Das Netz der Freunde. Hans-Peter Dr. Vogt
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All das muß jetzt wieder einmal neu aufgebaut werden. Irina seufzt. Sie kennt die Schule schon, in die Leon sie schicken wird, dort in dieser winzig kleinen Stadt in Deutschland.
Sie würden fast alles zurücklassen. Das Haus hier in Atlanta war nur gemietet. Die Firma würde die Möbel verkaufen und sie nehmen nur das Wichtigste mit, aber davon gibt es genug.
Kleidung, Laptop, Kamera. Ohne seine Skateboards würde Dimmy nicht mitgehen, hatte er bestimmt. Irina lächelt unwillkürlich.
Dimmy und seine Skateboards. Er hatte sich diese Marotte in Berlin angeeignet, als er mal dort zu Besuch war. Auch hier in Atlanta gibt es Halfpipes, und Dimmy ist ein echter Crack. Er hat mehrere Boards, für Sprünge und Langstrecken. Irina hatte manchmal zugesehen, Interesse hat sie nicht an diesen Dingen. Für Dimmy war das in Atlanta die Eintrittskarte gewesen, um bei all diesen coolen Jungs an der Schule mächtig zu punkten. Dimmy ist aber auch wirklich der Obercrack. Seine ”übersinnlichen” Fähigkeiten erlaubem ihm Sprünge und Drehungen, die für die anderen unnachahmbar sind. Einfach „oberaffengeil“. Naja. In der Szenesprache und auf amerikanisch nennen die Jungs das ganz anders, und Irina weiß, dass solche Ausdrücke alle 2 oder 3 Jahre wechseln, wie die Mode. Irina lächelt wieder. Die Jungs und ihr Kauderwelsch.
Sie döst ein wenig. Sie denkt an die Chattahochee Seen im Norden, an die Wasserfälle und die Rafting Touren, die sie im Frühsommer gemacht hatten. Sie denkt an Deutschland. Ein bisschen kennt sie, aber im Grunde ist alles fremd, auch die Menschen sind so ganz anders.
Dort sind jetzt auch große Ferien. Ihr Haus in Brandenburg ist nicht einmal ganz fertig und für ihre Verhältnisse ist Wittenberge wirklich ein winziges Nest. Dort werden sie bald wohnen, aber sie werden übergangsweise nach Berlin ziehen. Opa Leon hat dort eine Wohnung organisiert.
Ins Musikzentrum, das der Stiftung gehört, und für das Leon und Mama letztlich arbeiten, da wollte Leon nicht hin, obwohl es auch dort mehrere freie Wohnungen gibt, die der Familie gehören. Aber dort lebt Oma Katharina und Leon hatte bestimmt: „Wir tun Katharina seelisch weh, wenn wir alle zusammen ins Zentrum ziehen. Wir können das nicht machen.“ Schließlich hatte Leon „seine Frau“ Katharina verlassen, um mit Irinas Mama zusammenzusein. Ach was ist das Leben manchmal so schwierig.
Aber Leon und Katharina sind nicht im Streit. Irina wird immer zu Oma Katharina springen können. Sie wird in den nächsten vier Wochen sicher viel vom Musikzentrum haben, aber im Zentrum wohnen - das hatte Leon eben nicht erlaubt. Opa Leon, der jetzt genaugenommen ihr Vater ist. Na, so gut wie.
2.
Irina hört gar nicht, als Leon die Treppe herunterkommt, so versunken ist sie in Gedanken. Plötzlich hockt er vor ihr und nimmt ihre Hände. Irina schreckt auf.
„Opa. Ich hab dich gar nicht kommen hören. Bleibst du jetzt hier, oder musst du noch mal weg?“
Leon schüttelt den Kopf. „Ich hab’ alles erledigt. Ist Vera noch in der Firma?“ Irina nickt. „Und Dimmy?“ „Der will sein BMX verkaufen, hat er gesagt.“
Leon nickt wieder. „Und was ist mit dir? Aufbruchsbereit oder traurig?“
Irina schüttelt den Kopf. „Vielleicht ein bisschen traurig. Ich war in Gedanken und hab’ innerlich Abschied genommen, jetzt wird ja alles völlig anders.“
Leon nickt wieder. „Wenn wir zusammenhalten, dann schaffen wir das. Was meinst du, wollen wir den Haufen da ein klein wenig kleiner machen? Ich hab im Werk einen Container aufstellen lassen. Den können wir jetzt mit unseren Sachen füllen, wenn du bereit bist. Das ist eine Übung, die für dich noch ein bisschen schwierig ist, aber zusammen bekommen wir das hin. Wir werden Vera und Dimmy einen Zettel hinlegen und können anfangen, wenn du bereit bist.“
Irina ist einverstanden. Leon geht in die Küche, wo ein Block und ein Stift liegt, und bringt beides zurück.
Er schreibt etwas auf den Block, zieht Irina aus dem Sessel, legt den Block darauf, und führt sie zu dem großen Haufen mit Koffern und Kisten.
„Also gut“, meint Leon. „Erst mal nehme ich zwei Koffer in die Hände, du hältst dich an mir fest, und konzentrierst dich. Schlüpf in mich hinein. Dann springen wir mit den Koffern in den Container. Achte genau auf meine Energieströme. Versuche das später nachzumachen.“
Irina nickt. Opa nimmt die Koffer, Irina hält sich an seinem Arm fest, sie kriecht in Leons Kopf. Sie sieht das Aufflammen der Energie, dann stehen sie in einem großen leeren Stahlcontainer, an dessen Decke zwei Akkuleuchten brennen.
Leon lächelt, stellt die Koffer ab, greift ihre Hände und meint, „und nun zurück. Diesmal krieche ich in dich hinein. Versuche mich mitzunehmen nach Atlanta.“
Das hatte Irina schon geübt. Sie ist gut darin. Sie war schon mehrmals mit Mama in das Wochenendhaus gesprungen, das sie an den Seen hatten. Aber diesmal geht es quer über den Ozean. Eine viel größere Strecke. Sie konzentriert sich, dann merkt sie, wie sich der Tunnel vor ihr öffnet und sie hineinzieht, wie ein Magnet ein Stück Metall. Sie spürt den Druck von Leons Händen. Sie merkt, dass sie ihn mitnimmt auf diese fast 15.000 Km lange Reise, dann landen sie im Zimmer von Irina.
Leon hatte ihr geraten, nicht in das große Wohnzimmer zu springen, wer weiß, wer sich jetzt dort aufhält. Das Geheimnis der Familie muß stets gewahrt bleiben.
Leon lacht sie an, als die sanft landen. Sie hört seine unausgesprochenen Worte. „Prima. Das hast du gut gemacht.“
Dann gehen sie hinunter. Sie sind immer noch alleine.
„Dann wollen wir mal. Diesmal nehme ich einen großen Karton in die Arme und du entscheidest, ob du mich berührst oder ganz alleine mit mir durch den Tunnel gehst. Du probierst es alleine? Also, dann los.“
Irina konzentriert sich, dann landen sie zusammen in dem Container. Erst Leon, dann nur wenige Sekunden später auch Irina. Sie ist glücklich. „lass mich das noch ein paar Mal probieren. Dann zeig mir, wie ich tote Materie mit mir nehmen kann.“
Leon nimmt jetzt immer einen großen Karton in die Arme. Irina springt alleine, und als sie schließlich zur selben Zeit im Container ankommen, lacht Irina. Jetzt hab ich’s begriffen. Ich muss meine Gedanken nur mit deinen völlig verknoten, damit wir gemeinsam durch den Tunnel fliegen.“ Leon lächelt. „Wenn man weiß wie das geht, ist das gar nicht so schwer. Dann lass uns mal an die nächste Aufgabe gehen.“
Innerhalb der nächsten 60 Minuten bringen sie einen Großteil der Kisten und Koffer in den Container. Dann muss Leon erst mal die Akkus der Leuchten wechseln. Er hatte vorgesorgt. An den beiden großen (heute geschlossenen) Stahltoren steht innen ein Karton mit frischen Akkus und Leon bestückt erst die eine, dann die andere Akkuleuchte.
Als sie zurückkommen, ist Dimmy gerade gekommen. „Ich wollte doch helfen“, meint er vorwurfsvoll. Leon nimmt ihn in die Arme. „Ist schon gut. Wir haben noch eine ganze Menge kleiner Kartons hier stehen und deine Lieblingsdinge, wie das Board, die müssen auch noch nach Deutschland. Hast du