Ich hatte einen Schießbefehl. Paul Küch
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Innerlich triumphierend begann der Direktor, die Strafe gemäß Schulordnung vom 29. November 1979 zu verlesen. Danach verbot mir der Unbekannte unter Androhung ernsthafter Konsequenzen, den wahren Tatbestand offen kundzutun. Mit meinem Verhalten hätte ich genug Schaden für Eltern, Schule und Staat angerichtet. Meine Verfehlung war keineswegs die Nichtteilnahme allein, sondern auch die Begründung. Angeblich hätte ich meinen Platz in der sozialistischen Gesellschaft noch nicht gefunden. Nach der Moralpredigt geleiteten mich Direktor und Parteisekretär zum Klassenraum. Meine Mitschüler, die nichts Konkretes wussten, schauten mich fragend an, während ich offiziell getadelt wurde. Mit diesem Strafmaß bin ich glimpflich davongekommen, man hätte mich auch von der Schule verweisen können. Beim harten Kern der Klasse erntete ich Anerkennung für mein wiederholtes Anecken. Die Streber wandten sich demonstrativ von mir ab, wollten die eigene Karriere nicht gefährden. Ich habe zu wenig über die Konsequenzen meines Verhaltens nachgedacht, hatte leichtfertig Abitur und Studium aufs Spiel gesetzt. Insofern waren die drei Tadel die berühmten Schüsse vor den Bug, die mich zum Zurückrudern zwangen. Man handelte ständig in Angst vor negativen Folgen für sich selbst und andere. Diese Furcht war so tief in unserer Gesellschaft verwurzelt, dass man sich dessen oft nicht mehr bewusst war.
Im wehrpflichtigen Alter
Der Druck auf uns Jugendliche, sich für einen längeren Armeedienst zu verpflichten, nahm ab der neunten Schulklasse immer mehr zu. Wir wurden ständig agitiert, eine Offizierslaufbahn einzuschlagen oder wenigstens drei Jahre als Unteroffizier zu dienen. Einige Lehrer verbogen sich regelrecht, um Nachwuchs für die NVA zu gewinnen. Konnte ich mich bis zur zehnten Klasse erfolgreich vor Arbeitsgemeinschaften wie Flugmodellbau, Kraftsport und Schießen drücken, gab es in der Abiturstufe keine Ausreden mehr, eine Mitgliedschaft in der Gesellschaft für Sport und Technik (GST), die das Sprungbrett zur Armee bildete, zu verweigern.
Im elften Schuljahr absolvierten wir Jungen einen militärischen Lehrgang auf der Insel Rügen. Während der Zugfahrt ins Wehrlager fielen unsere graugrünen Uniformen und schwarzen Schnürschuhe auf, weil sie sich krass von der knappen Mode der Urlauber unterschieden. So standen wir beim Umsteigen auf den Bahnhöfen in Stralsund und Sagard isoliert da.
Die Ausbildung mit Holzgewehren in den Wäldern zwischen Breege und Juliusruh machte uns zu einer absoluten Lachnummer. Nach Dienstschluss übten wir Nahkampf in den Dünen am Tromper Wiek, tranken Bier und bändelten mit vernachlässigten Urlauberinnen an. Heute tummeln sich Camper auf dem Gelände des ehemaligen GST-Lagers in Breege, wo nur der verwahrloste Schießplatz an alte Zeiten erinnert. Zum Glück war unser Lehrer ein überaus verständnisvoller Vorgesetzter, der dem Pseudodrill nichts abgewinnen konnte und unsere Freizeitaktivitäten tolerierte. Da fünf Mitschüler ihr Hobby zum Beruf wählten, brauchte ich keine Verpflichtungserklärung für eine längere Dienstzeit zu unterschreiben. Zwei wollten unbedingt, zwei mussten von den Eltern aus und einer wurde mitgerissen. Die hohe Quote überraschte selbst den verantwortlichen Lehrer, so dass ich überhaupt nicht gefragt wurde. Ich sah die 18 Monate Grundwehrdienst als notwendiges Übel, denn ich verabscheue den Umgang mit Waffen aus Respekt vor deren Wirkung. Trotzdem musste ich wie die meisten männlichen Jugendlichen zur Fahne. So hieß es früher, wenn der Grundwehrdienst in der NVA bevorstand. Seit Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der DDR am 24. Januar 1962 waren anderthalb Jahre Pflicht. Alles darüber hinaus war freiwillig. Rekruten mussten Anfang Mai oder Anfang November einrücken. Bei den Grenztruppen wurde zusätzlich im Februar und August eingezogen. Ich wusste damals wohl, dass man den Dienst an der Waffe ablehnen durfte. Nach Verordnung des Nationalen Verteidigungsrates vom 7. September 1964 bot sich die Chance, den Militärdienst in Baukompanien abzuleisten.
Eine solche Verweigerung wäre für mich nicht in Frage gekommen, weil ich meinen Eltern keine Schwierigkeiten bereiten wollte. Zudem hatte ich ein abschreckendes Beispiel vor Augen, als ein Freund von mir die Uniform mit dem kleinen Spaten auf den Schulterstücken anzog. Trotz pazifistischer Einstellung wurde Detlef Teil der Arbeiter-und Bauernarmee. Der gelernte Betonfacharbeiter mauerte dicke Wände auf einer abgesperrten Baustelle in der Nähe von Berlin, wo ein Militärobjekt entstand. Das emsige Treiben beobachtete ich heimlich durch ein winziges Astloch im übermannshohen Bretterzaun, wenn ich Detlef am Wochenende mit dem Moped abholte. Die schwere körperliche Arbeit war mein Kumpel gewöhnt, aber der militärische Drill machte ihm zu schaffen. Aus grauen Lautsprechern schepperte Marschmusik, die das monotone Geschrei der Vorgesetzten übertönte. Trotzdem konnte ich das Gebrüll bis auf die Straße hören. Überall standen bewaffnete Aufpasser, die dafür sorgten, dass sämtliche Tätigkeiten im Laufschritt erledigt wurden. Die befohlene Eile führte zwangsläufig zu Pfusch am Bau, was Strafen nach sich zog. Detlef musste Überstunden leisten, so dass ich freitags oft vergeblich auf meinen Freund wartete. Er sprach nicht über den Dienst, weil ihm die Verweigerung nur Nachteile einbrachte. Niemand interessierte sich für die Gründe, warum Detlef keine Waffe in die Hand nehmen wollte. Er galt fortan im Dorf als Drückeberger, was ich unter keinen Umständen wollte. Berufliche Perspektiven für Spatensoldaten waren eingeschränkt und Studienplätze gab es nicht mehr für sie. Davor hatte ich Angst.
Mit dem obligatorischen Musterungsbescheid forderte man mich zur Überprüfung meiner