Wirtschaftsgeographie. Harald Bathelt

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wirtschaftsgeographie - Harald Bathelt страница 41

Автор:
Серия:
Издательство:
Wirtschaftsgeographie - Harald Bathelt

Скачать книгу

Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander.“ Tatsächlich kann Globalisierung im Sinne von Marx (1890, Kap. 14) aus dem im Kapitalismus verankerten Streben nach der Produktion von Mehrwert abgeleitet oder im Sinne von Giddens (1997) als Konsequenz aus der in der Moderne verankerten Reflexivität gesellschaftlicher Beziehungen verstanden werden.

      Doch selbst vor der Industrialisierung bestanden schon einflussreiche internationale Verflechtungen, z. B. im Rahmen der interkontinentalen Kolonialisierung durch die europäischen Königreiche Spaniens, Großbritanniens und Frankreichs (Harvey 1996). Und selbst vor dieser Zeit existierten entfernte Handelsbeziehungen, z. B. über die Seidenstraße zwischen Europa und China. Internationale Beziehungen zwischen territorial definierten Herrschafts- und Wirtschaftsräumen haben somit eine lange Tradition (Held et al. 1999).

      Der moderne Globalisierungsbegriff sollte weder im Gegensatz zu dem Begriff der Internationalisierung, der die geographische Ausbreitung von Aktivitäten über nationale Grenzen hinweg betrachtet (Dicken 1998, Kap. 1), noch zu dem der Denationalisierung gesehen werden, bei dem lokalisierte soziale Handlungszusammenhänge in zunehmendem Maße nationale Grenzen überschreiten (Zürn 1997). Vielmehr sollte Globalisierung als ein historischer Prozess verstanden werden (Schamp 1996; Held et al. 1999; Bathelt 2000; Giese et al. 2011), dessen fortwährende Veränderung der Organisation sozialer und ökonomischer Beziehungen in räumlicher Perspektive zu einer zunehmenden globalen Vernetzung von Aktivitäten und wechselseitigen Abhängigkeiten führt. Historische Phasen der Globalisierung bzw. Internationalisierung können anhand von vier Grundcharakteristika umschrieben und von anderen unterschieden werden. In Anlehnung an Held et al. (1999, Kap. 1) sind dies: (1) geographische Ausbreitung, (2) Intensität, (3) Geschwindigkeit und (4) Wirkung der internationalen Verflechtungen. Die Kombination dieser Charakteristika führte zu einer Reihe unterschiedlicher Typen von Globalisierungs- oder Internationalisierungsphasen. Jede Phase der Globalisierung bzw. Internationalisierung ist dabei abhängig von den jeweiligen historischen Kontexten, wie z. B. den technologischen Bedingungen sowie den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Institutionen und Interessen (North 1991), sodass diese Typen nicht als Stadien linearen Fortschritts, sondern als Bestandteile eines pfadabhängigen, evolutionären Prozesses zu verstehen sind.

      Daher ist es unter Umständen schwierig, sprunghafte Veränderungen der weltweiten Produktions- und Konsumbeziehungen empirisch nachzuweisen. Wir begreifen den gegenwärtigen Prozess der Globalisierung als eine fortgeschrittene Stufe der Internationalisierung, deren besondere Intensität und Dynamik es aufzudecken gilt (Bathelt 2000; Giese et al. 2011). Verschiedene Dimensionen des Globalisierungsprozesses, darunter die informatorische, kulturelle, ökologische, politische, zivilgesellschaftliche und ökonomische Dimension (Beck 1997, Kap. 3; Werlen 1997, Kap. 5), werden in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen diskutiert. Die nachfolgende Diskussion konzentriert sich auf die wirtschaftliche Globalisierung in ihrer Bedeutung für die Wirtschaftsgeographie.

      Viele Unternehmen sind mit eigenen Betriebsstätten und Tochtergesellschaften im Ausland aktiv. Diese Unternehmen, die in verschiedenen Ländern Tochtergesellschaften kontrollieren, gelten nach Abgrenzung der Vereinten Nationen als transnationale Unternehmen im weiteren Sinne (→ Kap. 11). Transnationale Unternehmen beschäftigten Anfang des 21. Jahrhunderts gemeinsam über 80 Millionen Menschen allein in ausländischen Tochtergesellschaften. Dies entsprach etwa 4 % der gesamten weltweiten Beschäftigung (UNCTAD 2010). Vergleicht man ihre Wertschöpfung mit großen Volkswirtschaften, so entsteht ein Eindruck von der enormen ökonomischen Bedeutung transnational operierender Unternehmen. Im Jahr 2000 rangierte Exxon Mobilcom als das Unternehmen mit der weltweit größten Wertschöpfung auf Platz 45 der 100 größten Ökonomien (wenn man die größten Unternehmen und Volkswirtschaften zusammen betrachtet). Die Wirtschaftskraft des Konzerns übertraf damit die Produktionstätigkeit ganzer Staaten wie zum Beispiel von Pakistan, Neuseeland oder Tschechien (→ Abb. 4.11). Insgesamt waren demnach 29 der 100 größten Ökonomien der Welt Unternehmen. Obwohl dieser Vergleich problematisch ist (da Volkswirtschaften nicht das Ziel der Gewinnmaximierung haben, jedoch soziale Kosten tragen müssen, die durch Unternehmen verursacht werden), wird dadurch illustriert, welche bedeutende Größe und damit Machtposition einzelne Unternehmen im Vergleich zu Nationalstaaten erlangt haben (→ Kap. 11.3).

Abb_04-11

      Abb. 4.11 Die 100 größten Ökonomien der Welt, gemessen nach der Wertschöpfung in Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 (nach UNCTAD 2002; Glückler 2006 a)

      In dem enormen Wachstum großer multinationaler Unternehmen drückt sich zugleich ein interessantes Paradoxon aus. Fischermann (2000) wertet dieses Wachstum als Indiz, dass Planungssysteme (Planwirtschaften) global operierender Konzerne inmitten weltweiter Marktwirtschaften zunehmend an Bedeutung gewinnen.

      Nicht nur die Größe, sondern auch die Zahl multinationaler bzw. transnationaler Unternehmen hat sich exponentiell entwickelt (→ Abb. 4.12). Sie wuchs von 7 000 im Jahr 1970 über 40 000 im Jahr 1995 (Karliner 1997) und 60 000 im Jahr 1998 (UNCTAD 1999) auf 86 000 Unternehmen im Jahr 2016 an (UNCTAD 2010; 2017). Große transnationale Unternehmen erzielen über die Hälfte ihrer Umsätze außerhalb ihres Stammlands in internationalen Märkten (Sklair 1999). Der Umsatz der ausländischen Tochtergesellschaften aller transnationalen Unternehmen repräsentiert mittlerweile 11 % des globalen Wirtschaftsprodukts. Zwar dominieren nach wie vor Unternehmen aus der Triade (d. h. den großen Märkten Nordamerikas, Westeuropas und Ostasiens) die internationale Organisation der Produktion, aber die Zahl der transnationalen Unternehmen in weniger entwickelten Staaten wächst stetig an. Transnationale Unternehmen aus Entwicklungs- und Schwellenländern erreichen sogar höhere Beschäftigungsanteile in ausländischen Tochtergesellschaften als diejenigen aus der Triade. Neu industrialisierte Staaten, wie z. B. die asiatischen Länder Hongkong (vor dem Anschluss an China), Singapur, Südkorea und Taiwan, haben sich als wettbewerbsstarke Nationen auf den Weltmärkten etabliert (Schamp 1996). Allein in China arbeiteten im Jahr 2009 etwa 20 % aller im Ausland beschäftigten Arbeitskräfte transnationaler Unternehmen (UNCTAD 2010). Zugleich sind die Zuwächse des Welthandels seit den 1970er-Jahren höher als die der Industrieproduktion, und multinationale Unternehmen treiben als global organisierte Akteure das Wachstum ausländischer Direktinvestitionen an (→ Abb. 4.13).

Abb_04-12

      Abb. 4.12 Entwicklung und Verteilung der Zahl transnationaler Unternehmen nach ihrem Hauptsitz in entwickelten oder sich entwickelnden Volkswirtschaften (nach UNCTAD 2010, S. 17)

Abb_04-13

      Abb. 4.13 Globalisierung durch Intensivierung des Außenhandels und der Kapitalverflechtungen (nach Stiftung Entwicklung und Frieden 2003, S. 156)

      Hyperglobalisten (Held et al. 1999, Kap. 1) meinen aufgrund dieser Beobachtungen, das Ende des Nationalstaats erkannt zu haben, der durch einen unbegrenzten globalen Markt und weltumspannende Produktions-, Unternehmens- und Finanznetzwerke mächtiger weltweit tätiger Unternehmen zusehends ausgehöhlt werde. Eine grenzenlose Welt (Ohmae 1990) eröffne den Rahmen einer globalen Zivilgesellschaft. Demgegenüber wehren Globalisierungsskeptiker die Globalisierung als Mythos ab und verweisen in historischen Vergleichen auf die begrenzte internationale Ausdehnung ökonomischer Beziehungen in den 1990er-Jahren im Vergleich zum Beginn des 20. Jahrhunderts.

Скачать книгу