Tatort Nordsee. Sandra Dünschede
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»Allerdings«, warf August ein, »so viele Stunden, wie du schon am Deich, im Heller und auf See zugebracht hast, so oft war dort keiner von uns. Ist dein Boot eigentlich wieder in Ordnung?«
»Ja, aber das tut jetzt nichts zur Sache!«, entgegnete Wiard forsch, denn er wollte nicht das Thema wechseln, merkte aber, dass August begann, sich zu langweilen. »Ich liebe den Deich und das Deichvorland. Und genau darum geht es. Ich habe gesehen, wie an allerhand Stellen ganz schön gepfuscht wurde. Du weißt, dass ein ordentlicher Deich aus unterschiedlichen Schichten aufgebaut wird, die jeweils bestimmten Anforderungen an Stabilität, Mächtigkeit, Zusammensetzung des Untergrundes und so weiter genügen müssen. Diesen Anforderungen, um es mal amtlich auszudrücken, ist nicht immer Rechnung getragen worden, und ich weiß auch, warum das so war.«
»Das hört sich aber nach einer ziemlich argen Beschuldigung an – da bin ich mal gespannt.« August nahm erneut zwei kräftige Schlucke Bier, und ihm wurde eben jetzt bewusst, dass er nicht nur eine Flasche Bier an diesem Abend trinken würde.
»Bleiben wir mal bei der Krümmung. Sie wird ja auch als Ostkrümmung bezeichnet, so haben wir sie bei der Arbeit auch immer genannt, mittlerweile steht das auch in den Plänen. So kommen irgendwelche Landschaftsobjekte zu ihrem Namen. Hier wurde die Arbeit auf einmal, mir nichts, dir nichts, für drei Tage unterbrochen, und das, obwohl wir ohnehin nicht im Zeitplan waren. Du erinnerst dich sicher an die Presseberichte, in denen schon gemutmaßt worden war, dass der Deich bis zum Herbst gar nicht fertig werden würde und dass der Polder gefährdet wäre, weil die viel zu schnell den alten Deich um die Hälfte abgetragen hätten, um das Material im neuen zu verbauen.«
»Ja, daran erinnere ich mich gut, mir kam das ungeheuerlich vor, schließlich bauten die ja keinen Wall um einen Kindergarten oder so. Die waren eine Zeit lang recht lahm, ich habe mich damals gewundert. Der Deich bedeutet den Leuten hier viel, aber das brauche ich dir nicht zu erzählen. Es hat ja zum Glück noch alles geklappt.«
»Von wegen geklappt!« Wiards Kopf wurde langsam rosafarben, das war immer so, wenn er sich erregte. »Vordergründig hat’s geklappt, oder sagen wir mal für die Öffentlichkeit. Zunächst haben die Medien ordentlich kritisiert, von wegen schlechtes Management und so, und dann haben sie sich schnell mal eben um 180 Grad gewendet – plötzlich lief alles bestens. Und mittlerweile habe ich das Ganze verstanden, hab’s kapiert. Ich dachte ja auch, dass es geklappt hat mit unserem Deich. Nach besagten drei Tagen, in denen wir mal hier, mal da gearbeitet hatten, aber ohne Kontinuität und immer unter dem Eindruck, dass die Bauleitung eigentlich gerade nicht wusste, was sie mit uns anfangen sollte … wir waren ein Trupp von so 15, 20 Leuten …, also nach den drei Tagen ging es plötzlich mit Riesendruck weiter. Sie versprachen uns gutes Geld für Überstunden, und – das habe ich damals überhaupt nicht recht begriffen, es war mir aber auch egal, ich brauchte das Geld dringend – sie ordneten an, dass jegliche Äußerungen über den Deichbau gegenüber Dritten, insbesondere der Presse, von nun an nur noch durch die Bauleitung vorgenommen werden dürfen und wir, bitte schön, eventuell auftauchende Presseleute oder wen auch immer ohne weitere Erläuterungen an die Bauleitung verweisen sollten. Die haben das mit unsachgemäßer Berichterstattung während der kurzzeitigen Einstellung der Arbeiten begründet, in der das Unternehmen schlecht weggekommen war. Aber das ist durch persönlichen Einsatz des Ministerpräsidenten noch mal aufgefangen worden, und dann ging’s eben weiter. War durchaus einleuchtend, das Ganze, und wer will schon seinen Job riskieren, indem er sich der Bauleitung widersetzt? Hinter der Arbeitslosigkeit steckt auch System, aber das tut jetzt nichts zur Sache. So, wie ging das nun weiter? Wir bekamen wohl 100 Schilder ›Betreten der Baustelle verboten, Eltern haften für ihre Kinder‹ an den Deichfuß gelegt mit der Anweisung, diese schnellstens in regelmäßigen Abständen aufzustellen.«
»Und?« August konnte sich keinen Reim machen. »Was ist daran seltsam? Dass nicht jeder über Dinge sprechen soll, von denen er keine Ahnung hat, ist doch normal, und Baustellen sind keine Spielplätze. Und die Gefahr ist doch groß, dass sich die Leute da selbst bedienen. Du weißt, dass ich mir auch ein paar Fuhren geholt habe, der Tipp stammte ja von dir, die Kinder haben’s gedankt – schöner heller Sand für den Sandkasten und als Unterbau für meine neu gepflasterte Fläche hinterm Schuppen.«
»Du kannst nicht sagen, ich hätte keine Ahnung vom Deichbau …« Wiard kam nicht weiter, denn August fiel ihm ins Wort.
»Du hast selbst gesagt, du bist kein Deichbauer, Wiard.«
»Hast ja recht, aber ein bisschen verstehe ich davon schon. Wie gesagt, ich erzähle dir das Ganze erst jetzt, da ich neue Beobachtungen am Deich gemacht habe – bislang habe ich mir bei alldem nichts gedacht und mir selbst auch immer gesagt: Bist nun mal kein Deichbauer, wird wohl alles seine Richtigkeit haben.«
»Nun werde doch endlich mal konkret, Wiard! Und mit deiner Wunde am Kopf und dem Fast-Verbluten bringe ich das schon gar nicht in Übereinstimmung. Ich mein, da hört der Spaß ja auch auf!« August wurde ungeduldig.
»Von wegen Spaß. Also mal ganz einfach und konkret: Die haben gepfuscht, die haben einige Stellen am Deich im Bereich der Ostkrümmung nicht mit den erforderlichen Schichten ausgestattet oder Material gespart, nicht das richtige verwendet und dabei auch noch ziemlich geschludert … eben unter extremem Zeitdruck gearbeitet. Je schneller, desto schlechter. Qualitätsmanagement war in dieser Phase des Deichbaus offenbar in keiner Weise angesagt. Vielleicht sogar untersagt worden, von bestimmten Damen und Herren.«
»Tolle Behauptung, und warum?«, wollte August wissen. Er sah Wiard etwas verächtlich an, merkte das und versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu ändern, wusste aber nicht, ob ihm das gelang.
»Als damals drei Tage lang die Arbeit plötzlich brachlag, stand das Betreiberkonsortium vor dem Aus – das, was in der Presse als Schwierigkeit bezeichnet wurde, die bald behoben sein würde, da sich lokale Vertreter, ja sogar die Landesregierung dafür starkmachten, war im Grunde genommen die Pleite des ganzen Konsortiums. Ich habe all die Zeitungsausschnitte noch hier. Du wirst dich auch erinnern, so lange ist das ja noch gar nicht her. Das hing wohl nicht nur mit dem Deichbau zusammen, sondern mit allerhand weiteren Projekten, in die das Konsortium eingebunden war. Aber den Deich in dieser kurzen Zeit in der erforderlichen Qualität zu bauen, damit hatten sich die Damen und Herren im Vorstand reichlich übernommen.«
»Also hör mal, Projekte dieser Größenordnung werden EU-weit ausgeschrieben, da wird vor- und rückwärts geprüft, da wird doch niemand ausgewählt, der …« Diesmal kam August nicht weiter.
»… der in Zeiten knapper oder leerer öffentlicher Kassen nicht ein finanzierbares Angebot macht. Sag ich doch. Und finanzierbar heißt: zu einem gerade noch erträglichen Preis in der von den Auftraggebern vorgeschriebenen Zeit. Das ist das eine. Was ich aber inzwischen auch herausgefunden habe, ist, dass der Vertrag wohl etwas ungenau definiert gewesen sein muss. Gleichzeitig kam eine Leitzinserhöhung der Weltbank ins Spiel, die den einen oder anderen Subkredit, der vielleicht für den Deichbau vorgesehen war, extrem verteuerte. Die Banken fackeln da nicht lange, und bei allerhand Millionen Euro machen 0,2 Prozent Zinserhöhung schon einen ganzen Batzen aus. Plötzlich fehlte Geld in der Kasse.