Handbuch der Soziologie. Группа авторов

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Handbuch der Soziologie - Группа авторов

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Gesellschaft ist staatlich organisierte Gesellschaft. Die staatliche Funktion, Gewalt zu monopolisieren, bedeutet mithin, dass sich die moderne Gesellschaft einerseits als weitgehend gewaltfrei darstellt, andererseits aber die Mittel der Gewaltanwendung potenziert hat. Der als solcher mittlerweile nicht mehr umstrittene grundlegende Wandel moderner Staatlichkeit berührt deswegen auch die gesellschaftliche Rolle und Funktion der Gewalt. Steht die Soziologie vor der Herausforderung, mit der Kopplung von Staat und Gesellschaft auch die Verknüpfung von Gewalt und Staat zu überwinden? Diese Frage diskutiert David Strecker, der die sozialwissenschaftliche Forschung zu Begriff, Phänomen und Erklärung der Gewalt skizziert, um am Wandel von Krieg und Terrorismus sowie der gewalteinhegenden zivilisierenden Funktionen klassischer Staatlichkeit die Ordnungsfixiertheit der klassischen Soziologie zu problematisieren und Perspektiven für eine gesellschaftstheoretisch inspirierte, integrative Gewaltforschung zu umreißen.

      Auch Stephan Lessenich problematisiert in seinem Beitrag zur Demographie die Nachwirkungen der Orientierung der frühen Soziologie an der Bewältigung von Krisen und der Herstellung sozialer Ordnung. Die Dramatisierung des demographischen Wandels im Begriff der »alternden Gesellschaft« ist ein Mechanismus, die soziale Wirklichkeit zu strukturieren und zu ordnen, erzeugt aber selber wieder Unsicherheiten, nämlich über die Folgen, die Entwicklungsrichtung und den Umgang mit dieser Ordnung. Der Beitrag zeichnet diesen sich selbst unterminierenden Ordnungsimpuls an den Bereichen Alter, Migration und Multikulturalismus nach. Die gesellschaftliche Inklusion der Alten erzeugt die neue Grenze gegenüber den nicht mehr Aktivierbaren, die Mobilisierung transnationaler Arbeitskräfte die Exklusion unerwünschter Migranten und Migrantinnen und die Assimilation ethnischer Minderheiten die Kategorie der Integrationsunwilligen. Das Studium demographischer Entwicklungen weise deswegen auf die Notwendigkeit einer Selbstkritik der auf Ordnungsschaffung abzielenden Soziologie hin, die besser daran täte, Vergesellschaftungsprozesse in ihrem offenen und ambivalenten Charakter zu untersuchen.

      Ulrich Beck und Hartmut Rosa diskutieren ebenfalls unvorhergesehene Effekte gesellschaftlicher Entwicklungen. Unter dem Titel »Eskalation der Nebenfolgen« fragen sie nach jenen Phänomenen, die sich aus räumlichen und zeitlichen Steigerungen, der Kosmopolitisierung und Beschleunigung sozialer Beziehungen ergeben und die Überwindung des methodologischen Nationalismus erfordern. Dabei halten sie sowohl am Gesellschaftsbegriff wie auch an klassischen Erklärungsansprüchen der Soziologie fest und grenzen sich damit von alternativen globalisierungstheoretischen Ansätzen ab, nämlich von system-, weltsystem-, netzwerk- und komplexitätstheoretischen Konzeptionen. Demgegenüber zeichneten sich die Theorien der Weltrisikogesellschaft, der reflexiven Modernisierung und der sozialen Beschleunigung durch den Fokus auf die Dynamisierung der modernen Gesellschaft aus, deren Nebenfolgen die Stabilisierungen dieser Formation unterminieren.

      [21]In der Erfahrung des Sinnverlustes hat schon die frühe Soziologie eine grundlegende Herausforderung erkannt. Dabei handelt es sich um einen in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Umbruchserfahrungen zwar fluktuierenden, im Grunde gleichwohl scheinbar bestandsfesten Topos der Selbstbeschreibung moderner Gesellschaften. Entsprechend skizziert Christel Gärtner, wie dieses Problem die Disziplin im historischen Wandel immer wieder neu beschäftigt. Strukturell in der wachsenden Pluralisierung der Muster der Lebensführung und dem gesteigerten Bewusstsein der Kontingenz gesellschaftlicher Traditionsbestände begründet, wird die Diagnose des Sinnverlustes typischerweise in Krisenzeiten formuliert. Der Beitrag stellt entsprechende Diskurse exemplarisch vor, um darin unterschiedliche Modelle der Sinnkonstruktion zu identifizieren, deren Ausgestaltung in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Kontexten dargestellt wird. Für die Religionssoziologie und die klassische Gesellschaftstheorie mit ihren zentralen Annahmen zum Säkularisierungsprozess ergibt sich die Herausforderung, das Verhältnis von Religion und Moderne in nicht reduktionistischer Weise und entlang komplexer, gegenläufiger Prozesse neu konzipieren zu müssen.

      Der abschließende Beitrag dieses Handbuchs ist der Selbstreflexion der Soziologie auf ihre gesellschaftliche Rolle gewidmet. Zur Klärung der gesellschaftlichen Relevanz soziologischer Gesellschaftskritik erörtert Jörn Lamla das Verhältnis der Soziologie zur Öffentlichkeit. Der Beitrag sichtet zu diesem Zweck die Konzeption der Public Sociology, die zeitdiagnostische Kapitalismuskritik, Ansätze der Kritischen Theorie und der kritischen Soziologie. All diese Ansätze sehen sich in unterschiedlicher Weise mit einstweilen ungeklärten Schwierigkeiten konfrontiert, hinsichtlich der professionellen Maßstäbe der Disziplin und der Problematik, die Standards der Kritik bzw. die kritische Position zu begründen. Bleibt die Soziologie in einem Fall zu bescheiden, so erhebt sie sich ein andermal über die in ihren Illusionen gefangenen Gesellschaftsmitglieder oder aber ihre Begriffe geraten zu schwammig. Am ehesten lasse sich das Wechselspiel von Sozialwissenschaften und sozialer Praxis ausgehend von den rekonstruktiven Zugängen zur Kritik entfalten, wie abschließend am pragmatistischen Modell des Demokratischen Experimentalismus umrissen wird, zu dessen Fortentwicklung und Kritik der Beitrag einlädt.

      Die Herausgabe eines Handbuches der Soziologie ist ein Mammutunternehmen, das sich über einen beträchtlichen Zeitraum erstreckt hat und an dem zahlreiche Personen mitgewirkt haben. Wir möchten uns abschließend nicht nur bei den über 30 Autorinnen und Autoren der Einzelbeiträge noch einmal ganz herzlich bedanken, sondern auch bei Katharina Saalfeld und David Reum, die uns als studentische Hilfskräfte bei der redaktionellen Bearbeitung der Texte unterstützt haben, sowie bei Sigrid Engelhardt, die uns mit der gewohnten Umsicht organisatorisch geholfen hat. Seitens des Verlages hat Sonja Rothländer das Projekt mit großer Geduld und ebensolchem Engagement über mehrere Jahre begleitet. Auch dafür möchten wir uns an dieser Stelle vielmals bedanken. Ein persönlicher Dank geht schließlich noch an Christine, Hannah, Linus und Mila.

      [22][23]Teil I

      Der soziologische Blick

      [24][25]Wolfgang Eßbach

      Die historischen Quellen soziologischen Denkens: Aus welchen Traditionen entwickelt sich die Soziologie?

1.Die Soziologie vor der Soziologie

      Seit wann gibt es Soziologie? Welches Datum soll man fixieren, um diese Frage zu beantworten? Wählt man den Zeitpunkt, an dem das Wort Soziologie zum ersten Mal auftaucht, oder den Moment, an dem es zur Selbstbeschreibung des eigenen Denkens benutzt wird? Gilt das Datum, an dem die ersten Lehrstühle für Soziologie eingerichtet werden, oder der Zeitpunkt, an dem Soziologie nicht nur nebenbei, sondern als Hauptfach mit einem eigenen Universitätsabschluss studiert werden kann? Und wer darf überhaupt von sich behaupten, dass er wie ein Soziologe arbeitet? Unabhängig von den Antworten auf die hier gestellten Fragen – man wird Autoren und Werke ausschließen und ins außersoziologische Nichts verbannen, mögen sie noch so sehr unser Wissen über Gesellschaft gefördert haben. Es gilt daher, zunächst den Blick auf die Machttechniken zur Disziplinierung von Disziplinen zu lenken.

      Zu den geistlosesten Machttechniken in diesem Felde gehören etwa solche, die zur Soziologie nur Beiträge rechnen, die von fachlich korrekt ausgebildeten Soziologen geschrieben und in Peer-Reviewed-Zeitschriften für Soziologie in den letzten fünf Jahren in englischer Sprache erschienen sind. Wer so vorgeht, für den bildet alles andere eine mehr oder weniger dubiose Peripherie, ist Randgebiet oder ist veraltet und gilt als Tradition.

      Zur Disziplinierung von Disziplinen können auch stille Abkommen zwischen Fächern führen, bei denen die Traditionsmasse nach der Devise aufgeteilt wird: Adam Smith bekommen die Ökonomen, Herbert Spencer die Soziologen, Alexis de Tocqueville die Politologen. Was die Tradition angeht, so haben sich die Politologen mit ihrer verbreiteten Facheinteilung »Vergleichende Regierungslehre«, »Internationale Beziehungen« und eben »Politische Theorie« den Löwenanteil der Tradition der europäischen Gesellschaftslehren gesichert, indem sie die »Politische Philosophie« von Platon bis Habermas zu ihrer Fachidentität zählen.

      Komplexer ist die Machttechnik, einzelne Figuren der Vergangenheit zu Klassikern der Soziologie zu promovieren. Aber wer entscheidet über solche Promotionen? Geht es nach der Häufigkeit

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