Tatort Nordsee. Sandra Dünschede
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Tatort Nordsee - Sandra Dünschede страница 31
»War«, unterbrach Henrike ihren Mann.
»Oh, neulich war er wieder reichlich duhn, beim Feuerwehrfest.«
»Und wie war das mit dir?«
»Nun lass mich doch mal ausreden. O. k., ganz nüchtern war ich nicht … jedenfalls traue ich Lübbert voll und ganz. Wenn ich mit ihm in seiner Jolle in die Bucht rausgefahren bin, hat er immer recht gehabt – die Bucht, den Deich und den Polder kennt er. Und er spürt, wenn da was nicht stimmt.« August hielt viel von diesen ganz natürlichen Fähigkeiten Lübbert Siekens. Es konnte auch kein Zufall sein, wenn mehrere Leute, unabhängig voneinander, auf einmal Vermutungen anstellten, die vorher keine Rolle gespielt hatten. Die Unsicherheit bei Georg Redenius, Wiards Recherchen und Lübberts Beobachtungen. Es gab allerhand Puzzlestücke. Aber es fehlten nach wie vor Hinweise auf die Person, die Wiards Scheibe eingeschlagen und den Stein geworfen hatte. Es gab nicht die vagsten. August beschloss, mit Lübbert noch einmal zur Ostkrümmung zu gehen, selbst wenn er dabei über den Zaun, dessen Bau er nun überhaupt nicht nachvollziehen konnte (»Die sind doch nicht mehr ganz dicht, das kannst du doch alles in die Wurst hauen!«), klettern musste. Wer konnte nicht über all das Nutzlose, was in dieser Welt geschah, ab und an schon mal verzweifeln.
Unmittelbar nach Henrikes Erzählungen war er mit einem Fernglas auf seinen Acker gelaufen und hatte in Richtung der Ostkrümmung die Zaunbauarbeiten beobachtet.
»Das ist doch nicht zu glauben«, hatte er laut gedacht, und: »Wo leben wir hier eigentlich?« Er war überzeugt, dass der Zaun weniger mit Naturschutz als mit der Vertuschung von Baumängeln zu tun hatte. Als er wieder im Haus war, sagte er mehr zu sich selbst als zu Henrike: »Wie weit dieser dusselige Zaun wohl vom Deichfuß weg steht … ich rufe gleich mal Lübbert an, ich muss da mit ihm hin!«
Es hatte ihn endgültig gepackt. Schließlich hing die Sicherheit und Zukunft seines Hofes, ja des ganzen Polders, von diesem Deich ab. Außerdem wurde die permanente Bedrohung mehr und mehr unerträglich. Dass ihn jemand durch subtile Anschläge hindern wollte, das auszusprechen, was doch ausgesprochen werden musste, wollte er sich nicht mehr gefallen lassen. Man musste etwas gegen diese Art der Volksverdummung und gegen diesen Dunkelmann unternehmen, der im Polder sein undurchsichtiges Unwesen trieb. Schließlich war der Deich mit Steuergeldern gebaut, also hatte man doch ein Recht zu erfahren, wie es um ihn stand. Und auf ihm gehen dürfen wollte er auch.
»Vergiss es.«
»Was?«
»Das Anrufen – Lübbert haben sie das Telefon abgestellt, er hat die Rechnungen nicht bezahlt. Er sagt, das sei egal, ihn würde eh niemand anrufen.«
»Dann fahre ich eben heute Abend hin, vielleicht hat er ja Zeit.«
»Das denke ich schon, zumal, wenn du vorbeikommst. Weißt du, er hält viel von dir, sagt immer, dass du nicht so bist wie viele andere, die jemanden gleich verurteilen oder abstempeln. Bei vielen spürt er sofort, dass sie nur denken: ›de Suupnös‹ …«
»Na ja, er ist im Grunde ein feiner Kerl, hat natürlich auch seine negativen Seiten, aber wer hat die nicht«, murmelte August mehr, als dass er deutlich sprach.
In diesem Moment klingelte es an der Tür. Es war Wiard. »Moin August, hast du zufällig Tee klar?«
»Nee, aber warte mal«, August wandte sich um und rief: »Henrike?«
»Bitte?«
»Kannst du eben Tee machen? Wiard ist da.«
»Leider Pech gehabt. Ich will nämlich rüber zu Marlene, wir haben uns verabredet, weil wir den nächsten Klönabend bei Joke besprechen wollen. Tee müsst ihr euch schon selbst machen, aber das schafft ihr wohl, ich bin ganz zuversichtlich«.
August bemerkte den Spott in der Stimme seiner Frau, sah Wiard etwas verwirrt an und wusste gleich, dass es hier keinen Verhandlungsspielraum gab: »Dann will ich mal Wasser kochen.«
»Mach das mal. Ich bin übrigens ganz Henrikes Meinung: Du schaffst das mit dem Tee.« Bevor August reagieren konnte, fuhr Wiard fort: »Ich komme mit Neuigkeiten vom Deich. Interessante Entwicklung. Wenn man erst mal anfängt zu wühlen, findet man gleich eine Menge Maulwürfe.«
»Habe ich mir schon fast gedacht. Ich weiß auch Neues zu berichten, dank Henrike.« August ging in die Küche, nahm den Kessel, füllte Wasser ein und stellte ihn auf den Herd.
»Dank Henrike?« Wiard machte es sich am Küchentisch bequem. August berichtete von Henrikes Gespräch mit Lübbert Sieken. Als er geendet hatte, meinte Wiard:
»Ich denke das Gleiche wie du. Lübbert hat sicher nicht immer alles richtig gemacht. Ich aber auch nicht, das macht ihn ja so sympathisch …«, Wiard lächelte, »und wenn’s um den Polder, den Deich und das Wattenmeer geht, weiß er wie kein anderer Bescheid. Außerdem bestätigt er genau meine Beobachtungen, da stimme ich also umso lieber zu. August, sag selbst – das hat er nicht von mir, das sagt er von sich aus, also muss was dran sein!« Erwartungsvoll sah Wiard seinen Freund an, jedenfalls hatte er den Eindruck, dass sie gerade Freunde wurden.
»O. k., wir wissen nun, dass da was nicht stimmt. Allerdings wundere ich mich nach wie vor, dass so eine Sauerei überhaupt möglich ist. Ich meine, stell dir doch mal vor, was das für Folgen haben kann! In unserer aufgeklärten Welt, in der Presse, Funk, Fernsehen und Internet sekündlich alles Neue berichten, das irgendwo auf der Welt passiert? Da soll hier ein butterweicher Deich gebaut worden sein, und keiner hat’s gemerkt?« August blickte, während er redete, aus dem Fenster. Er hatte keinen so schönen Blick in den Polder wie Wiard, er sah ein Stück akkurat gemähten Rasen und die Wand seines neuen Laufstalls.
»Eben nicht«, erwiderte Wiard, »keiner hat’s gemerkt stimmt nicht. Siehst du ja selbst: Ich hab’s gemerkt, Lübbert Sieken hat’s gemerkt, und noch ganz andere haben’s gemerkt, die Offiziellen nämlich auch, denken wir mal an Georg Redenius.«
»Genannt Schorsch«, sagte August nur, füllte Teeblätter in den Treckpott und goss ein wenig des sprudelnden Wassers darüber. Erst musste der Tee ziehen, bevor er mit so viel Wasser übergossen werden konnte, dass es für die Anwesenden für mindestens drei Tassen reichte.
»Ja, aber wenn was passiert, will’s niemand gewusst haben«, fuhr August fort.
»Das haben wir in den vergangenen 2.000 Jahren Menschheitsgeschichte schon öfter erfahren – das mit dem Sehen und offenen Auges Weggucken. Viele wissen was. Aber wenn es gerade mal nicht opportun ist, wird geschwiegen. Und obwohl alle Bescheid wussten, behaupten dieselben später, dass sie nichts gewusst hätten. Und keiner kann es so recht nachweisen – schließlich haben alle vorher geschwiegen. Es hat so viele Epochen gegeben, wo es immer wieder so gelaufen ist. Wenn massiver Druck dahintersteht, machen Regierende mit ihrem Volk, was sie wollen. Stell dir vor, dir untersagt einer, ein Thema anzusprechen, weil es unrecht ist. Unrecht aber nur im Sinne desjenigen, der das Recht auf seiner Seite hat, also des Staates. Wenn der die Macht hat, dir, sagen wir, eines deiner Kinder wegzunehmen, und damit droht, na, dann ist es doch ein Leichtes, dich zum Schweigen zu bringen. Glaubst du, da wärst du mutig aufgestanden und hättest dagegengeredet? Nein, sage ich, denn es ging ja um deine Kinder, nicht um dich. Das war und ist das Üble an der Sache. Ist auch nicht so, dass es so etwas nicht mehr gäbe. Diese Regime spielen die Leute untereinander aus, geopfert wird ein Nahestehender, nicht du selbst. Jedenfalls ist das ein Mittel, dafür zu sorgen, dass die Leute die Klappe halten. Oder … ach, was weiß ich … Mag sein, das sind die Extreme, im Kleinen geschieht aber häufig dasselbe, tagein, tagaus«, Wiard lief rosa an und geriet beinahe in Rage.