Tatort Nordsee. Sandra Dünschede

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Tatort Nordsee - Sandra Dünschede страница 11

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
Tatort Nordsee - Sandra Dünschede

Скачать книгу

kommt oder die Zeit wegläuft und dem Unternehmen sowieso schon das Wasser bis zum Hals steht, muss man eben nach Möglichkeiten suchen, wie das Projekt doch zu Ende geführt werden kann. Zunächst wollte die Landesregierung, die natürlich den Löwenanteil der Deichbaukosten trägt, das nun plötzlich fehlende Geld den Privatunternehmen im Konsortium aufbürden. Begründung: Immerhin wären die nicht mit der vereinbarten Summe ausgekommen, und dafür trügen sie die Verantwortung. So leicht war das aufgrund der teilweise rechtlich zweideutigen Vertragsabsprachen aber wohl nicht. Jedenfalls haben sich daraufhin einige Firmen erst einmal vornehmst aus den Arbeiten am Deich zurückgezogen, nach dem Motto: Erst die Kohle, dann die Leistung. Na, mithilfe der Landesregierung ist schließlich ein neuer Kredit vereinbart worden, damit das Projekt zu Ende geführt werden konnte. Jetzt galt plötzlich doch: Der Deich muss stehen, koste es, was es wolle. Es musste schnell gehen, das Ganze von der Aufsichtsbehörde auch noch abgenommen werden. Die Firmen, das Baukonsortium insgesamt, und, noch wichtiger, alle Befürworter, insbesondere die Politiker, sollten am Ende gut dastehen. Und das Ende war für die letzten ein bis zwei Wochen vor der Landtagswahl terminiert – um den Deichbau noch etwas ausschlachten zu können für die Wahl. Nach dem Motto: ›Wir tun was für die Leute und die Region‹ und so.«

      Wiard trank gleich mehrere Schlucke Bier. August starrte ihn mit großen Augen verwundert an und dachte in diesem Moment nur: »Mann, kann der reden …«

      »An der Ostkrümmung habe ich selbst mitgearbeitet, und dabei habe ich Folgendes erlebt: Der ›Rohbau‹ des Deiches war fertig, viel Sand war eingespült, als es zu der Unterbrechung kam. Nur ein paar Tage, aber eben Stillstand für diese Zeit. Dann ging es ebenso plötzlich wieder weiter, und unser Bauleiter teilte uns alle Neuerungen mit und dass wir nun unter extremem Zeitdruck stünden, da der Zeitplan unbedingt einzuhalten sei. Die Arbeiten müssten also so schnell wie nur möglich durchgeführt werden. Außerdem sei beschlossen worden, dass bezüglich der notwendigen Kleischicht und der Besodung sowie bei der Steinsicherung am Deichfuß Änderungen notwendig sind. Das bräuchte uns aber nicht weiter interessieren. Mir war das auch ziemlich egal, ich würde ja eh nur wieder Steine schleppen, Soden legen, Karren schieben, hier graben, da auffüllen. Aber mir fiel auf, dass diejenigen, die die Arbeit beaufsichtigen sollten, ein wenig betreten dreinschauten. Die fühlten sich nicht so richtig wohl in ihrer Haut – das merkt man den meisten Menschen an, ob sie wollen oder nicht. Und aus heutiger Sicht ist mir klar, warum die wegguckten – im wahrsten Sinne des Wortes. An dieser Stelle, und das ist vielleicht nicht die einzige, wurde der Deich nicht so fertiggestellt, wie es bei ordentlicher Berücksichtigung der Richtlinien und Normen und guter ingenieurtechnischer Praxis hätte sein müssen.«

      »Wiard, ich weiß nicht«, unterbrach August. »Wenn ich an all die Maschinen denke, die vielen Leute, die Berichte und die Bedeutung des ganzen neuen Deiches, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass gepfuscht wurde, da steht doch viel zu viel auf dem Spiel!«

      »Siehst du, genau das habe ich bis gestern auch gedacht, aber nun bin ich anderer Meinung. Ich erinnere mich noch an das Gespräch zwischen zwei Abschnittsleitern, das ich zufällig mitbekommen habe. Der eine sagte – es war mitten im Gespräch, als ich hereinkam –: ›Aber das kann man nicht machen, auch wenn’s hier nicht so wichtig ist wie an exponierteren Stellen, das weicht doch alles auf, wenn da das Wasser drauf steht. Der Sand muss absacken, sich setzen. Und dann der Klei …‹

      Und der andere erwiderte so in etwa: ›Sicher, aber die Anordnung kam von oben, das Material ist schlicht im Moment nicht da, und der Zeitplan hat höchste Priorität, also fertig machen, basta!‹ Dann wieder der erste: ›Mir geht das gegen den Strich, aber gehörig!‹, woraufhin sein Gegenüber gestand: ›Mir auch, aber ich kann’s mir im Moment nicht leisten, aufzumucken. Kündigen geht nicht, dann sitze ich finanziell bis zum Hals in der Scheiße, außerdem ist zur Zeit einfach nichts mit Jobs – brauche ich dir ja nicht zu erzählen. Bau­ingenieure werden zurzeit nicht gerade zu Tausenden gesucht. Wir haben vor zwei Jahren ein Haus gekauft – die Kredite sind zwar zinsmäßig nicht schlecht, aber bezahlt werden müssen sie doch. Ich mach das hier zu Ende, auf jeden Fall. Dann ist meine Firma raus aus dem Konsortium und tritt hoffentlich nie wieder ein. Aber das wird eh nach dem Deichbau aufgelöst. Dann kann wieder jeder machen, was er will. Wenn dieses Scheißprojekt bloß schon zu Ende wäre …‹

      Ich stellte den beiden den Tee hin und goss noch für zwei weitere Bauleiter ein. Sie sahen mich kurz erschrocken an, dann wollte der eine wissen: ›Und Sie? Schon lange bei der Firma?‹

      ›Nee, erst seit gut zwei Monaten.‹

      ›Aha, wie so viele hier.‹

      Damit war das Gespräch beendet. Und nun frage ich dich, August: Ist doch alles etwas komisch, oder?«

      »Wenn das wirklich so war, sicher, ist das seltsam, ja, aber vielleicht haben sie über was ganz anderes gesprochen?«

      »Nee, denn ich habe die Tage ja selbst gesehen, wie das gemacht wurde. Kennst du den Spruch ›Ein bisschen Blech ein bisschen Lack …‹?«

      »›… fertig ist der Hanomag.‹«

      »Genau so. Und das war das Prinzip, das an der Ostkrümmung angewandt worden ist. Wobei das Blech die viel zu magere Kleischicht und der Lack die miserable Grasnarbe darüber sind, vom Steindeckwerk am Deichfuß mal ganz abgesehen, und vom Untergrund – alles Matsche, sag ich dir. Der Sand hat sich gar nicht setzen können, einfach reingespült, und fertig. Ist viel zu schnell gegangen. Und die Rasenansaat von absolut minderwertiger Qualität.«

      »Und woher weißt du das alles, als einfacher Handlanger, entschuldige, aber das warst du doch.«

      »Was heißt entschuldige? Ohne Handlanger läuft gar nichts auf solchen Baustellen! So gesehen kann man recht stolz auf den Handlangerjob sein. Aber, davon ab, ich habe es doch selbst gesehen. Ich war daraufhin in der FH-Bibliothek in Emden. Ich dachte, wo man Seefahrt studieren kann, muss es auch Informationen zum Bau eines Deiches geben. War aber ziemlich mau, muss wohl auch am Sparkurs der Regierung liegen oder daran, dass ich am falschen Standort war. Ich war in der Stadtbücherei, habe im Internet gesurft, habe alles über Deichbau zusammengesucht, was ich finden konnte: Presseberichte, Funk- und Fernseharchive, was weiß ich. Habe mit vielen Leuten gesprochen. Selbst in Norden im Heimatmuseum war ich, übrigens zum ersten Mal, ist wirklich gut gemacht, da kann man allerhand lernen, auch über den Deichbau. Und eines habe ich gelernt: Die Ostkrümmung des neuen Deiches ist nicht ordentlich zu Ende gebracht worden, wenn sie aus Holz wäre, würde ich sagen: Da sitzt schon der Wurm drin, und zwar ganz gewaltig. Ich kann dir einen ganzen Aktenordner geben, anhand dessen sich meine Theorie gut nachvollziehen lässt.«

      »Ich kann’s mir nicht vorstellen, Wiard, ich glaube, ein bisschen siehst du doch Gespenster …«

      »Wär’ mir lieber, wenn’s so wäre. Noch ein Bier?«

      »Ja.«

      »Klare Frage, klare Antwort. So. Und vorgestern, ungefähr bei Hochwasser, bin ich zum neuen Deich. Wie gesagt, der erste Herbststurm, Wasserstand anderthalb Meter über normal, das reicht. Erster, kleiner Test für den neuen Deich, nichts Ernstes. Darum bin ich umso betroffener darüber, was ich gesehen habe. Die haben sich die Stellen, die sie nicht so bauen, wie es sich gehört, geschickt ausgesucht. Die Ostkrümmung ist gesperrt für jeglichen Fußgängerverkehr, Beweidung wegen der Nationalparkauflagen auch untersagt – da kommt also so schnell keiner hin. Nun kennst du mich, August, ich gehe immer gerne dorthin, wo sonst keiner hingeht oder hingehen darf. Ich war also an der Ostkrümmung und habe mir den Nordwestwind ordentlich um die Nase wehen lassen. War unheimlich schön, die herannahenden Wolken, dazwischen der Himmel, die aufgewühlte See, der Wind. Am Horizont funkelten die Lichter von Juist. Früher sah man den Leuchtturm von Memmert, aber den gibt es ja schon lange nicht mehr. Aber Borkum blinkt nach wie vor, auch im Zeitalter von GPS. Laaang, kurz, dann eine Weile nichts, laaang,

Скачать книгу