Tatort Ostsee. Harald Jacobsen

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Tatort Ostsee - Harald Jacobsen

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tot aus. Ohne große Lust nahm er den Fotoapparat und machte ein Bild. Und wenn es gar nicht stimmte? Wenn Ertrinken doch kein angenehmer Tod war? Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken. Gott, was für eine entsetzliche Vorstellung. Damit würde er nicht zurechtkommen. Er atmete tief durch. Wahrscheinlich war sie einfach nur das falsche Mädchen.

      Freitag

      Sophie Sturm stand mit den anderen Redakteuren und dem Chefredakteur der ›Stars & Style‹ im gläsernen Konferenzraum des Verlagshauses. Der Champagnerkorken knallte und die Gläser wurden vollgeschenkt.

      »Auf Sophie!«, rief jemand.

      Sophie nickte und hob ihr Glas. Ihre blonde Mähne war lässig zusammengebunden und ihre langen Beine steckten in einer Designerjeans. Über dem schlichten T-Shirt trug sie eine cremefarbene Chaneljacke. Sie wusste, dass sie gut aussah, doch sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Obwohl der Erfolg der neusten Ausgabe des Hochglanzmagazins allein auf ihr Konto ging, war sie nicht in Feierlaune. Natürlich war das Aufdecken von Geheimnissen der Stars und Sternchen das tägliche Brot einer Klatschredakteurin, doch dieses Mal hatte sie nicht professionell gearbeitet. Ihr Motiv war rein persönlich gewesen. Sophie blickte aus der riesigen Glasfront auf den Hamburger Hafen. Die Sonne glitzerte auf der Elbe und ein Containerfrachter machte sich, von Schleppern gezogen, auf in Richtung See.

      »Sophie? Alles klar? Du guckst ja aus der Wäsche, als hätte ich dich gerade gefeuert«, scherzte ihr Chefredakteur. Die Kollegen kicherten und genehmigten sich noch ein Schlückchen. »Dabei bist du doch heute unser Star!« Feierlich wandte er sich wieder allen zu. »Leute, ich hab die neusten Verkaufszahlen. Pole Position! Diesmal haben wir die anderen Blätter weit abgehängt.«

      Es wurde gejohlt und geklatscht. Sophie setzte ein Lächeln auf und schielte auf ihre Uhr. Eine Viertelstunde würde sie den Quatsch zwangsläufig noch mitmachen müssen, aber keine Minute länger.

      »Auf Sophie! Und auf Felix van Hagen und sein kleines Geheimnis!«, riefen die Kollegen.

      Das kleine Geheimnis war fünf Jahre alt und geheim war es seit heute nicht mehr, dafür hatte sie gesorgt. Der beliebte Showmaster hatte eine uneheliche Tochter. Nicht mal Boris Becker und die Wäschekammeraffäre hatten die Nation so empört. Van Hagen war seit zwölf Jahren mit einer hübschen Französin verheiratet und hatte zwei Kinder. Er präsentierte seine perfekte Familie gerne vor der Presse und gab sich als strenger Moralapostel, für den vor allem Treue und Familienglück zählten. Sophie fröstelte. Nun wusste jeder, wie verlogen er wirklich war. Die Enthüllungsstory war die Geschichte des Jahres. Auch wenn ihr Name nicht auftauchte, konnte Felix sich denken, dass sie für den Artikel verantwortlich war. Sophie nahm die Glückwünsche entgegen und versuchte gelassen zu wirken. Sie war froh, dass sie nicht allein war. Pelle wich nicht von ihrer Seite. Der braune Labrador verstand sie ohne Worte. Er gähnte mehrmals lang und ausgiebig, um ihr zu zeigen, dass er sich langweilte. Sophie zwinkerte ihm zu und gab ihm zu verstehen, dass sie nicht mehr lange bleiben würden. Plötzlich wurde wieder gejubelt. Die Boulevardnachrichten hatten die explosive Meldung natürlich zum Hauptthema gemacht. Felix’ Gesicht flimmerte über den Fernsehbildschirm. Sophie kannte es sehr gut. Sie hatte ihn geliebt. Aber wer liebte ihn nicht? Seine Shows waren Straßenfeger und er war der ungeschlagene Quotenkönig. Auch wenn er mit 58 nicht mehr der Jüngste war, gab es keine Altersstufe, die von seinem Charme und seinem Witz nicht verzaubert war. Bis jetzt. Sie hatte nur den Stein ins Wasser geworfen. Für die Wellen konnte sie nichts, versuchte sie sich zu beruhigen. Geld hatte Felix zwar mehr als er jemals ausgeben könnte, doch der Imageverlust würde ihm schwer zu schaffen machen. Sie hatte eine Lawine losgetreten. Er steckte in echten Schwierigkeiten und das hatte sie beabsichtigt. Trotzdem fühlte sie nicht den erhofften Triumph. Sophie stürzte den Rest Champagner hinunter. Es wurde Zeit, dass sie abhaute. Sie musste noch schnell heimfahren, sich umziehen und ihren Koffer holen. Sie musste mal weg von allem. Ihr Arzt hatte ihr eine Auszeit dringend ans Herz gelegt. Sophie entschuldigte sich bei der Schampus trinkenden Meute, die sofort aufheulte, dass sie doch noch nicht gehen könnte. Pelle sprang auf und folgte ihr. Sophie wusste, dass die Kollegen nur darauf gewartet hatten, dass sie verschwand. Jetzt konnten sie endlich laut aussprechen, was ihnen unter den Nägeln brannte. Warum hatte Sophie als Einzige davon gewusst? War an den Gerüchten doch was dran? Sophie und Felix? Hatte er sie abserviert? War sie es leid, nur die Geliebte zu sein? Sophie konnte spüren, wie sie ihr nachstarrten. Sie eilte zu ihrem Schreibtisch. Pelle sah sie fragend an. »Ich bin gleich so weit mein Dicker«, beruhigte sie ihn und sammelte ihre wichtigsten Unterlagen zusammen. Dann griff sie ihr Handy. Während sie tippte, kraulte sie dem Labrador den Nacken. »Gleich sind wir raus hier!« Am anderen Ende der Leitung wurde abgenommen. »Tina? Hallo! Nee, ich habe nur mit Pelle gesprochen. Wir sind noch in Hamburg, aber wir fahren jetzt los.« Während Sophie telefonierte, packte sie die letzten Sachen in ihre Tasche und lief los. Pelle tänzelte hinter ihr her. »Wir müssten so in zwei Stunden bei euch sein. Ich freu mich! Bis nachher!« Sie klappte ihr Handy zu.

      »Bis Montag!«, rief ihr ein Kollege zu.

      Sophie schüttelte den Kopf. »Nix da! Ich habe Urlaub!«

      »Saint-Tropez? Oder Shopping in New York?«

      »Viel exotischer.« Sie grinste. »Die kalte Ostsee! Fehmarn!«

      Während der Kollege über den vermeintlichen Witz lachte, verschwand Sophie mit Pelle im Fahrstuhl. Sie konnte es nicht erwarten, endlich auf der Ostseeinsel zu sein. Sie brauchte dringend eine Luftveränderung und Zeit, über ihr Leben nachzudenken. Sie hatte es tatsächlich getan! Es war ihr nur um Rache gegangen, nachdem sie wusste, dass es aussichtslos war, von einer gemeinsamen Zukunft zu träumen. Aber Felix van Hagen hatte sie zuerst verraten.

      Tina Sperber legte das Telefon zurück auf den Küchentresen. Sie war ziemlich überrascht gewesen, als Sophie sich vor ein paar Tagen spontan eingeladen hatte. Das letzte Mal hatten sie sich vor zwei Jahren gesehen und auch die Telefonate waren seltener geworden. Sie hatten nicht mehr viel gemeinsam. Mal wieder über alte Zeiten quatschen, hatte Sophie gesagt. Tja, die alten Zeiten, als sie noch Medizinstudentinnen waren und sich mit Modeljobs über Wasser hielten. Für ein paar Monate hatten sie sich sogar eine kleine Wohnung geteilt. Tina lächelte. Wie viele Nächte hatten sie auf dem winzigen Balkon Zigaretten geraucht und über ihre Zukunft spekuliert? Es kam ihr heute vor wie ein anderes Leben. Das Studium hatten sie beide nicht beendet. Sophie hatte damals abgebrochen, um professionell zu modeln und sie war Stefan über den Weg gelaufen. Eigentlich war sie mit dem Auto unterwegs gewesen und das mit Promille. Der nette Polizist hatte sie mit einem blauen Auge davonkommen lassen, nachdem er ihre Personalien aufgenommen hatte. Einen Tag später hatte er angerufen und sie zum Essen eingeladen. Als Stefan ihr einen Antrag gemacht hatte, hatte sie nicht eine Sekunde gezögert. Ihr Glück war perfekt, als sie nach einem Jahr schwanger wurde. Jetzt waren sie zu fünft. Stefan war mittlerweile Kriminalhauptkommissar in Lübeck. Dort hatten sie die ersten Jahre gelebt, bis zum plötzlichen Unfalltod ihrer Eltern vor drei Jahren. Tina hatte das Haus auf Fehmarn geerbt und sie hatten beschlossen, es zu einem neuen Heim für ihre eigene Familie zu machen. Sie wollten ihre Kinder an der Ostsee aufwachsen sehen. Es hatte fast zwei Jahre gedauert, bis der alte Kasten modernisiert und zu einem echten Schmuckstück geworden war. Stefan versuchte jeden Abend nach Hause zu kommen und blieb nur in Lübeck, wenn es gar nicht anders ging. Seit Finn auf der Welt war, verbrachte er jede freie Minute bei seiner Familie. Wie auf ein Stichwort begann Finn zu krähen. Tina ging nach oben ins Schlafzimmer, um ihr Baby zu stillen. Von ihrem Schaukelstuhl konnte sie auf das Meer sehen. Kleine Schaumkronen kräuselten sich im Sonnenlicht. Am Himmel waren nur wenige Wolken zu sehen. Der Juli feierte seinen Einstand mit traumhaftem Wetter. »Wir werden einen tollen Sommer haben, kleiner Schatz.« Ihr Blick fiel auf die neuste Ausgabe der ›Stars & Style‹, die auf dem antiken Beistelltischchen lag. Das Titelblatt zeigte den mit Baseballkappe getarnten Felix mit einem kleinen Mädchen. Im Magazin waren noch weitere Bilder. Natürlich war die Qualität der Paparazzifotos nicht die beste, doch was

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