vor allem im Bereich der Wirtschafts- und Organisationssoziologie, aber auch der Biographieforschung und vor allem im Feld der Wirtschaftswissenschaften betrieben.

      Literatur

      Diekmann, Andreas; Voss, Thomas (Hg.): 2004: Rational-Choice-Theorie in den Sozialwissenschaften, München. – Esser, Hartmut, 1991: Die Rationalität des Alltagshandelns. Eine Rekonstruktion der Handlungstheorie von Alfred Schütz; In: Zeitschrift für Soziologie 20, 430–445. – Foerster, Heinz von, 1993: KybernEthik, Berlin. – Kirsch, Werner, 1998: Die Handhabung von Entscheidungsproblemen, 5. Aufl., München. – Lindblom, Charles E., 1969: The science of »muddling through«; in: Etzioni, Amitai (Hg.): Readings on modern organizations, Englewood Cliffs, 154–166. – Luhmann, Niklas, 1984: Soziologische Aspekte des Entscheidungsverhaltens; in: Die Betriebswirtschaft 44, 591–603. – Ders., 1993: Die Paradoxie des Entscheidens; in: Verwaltungs-Archiv 83, 287–310. – Ders., 2005: Soziologische Aufklärung 3: Soziales System, Gesellschaft, Organisation, 4. Aufl., Opladen. – March, James G., 1994: A primer on decision making. How decisions happen, New York. – March, James; Simon, Herbert A., 1958: Organizations, New York. – Roth, Gerhard, 2007: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten, Stuttgart. – Schimank, Uwe, 2005: Die Entscheidungsgesellschaft. Komplexität und Rationalität der Moderne, Wiesbaden. – Schmid, Michael, 2004: Rationales Handeln und soziale Prozesse, Wiesbaden. – Simon, Herbert A., 1957: Models of man – social and rational, New York. – Wilz, Sylvia Marlene, 2009: Entscheidungen als Prozesse gelebter Praxis; in: Böhle, Fritz; Weihrich, Margit (Hg.): Handeln unter Unsicherheit, Wiesbaden, 105–120. – Zsambok, Caroline E.; Klein, Gary, 1997: Naturalistic decision making, New Jersey.

       Sylvia Marlene Wilz

      Als Entwicklung (engl. development) bezeichnet man im alltäglichen und im politischen Sprachgebrauch zumeist jeden positiven technischen oder sozialen Wandel in vor- oder frühindustriellen Gesellschaften (»Entwicklungsländer«). Wissenschaftlich brauchbarer ist es, Entwicklung als eine der Formen von Veränderung der Sozialstruktur anzusehen und sie damit von anderen Formen zu unterscheiden. Sozialer Wandel beschreibt schwerpunktmäßig die Veränderung von charakteristischen, typischen Elementen der Sozialstruktur, Fortschritt ist eine positiv beurteilte Veränderung, und Evolution eine Veränderung, die in einer quasi-genetisch determinierten Weise von einfacheren zu komplexeren Ebenen führt. Dann könnte man Entwicklung als einen Prozess definieren, durch den Elemente[96] der Sozialstruktur verändert werden und bei dem die realen Veränderungen im Verhältnis zu den objektiven Möglichkeiten gesehen werden (Endruweit, 12). Das ist die auf Natur, Technik usw. erweiterte Fassung der nur menschenbezogenen Definition von Entwicklung als »the realisation oft the potential of human personality« (Seers, 2). Damit wird der Begriff auch der nur bei diesem Wort bestehenden Vorstellung von Unter- und Überentwicklung gerecht. In Wissenschaft und Praxis werden aber auch viele andere Definitionen benutzt, oft auch im Sinne anderer Formen von Veränderung der Sozialstruktur (so Harrison, XII, i. S. von Fortschritt) oder unnützerweise wertbeladen (so z. B. Behrendt, 130; Seers, 2).

      Etymologisch zeigen sowohl der deutsche Entwicklungsbegriff (dazu Kößler, 15–47) als auch viele fremdsprachige Entsprechungen, so im Frz. (développement), Span. (desarrollo), Russ. (razvitije), Schwed. (utweckling) und Türk. (gelişme), wie beim Evolutionsbegriff die Vorstellung, dass alles aus einem vorhandenen Potenzial entstehe und dadurch auch in seinen Möglichkeiten determiniert sei. Damit würde soziale, politische und ökonomische Entwicklungspraxis eine Potenzialanalyse voraussetzen, für die die methodologischen Grundlagen noch weitgehend fehlen (zum Zusammenhang von Definition und Messung von Entwicklung vgl. auch Barnett, 173–193).

      Als Grundbegriff in der nicht nur auf die Entwicklungsländer zu beschränkenden Entwicklungssoziologie, aber auch in anderen Wissenschaften, ermöglicht dieser Begriff eine Untersuchung von stattfindenden, möglichen oder geplanten Veränderungen im Hinblick auf ihre Ausgangslage, Randbedingungen und mögliche Reichweite. Damit ließe sich dann u. U. auch die ungleiche Entwicklung, entweder mehrerer Gesellschaften oder verschiedener Sektoren innerhalb derselben Gesellschaft, evtl. kausal erklären oder gar vorhersagen und dann sinnvoll steuern (vgl. auch Seers bei Goetze, 187–189).

      In der Allgemeinen Soziologie hat der Entwicklungsgedanke schon an ihrem Beginn, etwa bei Comte, Ferguson und Spencer, eine oft beherrschende Rolle gespielt und gar zur Aufstellung vermeintlicher Entwicklungsgesetze geführt. Dabei wurde manchmal aus Ethnozentrismus oder Ideologisierung der Geschichte der eigenen Gesellschaft deren Verlauf als alternativloses Modell dargestellt, bei dem die Möglichkeit von funktionalen Äquivalenten gar nicht erst erwogen wurde. In der Allgemeinen Soziologie weitgehend aufgegeben, setzt sich dieser Ansatz aber in manchen Entwicklungstheorien noch fort.

      Der in neuerer Zeit häufig benutzte Begriff der nachhaltigen Entwicklung (engl. sustainable development) geht zurück auf den Kgl. Sächs. Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz (Sylvicultura Oeconomica, oder haußwirthliche Nachricht und naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht, Leipzig: J. F. Braun 1713). Er bestimmt Nachhaltigkeit für die Forstwirtschaft eindrucksvoll klar: Man holze im Wald nicht mehr ab, als in derselben Zeit nachwächst. Wenn man in diesem Sinne den obigen Entwicklungsbegriff einengt, kann man nachhaltige Entwicklung definieren als eine Entwicklung, die Dauerhaftigkeit dadurch erreicht, dass sie die notwendigen Ressourcen nie erschöpft. Nachhaltige Entwicklung überschreitet also nie die Grenze zur Überentwicklung.

      Weltweite Aufmerksamkeit erhielt der Begriff der nachhaltigen Entwicklung seit einer UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro. Sie baute auf dem Bericht der sog. Brundtland-Kommission über »Our Common Future« aus dem Jahr 1987 auf. Nachhaltige Entwicklung wurde darin definiert als eine Entwicklung, die weltweit die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation befriedigt, ohne die Lebenschancen zukünftiger Generationen zu gefährden. Das ist ein politischer Begriff, weil er die gegenwärtige Verteilungsgerechtigkeit

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