Tatort Nordsee. Sandra Dünschede

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Tatort Nordsee - Sandra Dünschede

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ist unser Deich, der neue, gespickt mit Schadstellen. Handskizze auf amtlicher Karte, aber, in gewissem Sinne, amtliche Handskizze, wenn auch inoffiziell und natürlich streng geheim. August, die Sache ist heißer, als wir gedacht haben.«

      August wusste nichts zu entgegnen. Wieder gingen allerhand Gedanken durch seinen Kopf: Wenn das stimmt, dann …

      Als hätte Wiard seine Gedanken gelesen, fuhr er fort: »… dir erzähle ich nun wirklich keine Märchen, August. Das, was wir hier mit dem GIS sehen, müssen wir irgendwie publik machen. Freund Computer – wie du ihn immer nennst – hilft uns doch, die Sachverhalte zu verdeutlichen. Auf diesem Weg müssen wir weitermachen. Und dann, seriös und mit ordentlicher Unterstützung der Medien die Missstände anprangern. Nur so etwas ist überzeugend in unserer heutigen Welt. Ich kann’s auch anders ausdrücken: Wenn wir das nicht tun, stell dir mal vor, im Winter oder Frühjahr gibt’s ein, zwei oder auch drei richtig heftige Stürme, aus Nordwest, Stärke zehn bis zwölf. Weißt du, was dann ist? Dann bricht uns der Puddingdeich einfach so weg, dann ist Land unter, und wir kriegen hier verdammt nasse Füße.« Wiard lehnte sich zurück, starrte auf den Bildschirm und machte den Eindruck, als wolle er sagen: ›Puuh, nun ist es raus.‹ August war erschüttert, jedenfalls für kurze Zeit. Er hatte Wiards aufrichtige Erregung bemerkt.

      Puddingdeich, wiederholte er in Gedanken. »Welche Beweise? Woher? Das muss ein Offizieller bestätigen. Und wenn nicht ein Schorsch Redenius von der Aufsichtsbehörde, wer dann?«

      August war ratlos.

      »Gute Frage, nächste Frage«, sagte Wiard. »Da habe ich noch keine zündende Idee. Und nach dem, was du von Georg Redenius erzählt hast, wird der keine große Hilfe sein. Er will wahrscheinlich vor allem Ruhe haben, will auf seine alten Tage noch Chef werden, und da muss er alles, was auch nur den geringsten negativen Anstrich haben könnte, aus seinem Haus raushalten. Er wäre ansonsten natürlich ideal, um die Missstände anzuprangern, in seiner Position … Trotzdem, wir wissen jetzt, dass da was im Busch ist, was uns alle unsere Existenz kosten kann. August, wenn mein kleines Häuschen hier weggespült wird, mit dem alten Kram, finde ich schon was Neues. Ich paddele einfach mit meinem alten Faltboot davon, falls die Mäuse es nicht längst zerfressen haben, es liegt schon seit zwei Jahren unbenutzt auf dem Dachboden«, er lachte, doch dann wurde er ernst. »Aber bei dir, da hängt ein ganzer Hof dran, mit sauteuren Maschinen, einem Haus, deine komplette Existenz mit Familie. Wenn das weg ist – na dann, prost Mahlzeit, dann kannst du dir auch nur noch ’nen Strick nehmen. Oder betteln, dass dich einer mit einem gezielten Steinwurf vom Stuhl haut und du einfach liegen bleibst.«

      »Nun mal nicht gleich den Teufel an die Wand«, wehrte August erneut ab, »das ist ja das schlimmste Szenario, das man sich vorstellen kann. Seit 1962 haben wir doch dazugelernt, oder?«

      »Ich weiß nicht. Der Mensch ist so bestellt, dass immer etwas passieren muss, bevor gehandelt wird.«

      »Da ist was dran.«

      »’62 ist menschlich betrachtet eine halbe Ewigkeit her. Seitdem glauben alle, die Deiche seien sicher. Zeit, dass mal wieder was passiert, was genau das widerlegt … Könnte sein, oder? Es sei denn, es gibt einige, die vor möglichen Folgen falschen Handelns warnen.«

      »Mann, Wiard, du hättest Politiker werden sollen!«, meinte August, der Wiard zuletzt doch recht überzeugend gefunden hatte.

      »Bloß das nicht. Dann würde mir ja niemand mehr glauben«, witzelte Wiard und beendete per Mausklick den ›GIS-Viewer‹, »oder glaubst du denen noch irgendetwas?«

      »Im Moment weiß ich nicht, was ich glauben soll. Und ich muss los. Was nun weiter?«

      »Bleib an Schorsch Redenius dran. Ich höre mich auch weiter um. Ich will nicht übertreiben, August, aber wenn was passiert und man erfährt, dass wir davon wussten, aber nichts getan haben, dann können wir nur noch nach Mauritius auswandern.«

      »Da ist doch auch bald Land unter, dank dem Treibhauseffekt und dem Anstieg des Meeresspiegels«, antwortete August und fragte sich, warum er ›auch‹ gesagt hatte.

      »Dann ziehen wir eben irgendwo in den Kaukasus«, bemerkte Wiard, und fuhr fort: »Hätte nicht gedacht, dass du dich für den Treibhauseffekt interessierst als friesischer Bauer.«

      »Da kannste mal sehen. Und der friesische Bauer macht demnächst deinem Puddingdeich zu schaffen. Ich habe die Nase voll! Sollten wir nicht gleich zur Polizei gehen?«

      »Unserem Puddingdeich, August, unserem.« Wiard gab ihm die Hand. »Lass uns noch ein, zwei Tage warten, dann gehen wir zur Polizei. Ich möchte meine Unterlagen noch so ordnen, dass sie auch jedem Dorfpolizisten klar und deutlich zeigen, was Sache ist.«

      Die Hand zur Verabschiedung reichte Wiard selten. August ergriff sie, und für einen Moment dachte er an so etwas wie eine verschworene Gemeinschaft; verwarf den Gedanken aber sehr schnell wieder. Von so etwas hielt er eigentlich nicht viel. August warf den Trecker an und fuhr nachdenklich nach Hause. Fast zwei Stunden war er bei Wiard gewesen. Der kaputte Zaun würde wohl noch warten müssen. Das Vieh stand ohnehin im Stall, schließlich war es Herbst. Und im Herbst kamen die Stürme.

      Als Henrike an diesem Nachmittag aus Norden kommend nach Hause fuhr, wunderte sie sich über Aktivitäten am neuen Deich. Die Straße beschrieb hier eine lang gezogene Kurve und umrundete so die Ostkrümmung. Der alte Deich hatte wesentlich näher an der Straße gestanden, von ihm war aber so gut wie nichts mehr zu sehen. Das alte Material war teilweise direkt im neuen Deich verbaut und dieser 200 Meter Richtung Wattenmeer hinaus angelegt worden, ein kleines Stück Neulandgewinnung, obwohl das längst nicht mehr das vorrangige Ziel war. Bislang hatte der neue Deich frei gestanden, zwar wiesen vereinzelt Schilder darauf hin, dass ein Betretungsverbot bestand, da das Bauwerk durch die Verlegung in die Ruhezone des Nationalparks fiel, aber das war es auch gewesen. Als Henrike an diesem Tag vorbeikam, waren – wieder einmal – rege Bautätigkeiten im Gange. Es wurde aber nicht am Deich gebaut, sondern davor. Einige Pkws standen herum, zwei Lieferwagen und ein kleiner Bagger waren zugegen, und schnell hatte Henrike erkannt, was dort errichtet wurde. Sie war ziemlich erstaunt. Ein Zaun, an der Binnenseite des Deiches, und zwar ein recht hoher. Sie schätzte ihn auf etwa zwei Meter, obwohl sie gestehen musste, dass sie verdammt schlecht im Schätzen war.

      Zufällig hatte sie Lübbert Sieken getroffen, der nicht weit von hier in einem kleinen Haus lebte, mit einem Hund, einer Katze und zwei Schafen. Siekens Frau war vor drei Jahren an Krebs gestorben, dieser »gottverdammten und völlig nutzlosen Seuche«, wie Sieken seitdem nicht ohne Verbitterung sagte. Er war, nach einer Phase, in der alle überzeugt gewesen waren, dass er nun endgültig dem Alkohol verfallen würde, vor dessen krankhaften Folgen ihn bis dahin wahrscheinlich nur seine Frau weitgehend abhalten konnte, vor anderthalb Jahren von einem Tag auf den anderen aus seiner Lethargie erwacht und hatte sich daran gemacht, aus seinem Haus und dem Grundstück ein kleines Schmuckstück zu zaubern. Das war sein neues Lebensziel geworden. Er hatte alles selbst gemacht, Fenster und Türen dunkelgrün gestrichen, was gut zu den roten Ziegeln passte (zumindest fand Lübbert das), den Garten auf Vordermann gebracht, Obstbäume beschnitten und den Zaun erneuert, an dem im Frühling Wicken rankten, die im Sommer herrlich dufteten. Manchmal wurde er ganz melancholisch und seufzte: »Wenn Erna nun von oben guckt, wird ihr das gefallen.«

      Nicht dass er dem Alkohol abgeschworen hätte, aber er hielt den Konsum so weit in Grenzen, dass er den Tag über arbeiten konnte, klar, mit Pausen natürlich, aber schließlich war er Rentner. Mittlerweile ging er wieder mit offenen Augen durch seine Umwelt, zwischenzeitlich hatte ihn rein gar nichts mehr interessiert. Sein Verstand war immer noch scharf. Die 35 Jahre als Gemeindearbeiter im nächsten Sielort hatte er hinter sich, war etwas früher in Rente gegangen, und die »reichte allemal, selbst wenn

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