Die Geburt der Schamanin. Hans-Peter Vogt

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Geburt der Schamanin - Hans-Peter Vogt страница 9

Die Geburt der Schamanin - Hans-Peter Vogt

Скачать книгу

Sie wird traurig sein, wenn du sie im Winter verlässt.“

      Dann erzählte Papa von Bübchen, von Moses (dem Koch), von dem kleinen Spanier und anderen Freunden. Sie kommen alle aus Berlin, hatte Papa gesagt. Berlin ist eine sehr große Stadt. Sie ist ganz anders als unsere kleine Stadt hier. Ich werde dich darauf vorbereiten müssen.

      Théra hatte ihre Arme um Papa gelegt und war irgendwann eingeschlafen. Sie träumte von einer fernen Stadt und stellte sich vor, dass es dort viele solcher Holzhäuser gab wie die, in der sie mit Papa und Mama lebte.

      In diesem Winter wurde Théra drei Jahre alt. Onkel Bübchen besorgte wieder einen Baum mit vielen Lichtern und Kugeln und es gab Geschenke für Théra.

      Die beiden schönsten Geschenke waren zwei Bücher. Eines über Tiere und Pflanzen. Es hatte viele Bilder und es gab dort viele Tiere, die Théra noch nie gesehen hatte.

      Das andere war ein Bilderbuch über Berlin. Bübchen hatte sich das extra aus Berlin schicken lassen. Papa hatte es für sie ausgesucht. In den Folgetagen mussten Bübchen, Moses und der kleine Spanier immer wieder von Berlin erzählen. Théra lernte, dass auch die Wachleute des Hotels darüber Bescheid wussten, und sie löcherte sie mit vielen Fragen.

      Das andere Buch war anders. Über den Winter hatten die Indios ihre Schulungen verstärkt aufgenommen. Die vielen Kinder der neuen Siedlung nahmen jetzt an dieser Schule teil. Théra ging oft mit Para dorthin. Sie nahm das Buch mit. Sie sah sich mit den anderen Kindern die Bilder an, sie lernte viel über Tiere und Pflanzen, und sie lernte die Zeichen für Tiere und Pflanzen kennen.

      Die Siedlung der Indios war inzwischen noch einmal gewachsen. Es gab nun ein großes Zentrum, in dem sich die Aymara und Quechua trafen. Es gab dort viele Läden. Das Zentrum war beheizt. Es gab viele Tische und Bänke. Sie waren immer noch roh zusammengezimmert, aber das störte niemanden. Es gab die typischen Gerichte der Indios und es wurde viel gelacht und gesungen. Immer wieder begannen die Indios Geschichten zu erzählen. Vieles über ihre Traditionen war in Vergessenheit geraten. Langsam bildete sich ein ganz neues Bewusstsein über eine sehr alte Kultur.

      Théra hätte gern über ihre eigenen Erlebnisse erzählt, von Königinnen und der alten Stadt, aber Para hatte ihr das verboten. „Alles das, was deine Mutter ausgräbt und was sie über unser Volk herausfindet, darüber dürfen wir sprechen. Das andere bleibt unser Geheimnis. Denk immer daran. Wir wissen manches, was andere nicht wissen. Es muss unser Geheimnis bleiben.“ Théra hatte solche Worte von Papa und Para schon oft gehört. Es tat manchmal körperlich weh, nicht über all diese Dinge sprechen zu dürfen. Théra hielt sich aber daran. Sie sprach nur mit Para, Papa und Mama über diese Dinge, die ein Geheimnis ihrer Familie waren.

      Ihre kleine Schwester Clara war nun ein halbes Jahr alt. Clara war äußerlich ganz anders als Théra. Théra hatte die dunklen Haare und die warmen braunen Augen ihrer Mutter. Clara hingegen war blond und hatte die leuchtendblauen Augen ihres Vaters. Nur der Körperbau der beiden Kinder war gleich und Théra spürte, dass auch Clara die gleiche Kraft in sich trug wie Papa, Para und wie Théra selbst.

      Théra hatte noch etwas bemerkt. Bevor es Weihnachten wurde, war Mama wieder schwanger geworden. Théra hatte in den Bauch von Mama hineingehorcht. „Ich bekomme einen Bruder“, hatte sie mit Bestimmtheit gesagt.

       15.

      Ohne dass Théra das wusste, hatte sich in diesem Sommer etwas sehr wichtiges ereignet. Sie sah immer wieder, dass Papa mit einem fremden Mann sprach. Er kam ab und zu. Er hatte Wachleute dabei (Théra kannte den Unterschied zwischen Wachleuten und anderen Menschen) und er schien ein sehr wichtiger Mann zu sein.

      In diesem Herbst hatten Dennis und der Ministerpräsident lange zusammengesessen. Dennis hatte über die Ausgrabung gesprochen und über die vielen Schichten aus Erde, die über dem ganzen Tal lagen. Erde, die vor vielen Jahrhunderten aus Asche entstanden war, die aus dem fernen Vulkan herabgerieselt war.

      Er lag 120 Kilometer entfernt auf der Hochebene. Stets zeigte sich dort eine dünne Rauchsäule. Théra hatte sie schon oft gesehen.

      Papa und Para waren - ohne dass Théra das wusste - schon oft in der Gestalt von Adlern dorthin geflogen. Sie hatten den Vulkan umkreist, und sie hatten auf dem Kraterrand gestanden und in den tiefen blauen See hinabgeblickt, in dem immer wieder Gasblasen aufstiegen.

      An diesem Tag hatten Papa und der Ministerpräsident beschlossen, dass in dem Vulkan und an einigen Stellen außerhalb des Kraters Mess-Stellen errichtet werden, um die Aktiviät des schlafenden Vulkans ständig zu beobachten.

      Der Vulkan ist schon zu lange still gewesen, hatte Dennis gewarnt. Irgendwann wird er wieder ausbrechen. „Wir wissen nicht, wann das geschehen wird. Wir wissen, wie viele Meter Asche damals herabgeregnet sind. Wir wissen inzwischen, wie viele Menschen von dem gewaltigen pyroplastischen Strom verbrannt worden sind. Es waren Zehntausende. Wir sollten gewappnet sein. Vulkane haben stets bestimmte Zyklen. Dieser Vulkan ist seit langem überfällig. Wir wollen unsere wertvolle Ausgrabung nicht noch einmal verlieren. Schließlich wohnen hier inzwischen viele Menschen. Sie und viele Ihrer politischen Freunde haben hier Häuser. Bauen wir ein Frühwarnsystem.“

      Der Ministerpräsident hatte genickt. In den nächsten Wochen waren viele Experten befragt worden. Der Ministerpräsident hatte schließlich angeordnet, dass auf dem Berg und auch rundherum Frühwarnstationen errichtet wurden. Es gab dort bald sehr teure Messgeräte, und es gab dort ein festgebautes Haus aus Stein und Holz, in dem sich ständig ein oder zwei Vulkanologen aufhielten. Der Ministerpräsident hatte auch angeordnet, dass dieses Gebiet, das als Naturpark ausgezeichnet war, stets von mehreren Rangern bewacht wurde, die mit allen Indios Kontakt aufnahmen, die dort oben auf der Hochebene wohnten und Lamas züchteten. Straßen gab es hier oben nicht, aber Wildpfade und Trampelpfade der Lamaherden. Die Gefahr, dass Fremde hierauf kamen, war Gott sei Dank gering.

      Der Ministerpräsident hatte Dennis später einmal gesagt: „Die Ausgrabung ist derzeit unser wichtigstes aussenpolitisches Aushängeschild. Wir müssen dafür sorgen, dass das auch so bleibt. Sorgen Sie für die Sicherheit der Besucher in Ihrem Hotel. Ich sorge für die Sicherhheit der Region.“

      Dennis hatte in diesem Herbst auch dafür gesorgt, dass dort neben der Solaranlage, die auf der Hochebene errichtet worden war, ein festes Haus gebaut wurde. Hier wurden Planen in ausreichender Zahl glagert, um die Solaranlage notfalls schnell abdecken zu können. Solche Planen gab es auch im Hotel, um die Solaranlage auf den Dächern zu schützen.

      Théra hätte mit diesem Wissen damals nichts anfangen können. Sie wusste davon nichts. Später einmal sollte sie erfahren, wie weise die Vorraussicht von Papa und dem Ministerpräsidenten war.

       16.

      Als der Frühling kam, kam auch Papa wieder.

      Théra hatte den Winter über gelernt, Verantwortung für ihre Schwester Clara zu übernehmen. Aber auch, wenn sie die Älteste war, so war sie doch immer noch Papas kleines Mädchen.

      Als Dennis dann gekommen war, hatte Théra ihren Papa mit Beschlag belegt. Sie erzählte ihm von ihren Erlebnissen und sie bat auch Papa von seinen Erlebnissen in dieser fernen Stadt zu erzählen. Papa hielt Wort.

      Immer wieder, wenn die Zeit dafür gut war, setzte er sich mit Théra zusammen in einen Liegestuhl, oder legte sich mit ihr auf eine Decke vor ihrem Holzhaus und er erzählte. Théra hatte viele Fragen. Sie lernte Berlin von seiner positiven Seite kennen, aber Papa erzählte

Скачать книгу