Tatort Bodensee. Eva-Maria Bast
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»Ihr Kollege«, begann dieser mit ernster Miene, »ist an einer Sauerstoffvergiftung … nun ja – vielleicht nicht gestorben, aber zumindest hat er unter Wasser eine erlitten.«
Horst beugte sich mit einer heftigen Bewegung nach vorne. »Aber das ist unmöglich. So lange waren wir doch gar nicht im Wasser – und auch unsere Grundzeit war doch höchstens neun Minuten – allerhöchstens. Tiefenrausch vielleicht, aber Sauerstoffvergiftung: unmöglich!« Heftig schüttelte er den Kopf, so als ob er seine gerade getroffene Feststellung mit dieser Geste noch unterstreichen könne.
Der Professor hob indigniert eine Augenbraue. »Erklären Sie mir nicht meinen Beruf! Wenn ich sage Sauerstoffvergiftung, dann meine ich Sauerstoffvergiftung! Ihr Freund mag zwar nicht ursächlich daran gestorben sein, aber der Auslöser für die ganze Katastrophe, die sich vorgestern an der »Jura« abgespielt hat, war ganz eindeutig und ohne Zweifel eine Sauerstoffvergiftung in großer Tiefe!«
Horst schüttelte neuerlich den Kopf. »Ich begreif das trotzdem nicht! Wie soll denn das gehen?«
Der Professor schaute ihn durchdringend an. »Leider ganz einfach – obwohl selbst ich von solch einem Fall auch noch nie gehört habe: Irgendjemand hat an der Pressluftflasche ihres Kollegen herummanipuliert. Ganz konkret: Man hat bei ihrem Freund die Pressluft aus der Flasche abgelassen und dann reinen Sauerstoff, O2, hineingefüllt!«
Horst war sprachlos. »Aber das ist ja unglaublich! Wer soll denn das getan haben?!«, stammelte er.
Der Arzt zuckte die Schultern. »Weiß ich nicht, dafür sind ja wie gesagt Ihre Kollegen da. Ich weiß nur, dass das natürlich eine besonders niederträchtige Form ist, um jemanden in Lebensgefahr zu bringen. Dazu gehört schon eine gewaltige Menge an krimineller Energie! Und außerdem einige chemisch-physikalische Grundkenntnisse, gepaart mit einem gewissen medizinischen Sachverstand.«
»Erzählen Sie bitte«, forderte der Hauptkommissar aus Konstanz den Mediziner auf.
Der blickte verdrießlich ein weiteres Mal auf seine Taucheruhr und runzelte kritisch die Stirn. Dann hob er die Hände vor den Oberkörper und markierte mit ihnen eine Entfernung, die in etwa dem Außenmaß einer 15 Liter Pressluftflasche entsprach. »Also, meine Herren. Folgendermaßen: Wie wir als Taucher ja eigentlich alle wissen, ist reiner Sauerstoff beim Tauchen lebensgefährlich. Sauerstoff ist in unserer normalen Atemluft gerade mal mit einem Anteil von 21 Prozent vertreten. Und wir füllen in die Pressluftflaschen – wie schon der Name sagt – nichts anderes hinein als ganz normale Luft. Diese wird vom Kompressor angesaugt mit über 200-fachem Druck in die Flasche gepresst. Auf dem Druckmesser sehen Sie es ja dann an der Anzeige: 210 bar, 220 bar, 230 bar. Bis dahin alles verstanden?« Forschend sah er sich in dem Zimmer um. Alle Anwesenden nickten.
»Also gut. Dann geht es weiter! Wie gesagt: Sauerstoff als solcher ist zwar wichtig, aber ab einer bestimmten Konzentration eben auch toxisch, giftig also! Seit ungefähr hundert Jahren wissen wir, dass das so ist. Und die Toxizität des Sauerstoffs nimmt umso mehr zu, je höher der Druck ist, der auf die Sauerstoffmoleküle wirkt. Deshalb übrigens hat die Tauchsportmedizin schon vor langer Zeit die ominöse 30-Meter-Tiefenbegrenzung für normale Sport- und Hobbytaucher eingeführt. Wer längere Zeit unter dieser Marke taucht, setzt sich der deutlichen Gefahr einer Sauerstoffvergiftung aus!« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Natürlich kommen ab dieser Tiefe noch andere Risikofaktoren dazu, Stickstoffnarkose, Tiefenrausch also, und so weiter. Aber bleiben wir beim Sauerstoff! Der wird nachgewiesenermaßen ab einem Druck von 1,7 bar toxisch – im kalten Wasser geht’s sogar noch schneller, da rechnet man mit 1,4 bar. Und das bedeutet«, verständnisheischend schaute er die anderen an, »ersparen Sie mir bitte im Einzelnen das Umrechnungsmodell, das bedeutet, dass Sie mit reinem Sauerstoff in der Flasche auf eine Tiefe von gerade mal sieben Metern gehen dürften! Die 30 Meter für Taucher mit normaler Pressluft kommen eben deshalb zustande, weil dort der Sauerstoffanteil nur 21 Prozent beträgt. Und nun kommen wir zum Kern der Sache!« Es folgte eine winzige Pause, während der jeder Einzelne der Zuhörer von dem Professor mit einem bedeutungsvollen Blick bedacht wurde. »Also: in der Flasche des Verunglückten befand sich zu 100 Prozent reiner Sauerstoff. Das ging gut auf den ersten Metern, das kann gut gehen bei einem Aufenthalt von einigen Minuten in ein paar Metern, das kann auch noch weiter unten unfallfrei abgehen, aber was passiert, wenn sich der Taucher der Zeitbombe nicht bewusst ist, die er auf dem Rücken trägt, und das in diesem Fall tödliche Gas ahnungslos weiter einatmet?«
Horst schnappte unwillkürlich nach Luft. Konzentriert versuchte er, den komplizierten Ausführungen zu folgen.
Der Arzt fuhr ohne innezuhalten in seinem Vortrag fort. »Bei einer Tiefe von praktisch 40 Metern – und die hatten Sie ja erreicht«, Horst wurde von einem forschenden Blick gestreift und nickte unglücklich, »bei dieser Tiefe herrscht ein Sauerstoff-Partialdruck von 5 bar, zum Vergleich: die Sicherheitsmarge, die ich vorher erwähnt habe, liegt bei 1,4 bar. Das heißt, das Risiko einer Sauerstoff-Intoxikation, also einer Sauerstoffvergiftung, steigt nicht nur drastisch an, es ist – selbst bei einer Grundzeit von grade mal acht oder neun Minuten – praktisch gar nicht mehr zu vermeiden! Die Vergiftungssymptome äußern sich folgendermaßen: Das zentrale Nervensystem wird angegriffen, an den Synapsen, den Verbindungsstellen der Nervenzellen, ereignet sich eine Art Kurzschluss, und dies geschieht wie ein Flächenbrand über den ganzen Körper verstreut! Das beginnt im subjektiven Gefühl eines Tauchers mit einer merkwürdigen Verengung des Gesichtsfeldes, Schwindelgefühl und Übelkeit. Dann steigert es sich rapide über Muskelzuckungen zu heftigen Krampfanfällen und schließlich Bewusstlosigkeit.«
»Furchtbar!«, murmelte Protnik betroffen. Auch den anderen schien die gerade gehörte Schilderung an die Nieren zu gehen.
»Und daran ist er dann gestorben – unfassbar!« Horst kämpfte mit Tränen, die ihm in die Augen stiegen.
»Nein«, widersprach der Professor energisch. »Das würde ich so nicht sagen. Denken Sie an Ihre Schilderung von vorhin. Sie haben uns erzählt, dass ihr Partner das Mundstück aus dem Mund gespuckt hatte – wahrscheinlich ist ihm übel geworden und er hat sich übergeben müssen –, und dann sei er wie eine Rakete hochgeschossen. Er war also offensichtlich doch noch so weit bei Bewusstsein, dass er gemerkt hat: Da stimmt etwas nicht mit mir, ich muss so schnell wie möglich hoch an die Oberfläche. Deshalb hat er auch Luft – das heißt, in diesem Fall war’s ja Sauerstoff – ins Jacket geblasen. Doch mit ziemlicher Sicherheit hat die Muskelverkrampfung derart schnell und heftig zugenommen, dass er die Finger nicht mehr vom Inflatorschlauch wegbekommen hat. Das belegt ja auch die Tatsache, dass er es auch nicht mehr geschafft hat, das Mundstück nach der Übelkeit wieder in den Mund zu stecken. Für einen gesunden und erfahrenen Taucher ist das ja ansonsten überhaupt kein Problem! Also: Durch den Muskelkrampf ist nun in kürzester Zeit eine viel zu hohen Menge Luft ins Jacket geströmt, das wurde dadurch aufgeblasen wie ein Luftballon und Ihr Kollege – Sie haben es ja letztendlich erleben müssen – ist dadurch an die Oberfläche durchgeschossen wie eine Rakete. Was das heißt, das brauche ich Ihnen wohl nicht näher zu erklären, nur so viel: Der Herr Grundler war ohnmächtig, hat also mit Sicherheit beim Durchschießen an die Oberfläche nicht mehr bewusst ausgeatmet. Die Luft in seiner Lunge hat sich dadurch geradezu explosionsartig ausgedehnt und zu einem massiven Lungenriss geführt. Das hat die Obduktion im übrigen auch genau so bestätigt!«
Beim Stichwort Obduktion zuckte Horst schmerzlich zusammen. Doch der Vortrag war immer noch nicht fertig.
»So – und dann kommt im Fall des Durchschießens an die Oberfläche noch ein zweiter gravierender Fakt dazu: Der im Körpergewebe eingelagerte Stickstoff ist auf einen Schlag freigesetzt worden! Gut – Ihr